SCUM macht vor allem mit virtuellem Stuhlgang auf sich aufmerksam, aber es ist so viel mehr als nur ein pubertärer Gag.
- home
- magazin
- spielgenre-news
- survival-games
scum-dayz-wie-wir-es-uns-immer-gewunscht-haben
SCUM: DayZ, wie wir es uns immer gewünscht haben
Wir haben September, weshalb man auch sagen könnte, das Weihnachten schon vor der Tür steht. In Supermärkten mögen vielleicht noch keine Schokoweihnachtsmänner stehen (die lassen aber auch nicht mehr lange auf sich warten), doch die Spielebranche bringt bereits ihre Blockbuster in Stellung oder hat sie sogar schon veröffentlicht. Dragon Quest 11, Marvel’s Spider-Man, Shadow of the Tomb Raider – allein dieser September hat schon richtig viel zu bieten. Dabei hätten wir diese Titel gar nicht nötig, denn wir könnten auch einfach die ganze Zeit über SCUM spielen. Denn das ist das Survival-Spiel, auf das wir so viele Jahre warten mussten.
Nachdem DayZ uns mit der Standalone-Version erst viel Hoffnung gegeben und sie dann im Verlauf von Jahren des Stillstands wieder entrissen hat, macht das neue Spiel von Publisher Devolver Digital all das mehr oder weniger vergessen. Denn SCUM ist schon nach einer Woche im Early Access weiter, als es DayZ jemals war. Das bedeutet aber nicht, dass wir es schon uneingeschränkt empfehlen würden. Was das Spiel derzeit bietet, welche Probleme es hat und warum wir optimistisch in die Zukunft blicken, erfahrt ihr in unserer Preview.
Mörderische TV-Show
Es soll ja Leute geben, die noch nie ein Survival-Spiel ausprobiert haben, an denen der Hype um DayZ, der 2012 ausbrach, komplett vorbeigegangen ist. Den können wir also schlecht auf die Frage, was SCUM eigentlich ist, antworten: „Es ist wie DayZ, nur besser. Und mit Robotern.“ Aber genau das trifft es sehr gut. Genau wie die einstige „ArmA 2“-Mod und das spätere eigenständige Spiel von Bohemia Interactive ist SCUM ein Open-World-Spiel mit Fokus auf Multiplayer und den puren Überlebenskampf. Während andere Genrevertreter wie Rust oder ARK: Survival Evolved viel mehr Wert auf Crafting und Basenbau legen, seid ihr in Devolvers jüngstem Early-Access-Titel hauptsächlich damit beschäftigt, die Umgebung nach allerlei Arten von Loot abzusuchen. Es gibt zwar ein Crafting-System, aber das steht nicht im Fokus.
Bei aller Ähnlichkeit zu DayZ, die Hintergrundgeschichte von SCUM ist dann doch eine gänzlich andere. Hier kämpft ihr nicht in der Zombieapokalypse, sondern als Teilnehmer einer verrückten TV-Show ums Überleben. Wenn ihr jetzt an Filme wie „Running Man“ denkt, liegt ihr gar nicht mal so falsch. Denn natürlich macht euer Charakter nicht freiwillig bei diesem Spiel auf Leben und Tod mit. Ihr verkörpert einen Strafgefangenen, der gemeinsam mit maximal 63 anderen in ein abgesperrtes, 144 Quadratkilometer großes Gebiet verfrachtet wird, wo sich alle zur Belustigung der Zuschauer gegenseitig umbringen sollen - klingt so, als könnte es sich auch um ein Battle-Royale-Spiel à la Playerunknown’s Battlegrounds handeln, doch das kroatische Entwicklerduo Gamepires und Croteam (Letzterer ist für Serious Sam bekannt) haben bislang nicht mal über einen separaten „Battle Royale“-Modus gesprochen.
„Zombies? Nein, das sind Puppen!“
Euer primäres Ziel ist es also nicht, andere Spieler umzubringen, wobei das in der aktuellen Version von SCUM sicherlich das einzige ist, womit ihr euch auf lange Sicht beschäftigt. In dem Multiplayer-Titel geht es vorrangig ums Überleben. Und daran wollen euch nicht nur andere Sträflinge hindern. Die sehr große Spielwelt ist mit einigen Arten von KI-Figuren gefüllt und manche davon können euch gefährlich werden. Da wären zum einen Zombies, pardon, „Puppets“. Dabei handelt es sich, so die Lore von SCUM, um Teilnehmer der ersten Staffel der gleichnamigen TV-Show, im Spiel befinden wir uns also schon in Season 2. Aber jene Leute zählen eben nicht mehr zu den Lebenden, zumindest verhalten sie sich exakt so wie Zombies. Sie stöhnen und grunzen, stehen auf Menschenfleisch und sind daher äußerst bissig.
Aktuell haben wir oftmals das Gefühl, dass in der Welt noch zu wenige von ihnen zu finden sind. Manchmal findet sich alle paar Meter eine „Puppet“, dann sehen wir wieder ewig lang keine einzige. Uns ist klar, dass SCUM kein Zombiespiel wie DayZ sein soll. Doch es wäre schön, wenn die Entwickler die Anzahl erhöhen und vielleicht sogar richtige Horden implementieren würden, die durch die Gegend wandern. Das würde die Spannung außerhalb von Dörfern oder Militärbasen deutlich erhöhen. Aktuell verkommt SCUM häufig zum „Walking Simulator“, weil wir minutenlang von einer Siedlung zur nächsten laufen und dazwischen schlicht nichts passiert, sofern uns kein anderer Spieler über den Weg läuft.
Angriff der Killer-Roboter
Ab und zu stoßen wir immerhin noch auf Tiere. Es gibt zum Beispiel Rehe, Bären, Wildschweine und Hühner. Die können wir jagen, um an Fleisch zu kommen, das wir dann wiederum braten und verspeisen können – Survival-Spiel-Standard halt. Aber die meisten von ihnen stellen eben keine Bedrohung dar. Ganz anders verhält es sich mit den Robotern. Ja, Roboter! Große, Mech-ähnliche Roboter! Die laufen zum Glück nicht frei über die Karte, sondern bewachen bestimmte Gebiete, in denen es richtig guten Loot gibt, also beispielsweise den Militärflughafen oder eine große Industrieanlage.
Mit diesen Maschinen ist nicht zu spaßen: Wenn sie euch einmal sehen, sprechen sie zwar zuerst die Warnung aus, ihr möget das Gelände doch bitte verlassen, sonst eröffnen sie das Feuer, aber sind dabei alles andere als geduldig. Innerhalb weniger Sekunden fangen sie an zu schießen und es reichen nur ein paar Kugeln, damit ihr ins Gras beißt. Wer also die entsprechenden Areale nach Waffen und anderem wertvollen Zeug absuchen will, sollte sich die Laufwege der Roboter einprägen und darauf achten, nicht entdeckt zu werden. Dieser Stealth-Aspekt wird in der aktuellen Version nur leider noch häufig dadurch zunichtegemacht, dass die zweibeinigen Wachmaschinen gerne mal durch Objekte hindurchsehen.
Ausgewogen ernährt sich der Survival-Spezialist
Bevor ihr euch in eines der gut bewachten Gebiete schleicht, solltet ihr euch aber sowieso erst mal die Grundausstattung besorgen. Denn einerseits ist die Gefahr, in den Zonen mit richtig gutem Loot auf andere Spieler zu treffen, die erst schießen und dann Fragen stellen, sehr groß. Zum anderen solltet ihr nicht nur etwas haben, womit ihr euch verteidigen könnt, sondern auch einen möglichst großen Rucksack und ordentliche Klamotten, die weitere Inventar-Slots bieten. Und dann ist es in SCUM auch noch besonders wichtig, auf die Ernährung zu achten. Pures „Alles in den Mund schaufeln, was man findet“ wie in anderen Survival-Spielen empfiehlt sich hier nicht.
Die große Besonderheit von SCUM ist nämlich die Simulation des menschlichen Metabolismus, des Stoffwechsels. Wer das entsprechende Menü zum ersten Mal öffnet, fühlt sich zunächst erschlagen, da so viele Werte und Anzeigen zu sehen sind. Doch nach etwas Einarbeitung werdet ihr die Grundzüge verstehen, denn im Grunde ist das alles nichts, was ihr nicht auch im Biologieunterricht in der Schule gelernt habt. Jede Nahrung in SCUM hat unterschiedliche Nährwerte, ganz wie im echten Leben. Kartoffeln sind reich an Kohlenhydraten, Fleisch liefert euch viel Eiweiß und wenn ihr euch ein Pfund pure Butter reinzieht (ja, das geht, ist aber nicht zu empfehlen), nehmt ihr ganz schön viel Fett auf.
Es ist wichtig, sich ausgewogen zu ernähren. Keine der Nährstoffe sollte im Übermaß aufgenommen oder komplett vernachlässigt werden. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Vitamine und Mineralien. Außerdem solltet ihr stets darauf achten, wie viele Kalorien ihr zu euch nehmt und wie viel ihr verbrennt. Esst ihr zu wenig, werdet ihr immer dünner und schwächlicher, zu viel Futtern macht euch dick. Beides hat spürbare spielerische Auswirkungen, etwa auf eure Ausdauer, Schnelligkeit oder Stärke im Nahkampf.
Der Stuhlgangsimulator
Ihr denkt, das ist schon komplex genug? Tja, SCUM geht noch weiter. Es gibt diverse Krankheiten, zum Beispiel Skorbut. Anhaltender Vitamin-C-Mangel führt dazu, dass eurem Charakter die Zähne ausfallen (die könnt ihr übrigens auch bei Schlägereien verlieren). Ohne Zähne wiederum könnt ihr keine feste Nahrung mehr zu euch nehmen. Ja, und dann wäre da noch das Thema Verdauung. Wie in der Realität gilt: Was oben reinkommt, muss unten auch wieder raus. SCUM ist vermutlich das erste Spiel der Welt, in dem ihr auf Knopfdruck sowohl pinkeln als auch euren Stuhlgang verrichten könnt. Und noch dazu ist es möglich, sich zu übergeben, etwa wenn ihr giftige Pilze genascht oder zu viel gegessen habt und euer Magen überfüll ist.
Diese Features dienen also zu mehr als nur Fäkalhumor. Wir glauben ja selbst kaum, dass wir so etwas schreiben, aber ja: Das Defäkieren, Urinieren und Vomieren sind in SCUM sinnvolle Spielmechaniken, das System als Ganzes ein riesiger Pluspunkt des ansonsten recht gewöhnlichen Survival-Spiels.
Vielversprechende Zukunft
Inhaltlich bietet der Titel in seinem derzeitigen Zustand in etwa so viel wie die Alpha von DayZ, es funktioniert aber alles wesentlich besser. Vor allem die Loot-Verteilung wollen wir an dieser Stelle loben: Grundlegende Items und einfache Waffen sind relativ oft zu finden, ebenso die entsprechende Munition (die ihr sogar selbst herstellen könnt). Aber ihr werdet auch nicht mit Beute überschüttet, so dass SCUM zum reinen Multiplayer-Shooter verkommt. Das Spiel hält die perfekte Balance: Es wird nie frustrierend, weil ihr gar nichts findet, aber wenn euch ein Jagdgewehr in die Hände fällt, freut ihr euch trotzdem sehr, weil die Dinger eben doch nicht in jedem Haus liegen.
SCUM hat aber das Potenzial, noch so viel mehr zu werden als nur ein besseres DayZ. Die Entwickler haben so einiges geplant, was im Verlauf der Early-Access-Phase, die mindestens ein Jahr andauern soll, den Weg ins Spiel finden soll. Sicherlich gehören dazu mehr Waffen und sonstige Items, außerdem sind Fahrzeuge angekündigt. Letztere sind sehr wichtig, weil die Karte eben alles andere als klein ist. Da wäre man schon froh, wenigstens ein Fahrrad zu haben.
Basisbau soll ebenfalls irgendwann ins Spiel kommen, aber das ist eigentlich auch Genrestandard. Am Spannendsten sind zwei ganz andere Dinge: mehr Rollenspielelemente und Missionen. SCUM soll später über mehrere Haupt- und Nebenquests verfügen. Ob die nur im Einzelspielermodus vorhanden sein werden (der derzeit aufgrund zu weniger PvE-Herausforderungen bestenfalls zum Erlernen der Steuerung und Mechaniken geeignet ist) oder auch im Multiplayer, ist nicht bekannt. Anders sieht es bei den RPG-Einflüssen aus, die schon im aktuellen Stadium der Charaktererstellung angedeutet werden. So finden sich unter den ausgegrauten Einstellungen nicht nur weitaus mehr Skills als die paar, die derzeit vorhanden sind, sondern auch ein Balken für gewisse Handicaps. Demnach werdet ihr euren Charakter irgendwann mal als Alkoholiker oder Raucher spielen können, was einerseits das Überleben für euch noch herausfordernder machen, andererseits aber auch den Rollenspielcharakter weiter ausbauen würde.
Early Access der besten Sorte
SCUM ist ohne Zweifel ein ambitioniertes Projekt für Gamepires und Croteam. Aber dank Devolver Digital steht ein Publisher dahinter, der sich in den vergangenen Jahren als ein Unternehmen etabliert hat, das keinen Mist auf den Markt bringt und durchaus Wert auf Qualitätssicherung legt. Bevor die Entwickler sich aber mit neuen Inhalten befassen, sollten sie erst mal die grundlegenden Probleme beseitigen. Ja, SCUM hatte einen deutlich besseren Early-Access-Start als manches andere Spiel. Es läuft trotz der sehr guten Grafik (Unreal Engine 4) auf entsprechend starken Rechnern recht performant, die vorhandenen Spielelemente funktionieren bereits weitestgehend gut. Hier und da gibt es Bugs (wir erwähnten bereits die Roboter mit Röntgenblick), aber nichts davon ist so katastrophal, dass es den Spielspaß arg hemmen würde. Zudem reden wir hier von einem Early-Access-Titel, da erwartet niemand ein auf Anhieb fehlerfreies Spiel.
Was Gamepires und Croteam aber so schnell wie möglich in den Griff kriegen müssen, ist der Netzcode. Wer auf gut gefüllten Servern spielt, kann kaum vernünftig PvP betreiben, da es immer wieder zu Lags und Synchronisierungsproblemen (den berüchtigten „Desyncs“) kommt. Laut eigener Aussage arbeiten die Entwickler bereits fleißig daran und wir sind optimistisch, dass bald Besserung eintritt.
Einschätzung
Wir haben es bereits eingangs erwähnt: Wir mögen SCUM. Das Spiel macht jetzt schon sehr viel Spaß, wenn man denn mit dieser Art von Survival-Spiel, die mit vielen virtuellen Fußmärschen verbunden ist, etwas anfangen kann. Wer die Idee von DayZ nach wie vor gut findet und genau wie wir von der Entwicklung des Bohemia-Spiels enttäuscht ist, sollte SCUM definitiv eine Chance geben.
Der Einstieg ist nicht leicht, denn die Metabolismussimulation ist sehr komplex und alles andere als ein Gimmick. Es ist aber auch die große Besonderheit des Spiels, sein Alleinstellungsmerkmal. Im Grunde ist SCUM damit sogar richtig innovativ – ja, das gibt es heutzutage noch. Und sollte man so etwas nicht unterstützen, wenn einem das Genre liegt? Klar, das Endgame ist derzeit noch sehr mager und die Servertechnik hat ihre Probleme. Aber für eine frisch veröffentlichte Early-Access-Version läuft SCUM schon ziemlich gut und bietet genug Inhalte. Der Rest kommt dann hoffentlich im Verlauf der nächsten zwölf Monate. Und wir sind guter Dinge, dass uns Gamepires und Croteam nicht enttäuschen werden.