Red Dead Redemption 2 ist das vielleicht immersivste Spiel aller Zeiten. Warum, verraten wir euch in diesem Artikel.
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Immersion großgeschrieben
Lexikon der Kriterien für eine Videospielkritik, Buchstabe I: Immersion. Was ist das eigentlich? Oftmals liest man im Internet Sätze wie: „Spiel XY ist sehr immersiv.“ Wer zum ersten Mal auf den Begriff stößt, kann in der Regel nichts damit anfangen und muss erstmal Google fragen, was das eigentlich bedeutet: Immersion stammt vom lateinischen „immersio“ ab, das übersetzt „Eintauchen“ heißt. Wenn wir also bei Videospielen davon sprechen, dass sie besonders immersiv sind, dann meinen wir damit, dass es die Titel einem sehr leicht machen, in ihre Welt einzutauchen und die reale Welt komplett zu vergessen. Red Dead Redemption 2 ist ein Spiel, bei dem das sehr gut gelingt. Und nicht nur das: Wir würden sogar soweit gehen zu sagen, dass Rockstars jüngstes Westernabenteuer einen neuen Immersionsmeilenstein im Open-World-Bereich darstellt.
Rockstar rockt
Rockstar Games gilt als Meister der offenen Spielwelten. Das amerikanische Unternehmen hat das Open-World-Prinzip sicherlich nicht erfunden, gab es offene Spielwelten doch schon in den Achtzigern, während Rockstar erst seit 1998 existiert. Doch mit GTA 3 hat die von Sam und Dan Houser gegründete Firma 2001 ein revolutionäres Spiel auf den Markt gebracht, das eine frei befahrbare Großstadt voller Beschäftigungsmöglichkeiten geboten hat, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hat. In den Folgejahren veröffentliche Rockstar Games einen Hit nach dem anderen: Jeder „Grand Theft Auto“-Teil wurde von Kritikern gefeiert und von Spielern massenweise gekauft. Dass die Open-World-Formel nicht nur in modernen Großstadt-Settings funktioniert, hat Rockstar bereits zweifach bewiesen: 2006 mit dem „Schulhof-GTA“ Bully und noch viel mehr mit dem 2010 veröffentlichten Red Dead Redemption.
Das Westernspiel war so ein großer Erfolg, dass wir nun acht Jahre später die Fortsetzung serviert bekommen haben. Die knüpft nicht nur in Sachen Story, Charaktere und Gameplay an die Qualität des Vorgängers an, Red Dead Redemption 2 macht euch deutlich, wie sich die Technik zwischen 2010 und 2018 weiterentwickelt hat, welche Möglichkeiten Entwicklern heutzutage zur Verfügung stehen. Doch der neue Titel für PlayStation 4 und Xbox One ist eben nicht einfach nur zeitgemäß und ein Beispiel für den hohen Standard, den wir heute von offenen Spielwelten gewohnt sind. Wie eingangs angedeutet, ist Red Dead Redemption 2 nicht weniger als ein neuer Höhepunkt. Die Welt des Actionspiels ist nicht nur riesig (die größte, die Rockstar laut eigener Aussage je gebaut hat), sie ist auch extremst lebendig. Und das fördert die Immersion sehr stark.
Red Deads fantastische Tierwelt
Wer bislang nur die GTAs dieser Welt gespielt hat, der mag sich vielleicht fragen, wie es den Entwicklern denn gelungen sein soll, für Red Dead Redemption 2 eine lebendigere Welt zu schaffen, als sie es bei GTA 5 geschafft haben. Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass Los Santos und dessen Umgebung im vorherigen Rockstar-Spiel eine fantastische Kulisse für ein ebenso großartiges Spiel sind. Was GTA 3 vor 17 Jahren war, ist GTA 5 heute. Wie soll da die Welt von Red Dead Redemption 2, in der ihr hauptsächlich in der Wildnis unterwegs seid, mithalten? Dichten Straßenverkehr gibt es logischerweise nicht und auch die Anzahl der NPCs dürfte niedriger ausfallen als in Grand Theft Auto 5. Und dennoch wirkt der virtuelle Wilde Westen lebendiger?
Während in GTA 5 die zahlreichen Passanten und der Verkehr auf dem Asphalt stark zur Großstadtatmosphäre beitragen, ist es in Red Dead Redemption 2 eben vor allem die Natur, die heraussticht. In den Steppen, Wäldern, Bergen und Sümpfen wimmelt es nur so vor Tieren. Das Spiel bietet eine so vielfältige Fauna wie kein anderer Open-World-Titel. Über 170 Arten bevölkern das Land und die Lüfte, dazu kommen noch zig Fischgattungen, die ihr angeln könnt. Der Vorgänger hatte schon viele unterschiedliche Tiere zu bieten, die ihr jagen konntet. Red Dead Redemption 2 übertrifft das nochmal um Längen. Hinzu kommt, dass sich die Tiere sehr natürlich verhalten. Fleischfresser machen Jagd auf Pflanzenfresser. Geier stürzen sich auf tote Tiere. Wenn im Bayou eine Leiche nahe am Wasser oder gar im kühlen Nass liegt, schnappt sich ein Alligator den toten Körper.
Ganz schön viel los im Westen
Die Tiere sind aber nicht das einzige Element, dass die Welt so lebendig und damit so immersiv macht. Auch die Zufallsereignisse tragen ihren Teil dazu bei. Wenn ihr durch die Landschaft reitet, werdet ihr immer wieder auf Charaktere treffen, die euch direkt ansprechen und um Hilfe bitten. Oder es sind Mitglieder einer rivalisierenden Gangster-Bande, die euch überfallen. Oder ihr bekommt mit, wie jemand von einem Puma angegriffen wird. Teilweise entwickeln sich aus solchen Situationen sogar richtige kleine Nebenmissionen. In anderen Spielen würden die Questgeber einfach so am Straßenrand stehen und darauf warten, dass ihr sie anquatscht.
In Red Dead Redemption 2 sieht das (zumindest teilweise) anders aus. Beispiel gefällig? Ihr geht des Nachts über die Hauptstraße des kleinen Städtchens Valentine. Als ihr gerade am Saloon vorbeikommt, kommt eine Prostituierte auf euch zu, die panisch um Hilfe fragt. Sie bittet euch, ihr ins Obergeschoss des Etablissements zu folgen, wo sie gerade mit einem Kunden ein Schäferstündchen gehalten hat. Wie die Sache ausgeht, verraten wir euch an dieser Stelle nicht. Die Mission selbst ist spielerisch nichts Besonderes, aber wie sie das Spiel an euch heranträgt, fühlt sich einfach sehr natürlich und glaubwürdig an, was euch noch besser in die Welt eintauchen lässt.
„Hey, lass mal schnacken!“
In Red Dead Redemption 2 passiert es schnell, dass ihr vergesst, gerade ein Videospiel zu spielen. Viele haben den Titel bereits als Cowboy-Simulation bezeichnet. Wir schließen uns dem voll und ganz an. Denn ein ganz wichtiger Faktor, wenn es um den Immersionsgrad geht, ist das hohe Maß an Interaktionsmöglichkeiten, die Red Dead Redemption 2 bietet. Da wäre an erster Stelle die Tatsache genannt, dass ihr ausnahmslos jeden NPC in der Welt anquatschen könnt. Klar, in den meisten Fällen führt das nicht zu ausschweifenden Dialogen. Stattdessen bleibt es meistens bei einem Gespräch der folgenden Art:
Arthur: „Na, wie geht’s?“
NPC: „Ja, ganz gut.“
Arthur: „Ok, schönen Tag noch.“
In vielen Fällen ist diese Form der Interaktion also nur eine nette Spielerei, doch wird sie bei wichtigeren Figuren sehr sinnvoll eingesetzt, etwa im Zuge der Zufallsereignisse oder von richtigen Missionen. Zudem lassen sich Leute nicht nur anquatschen, sondern auch rausrauben. Wer will, kann einfach jeden NPC bestehlen. Jedes Geschäft lässt sich überfallen, das Gleiche gilt für einsame Reiter in der Wildnis, Kutschen oder sogar die Züge.
Tiere freuen sich über Zuneigung
So wie ihr mit menschlichen Charakteren interagiert, so macht ihr es auch mit Hunden, Katzen oder – noch viel wichtiger – Pferden. Die Bellos und Hassos von Red Dead Redemption 2 lassen sich loben, beschimpfen sowie streicheln. Warum Letzteres bei den Miezen nicht geht, ist uns ein Rätsel, aber das ist nur kleine Kritik am Rande. Bringt es euch spielerisch etwas, einem Hund eine Streicheleinheit zu geben? Nein. Aber es trägt eben auch wieder zur Immersion bei, zumal die Vierbeiner sehr gut animiert sind. Wenn das Hündchen vor euch mit dem Schwanz wedelt, weil ihr ihm etwas Gutes tut, ist das einfach herrlich niedlich.
Apropos Streicheln: Euer Pferd solltet ihr hin und wieder auch mal liebkosen. Das bringt euch auch spielerisch etwas, denn je mehr die Bindung zwischen Arthur und seinem Reittier steigt, desto besser werden die Werte des Gauls. Neben dem Streicheln stehen euch auch noch die beiden Optionen zur Verfügung, euer Pferd zu füttern oder zu striegeln.
Generell hat es Rockstar Games geschafft, den Huftieren wirklich Leben einzuhauchen. Sie sind nicht bloß atmende Transportmittel wie in anderen Spielen. Wenn Raubtiere in der Nähe sind, gerät euer Ross in Panik und ihr müsst es beruhigen. Wenn ihr mit ihm einen Berg im Galopp erklimmt, fängt es richtig zu schnaufen an, weil das logischerweise ein echter Kraftakt ist. Und dann kommt noch die Tatsache hinzu, dass euer Pferd sterben kann. Und wenn es einmal im Pferdehimmel weilt, kommt es auch nicht mehr zurück. Noch nie haben wir in einem Videospiel so sehr an unserem Reittier gehangen wie in Red Dead Redemption 2 – ein weiterer Pluspunkt für die Immersion.
Arthur und sein Körper
Es gibt noch so viele andere Dinge, die ihr in dem virtuellen Western anstellen könnt, die die Welt und alles, was darin stattfindet, so glaubwürdig machen. Ihr könnt überall in der Welt ein Lager aufschlagen und am Feuer das Fleisch brutzeln, dass ihr zuvor bei der Jagd erbeutet habt. Und ja, ihr solltet hin und wieder was essen, denn sonst wird Arthur dünn, wodurch er zwar an Schnelligkeit gewinnt, aber an Lebensenergie verliert. Stopf ihr euch zu viel in den Magen, wird er hingegen dick. Das macht ihn zwar widerstandsfähiger, zehrt aber auch an der Ausdauer.
Des Weiteren wachsen mit der Zeit Haare und Bart von Arthur. Beides könnt ihr im Camp selbst schneiden, mehr Optionen stehen euch jedoch bei einem Besuch beim Barbier zur Verfügung. Wichtig: Habt ihr euch die Haare einmal ganz kurz geschnitten, stehen euch fürs Erste nicht mehr alle Frisuren zur Auswahl. Wie im echten Leben gibt es keine Möglichkeit, aus einer Glatze im Handumdrehen wieder eine volle Haarpracht zu machen. Jedoch gibt es ein Tonikum, mit dem ihr den Haarwuchs beschleunigen könnt.
Andere immersionsfördernde Features in Red Dead Redemption 2 sind das Reinigen von Waffen, die mit der Zeit verschmutzen, die vielen unterschiedlichen Kleidungsstücke, die ihr kaufen oder aus erbeuteten Fellen basteln könnt, die Möglichkeit zu angeln, euch im Saloon zu betrinken, Poker oder Blackjack zu spielen und noch vieles mehr. Verdammt, ihr könnt euch schmutzig machen und wenn ihr mit dreckigen Klamotten auf NPCs zugeht, werden die zurückweichen und euer Aussehen kommentieren! Aber dann geht ihr eben einfach ins Hotel und nehmt dort ein Bad, wobei ihr Kopf, Arme und Beine einzeln auf Knopfdruck wascht – oder von einer netten Dame waschen lasst.
Das Auge spielt mit
Ihr merkt schon: Red Dead Redemption 2 ist ein unfassbar detailliertes Spiel. Rockstar Games ist ja bekannt dafür, sehr viel Wert auf kleine Details zu legen. Die wären nicht nötig, damit das Spiel funktioniert, damit es Spaß macht. Aber sie tragen einen großen Teil dazu bei, dass Red Dead Redemption 2 eben ein besonderer Titel ist. Ein Spiel, dass neue Maßstäbe in Sachen Open World und Immersion setzt. Noch nie war eine Welt so einnehmend – und so hübsch. Ja, auch die fantastische Grafik trägt viel dazu bei, dass wir so sehr in den virtuellen Wilden Westen hineingesogen werden. Die Umgebungen sehen aus, als wären sie komplett von Hand gebaut. Man hat das Gefühl, kein Baum gleicht dem anderen (was vermutlich nicht stimmt, aber zumindest sind uns keine Klone aufgefallen). Dazu kommt die stets großartige Lichtstimmung, der atemberaubende Himmel, die schicken Wettereffekte, die Weitsicht und die geschmeidigen Animationen.
Zudem ist jede Region sehr liebevoll designt. Jede Stadt hat ihren eigenen Look und auch die Wildnis bietet sehr viel Abwechslung, wobei die Übergänge von einem Landschaftstyp zum anderen sehr natürlich wirken. Wenn ihr vom grünen Tal aus in höhere, zugeschneite Regionen reitet, werdet ihr nicht irgendwann eine klare Trennlinie zwischen beiden Gebieten bemerken, wie ihr das etwa aus einem World of WarCraft kennt. In den südlichen Bereichen des nördlichsten Staates Ambarino liegt gar kein Schnee oder nur ganz wenig. Je höher ihr dann die Berge hinaufsteigt, desto rauer wird das Klima und durch desto größere Schneemassen müsst ihr stapfen.
Ein anderer wichtiger Faktor: die Soundkulisse. Damit meinen wir noch nicht mal die hervorragende Sprachausgabe. Klar, die Sprecher tragen mit ihren Akzenten auch sehr viel zur Atmosphäre bei. Für die Immersion sind die sonstigen Soundeffekte aber fast noch wichtiger, etwa das Geräusch, wenn der Wind durch die Bäume des Waldes weht, oder wenn Vögel zwitschern. Natürlich haben auch andere Spiele solche Effekte zu bieten, aber Red Dead Redemption 2 setzt einfach bei allem nochmal eine Schippe drauf. Wie gut der Sound in diesem Spiel ist, lässt sich halt schwer mit Worten beschreiben. Das muss man einfach selbst gehört haben.
Kein Spiel für jeden
Es ist uns sicherlich deutlich anzumerken, wie begeistert wir von der Atmosphäre, der Technik und eben den vielen Details sind, die die Welt von Red Dead Redemption 2 so echt wirken lassen. Uns ist aber auch klar, dass nicht jeder diese Meinung teilt. Es gibt genug Dinge, an denen sich mancher stören kann, weil sie ihn im Spieltempo ausbremsen: das Reinigen von Waffen, die eingeschränkte Schnellreise (nur per Zug, Postkutsche oder Karte möglich) oder die Tatsache, dass Arthur seine großkalibrigen Waffen stets am Sattel seines Pferdes verstaut. Dadurch muss man sie immer wieder aktiv ins eigene Inventar packen, sobald man vom Ross absteigt und sich zu Fuß in eine Schießerei begibt.
Rockstar hat in vielen Fällen Realismus über Komfort gestellt. Das heißt nicht, dass viele Dinge automatisch zur Qual werden – zumindest nicht für uns. Aber es gibt genug Leute, die sich daran stören, dass manche Animationen, dem Realismus zu Liebe, länger sind als in allen anderen Actionspielen dieser Welt. Das kostet eben Zeit und davon frisst Red Dead Redemption 2 eh schon so viel, weil es nicht nur umfangreich ist, sondern auch noch ein sehr langsames Pacing an den Tag legt. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.