Mit Fallout 76 betritt die Reihe erstmals Online-Pfade. Was das für Vor- und Nachteile mit sich bringt, zeigt die Beta.
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Fallout 76 B.E.T.A. angezockt: Ein zweischneidiges Schwert
Kaum ein Spiel in diesem Herbst ist so umstritten wie Fallout 76. Als Bethesda den Titel vor der E3 ankündigte, war das Interesse noch sehr groß. Zunächst war ja gar nicht klar, dass es ein reines Multiplayer-Spiel ist. Es hätte auch ein Spin-off à la Fallout: New Vegas sein können. Doch erst berichtete Jason Schreier von Kotaku, dass es ein Online-Survivalgame sei und dann bestätigte sich auf der E3, das Fallout 76 tatsächlich kein Singleplayer-Erlebnis ist. Allerdings betonte Bethesda seitdem immer wieder, dass es sich trotzdem um ein Rollenspiel mit einer Geschichte handele und die Survival-Mechaniken eher eine untergeordnete Rolle spielen. Anhand der B.E.T.A. („Break-it Early Test Application“) konnten wir uns nun selbst einen Ersteindruck verschaffen und überprüfen, was Fallout 76 eigentlich ist und wie viel Spaß es macht.
Guten Morgen, West Virginia!
Der Wecker klingelt uns aus dem Schlaf. Und nicht nur das: Über die Lautsprecher hören wir die Aufseherin, die uns aus dem Bett scheucht. Doch wir finden das gar nicht schlimm, denn heute ist ein ganz besonderer Tag: der Rückeroberungstag. Heute werden wir unser Zuhause der vergangenen Jahre, den Vault 76 in West Virginia, endlich verlassen und damit beginnen, die Welt da draußen wieder zu besiedeln. Doch bevor wir Rohstoffe sammeln, Mutanten schnetzeln und uns ein Eigenheim zimmern können, müssen wir erstmal unser Äußeres festlegen. Das ist die erste Amtshandlung, die uns in Fallout 76 erwartet.
Der Editor ist nahezu identisch mit dem aus Fallout 4. Das bedeutet, wir haben richtig viele Optionen, wie wir unser Alter Ego gestalten wollen. Von der Frisur über Ohren, Augen und Nase bis hin zum Kinn können wir jeden Bestandteil des Gesichts im Detail anpassen. Da die Betaserver immer nur für wenige Stunden am Tag online sind, entscheiden wir uns aber für eines der vorgefertigten Gesichter und legen los.
Schnell nach draußen!
Dass unser Abenteuer in Fallout 76 in dem namensgebenden Vault beginnt, ist ja quasi Serientradition. Doch anders als in Fallout 3 und 4, wo wir das gesamte Tutorial über im jeweiligen Bunker verbrachten, sind wir diesmal nach knapp fünf Minuten an der frischen Luft. Unsere erste Aufgabe lautet, das Lager zu erreichen, das die Aufseherin aufgeschlagen hat und nicht unweit des Vault-Eingangs liegt.
Dort angekommen, finden wir zwar nicht jene Dame vor, dafür aber ein paar Crafting-Stationen, Ressourcen und ein Tonband. Wir erlernen, wie wir Waffen und Rüstungsteile herstellen beziehungsweise modifizieren und werden in eine Kleinstadt in der Nähe gelotst, wo die Responder ihre Basis haben: eine Gruppe von Leuten, die den anderen Überlebenden des Krieges geholfen haben. Doch auch von denen treffen wir niemanden, finden nur diverse Leichen vor.
„People Are People“
Das heißt nicht, dass wir keinem anderen Menschen über den Weg laufen. Wir begegnen sogar recht vielen Leuten, doch keinen NPCs. Na gut, zumindest keinen menschlichen, mit denen wir sprechen können. Hier und da steht mal ein Roboter herum, der uns im gewohnt freundlichen Ton begrüßt, aber das war es dann auch. Und richtige Dialoge können wir mit ihnen nicht führen. Alle Menschen, die wir hingegen in Fallout 76 treffen, werden auch von echten Personen gesteuert. Das ist eine der Grundideen des Spiels, mit denen Bethesda geworben hat: Jedes Mal, wenn wir in der Endzeitwelt einen anderen Homo Sapiens erblicken, haben wir dabei die Gewissheit, dass es sich um einen anderen Spieler handelt.
Im Hinblick auf die Geschichte ergibt es durchaus Sinn, dass wir keine menschlichen NPCs in der Welt vorfinden. Fallout 76 spielt im Jahr 2102, also gerade mal 25 Jahre nach dem Nuklearkrieg und weit vor den Ereignissen aus den anderen Einzelspielerteilen. Die Bewohner des Vault 76 sollen dafür sorgen, dass die Außenwelt wieder besiedelt wird. Wir legen also quasi den Grundstein für das, was in den anderen Spielen passiert. Doch könnte das Fehlen von NPCs, mit denen wir ausschweifende Dialoge führen können, in spielerischer Hinsicht schnell ein Problem werden.
Eine Welt voller Geschichten
Fallout 76 setzt genau wie die anderen Fallouts auf Quests und die freie Erkundung der großen Spielwelt, die viermal größer ist als Boston und Umgebung in Teil 4. Und so viel können wir jetzt schon sagen: Die Gegend, die wir hier erforschen, ist der Star des Spiels. Wir haben bislang zwar nur einen Bruchteil davon gesehen, doch wenn die gesamte Karte so liebevoll gestaltet ist wie das Startgebiet, dann freuen wir uns auf den Rest.
Bethesda beweist mal wieder, dass es Environmental Storytelling (das Erzählen von Geschichten anhand der Umgebung in einem Spiel) richtig gut beherrscht. Fallout 4 hat diesbezüglich geglänzt und Fallout 76 steht dem in nichts nach. Da stoßen wir zum Beispiel auf einen Raum, in dem früher eine von den Respondern geleitete Selbsthilfegruppe regelmäßig zusammenkam. An einer Pinnwand finden wir diverse Briefe von Mitgliedern. An anderer Stelle wiederum entdecken wir die Leiche von einem der Charaktere, die Teil der Gruppe waren, und erfahren in weiteren Schriftstücken oder Tonbändern noch mehr über ihn.
Die Orte in Fallout 76 stecken voller Geschichten. Im Gegensatz zu üblichen Survival-Spielen erkunden wir sie also nicht nur, weil wir hoffen, etwas zu essen, zu trinken oder nützliche Ausrüstung zu finden. Wir wollen wissen, was dort vorgefallen ist, was für Menschen dort gelebt haben. Doch so sehr uns das gefällt, an einem Unterschied zu Fallout 4 stoßen wir uns dann doch: Im jüngsten Singleplayer-Teil der Reihe wurden das Environmental Storytelling, die Textdateien auf zu findenden Computern und Audiologs mit der klassischen Erzählweise in Form von Dialogen kombiniert. Fallout 76 fehlt Letzteres, dafür finden wir umso mehr Briefe und Tonbänder.
Das Dilemma von Fallout 76
Hier befinden wir uns in einem Zwiespalt: Einerseits lesen wir uns die Texte gerne durch und lauschen mit Freude den Sprachaufnahmen, weil wir mehr über die Leute herausfinden wollen. Andererseits befürchten wir, dass uns die Reduzierung der Erzählung auf diese Dinge auf Dauer langweilig wird. Zudem beißt sich hier das Storytelling mit dem Multiplayer-Aspekt des Spiels. Eigentlich würden wir Fallout 76 gerne mit Freunden zocken und gemeinsam die Welt erkunden. Andererseits könnte es ganz schön nervig werden, wenn Spieler A noch alle Texte eines Terminals liest, während die anderen längst weiterziehen wollen. Darüber hinaus wird es schwer werden, den Geschichten aufmerksam zu folgen, während die Kumpels im Team Speak oder Discord quatschen.
Die Lösung für dieses Problem: Wir spielen Fallout 76 einfach allein. Aber ob wir damit glücklich werden? Denn zum einen ist es doch der große Anreiz des Titels, eine typische Fallout-Welt erstmals im Koop erkunden zu können. Zum anderen gibt es selbst dann, wenn wir solo unterwegs sind, diverse potenzielle Stolpersteine, die uns daran hindern könnten, in die Welt und ihre Geschichten einzutauchen. Andere Spieler könnten uns die Immersion rauben, weil sie sich natürlich nicht so verhalten, wie es NPCs tun würden. Sie rennen wild umher, springen, wo es gar nicht nötig wäre und so weiter. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit der Welt.
Dann wäre da der PvP-Aspekt, eine der größten Ängste der Skeptiker: Was ist, wenn wir gerade in Ruhe einen Audiolog hören wollen und uns plötzlich jemand in den Rücken schießt? Bethesda hat zwar vorgesorgt, indem man den Schaden, den der angreifende Spieler zunächst verursacht, stark begrenzt (nur wenn wir uns wehren, fügen uns weitere Attacken den vollen Schaden zu). Doch wir sind ja trotzdem dazu genötigt zu reagieren. Wollen wir nicht sterben, müssen wir eben weglaufen und können uns nicht mehr voll und ganz auf die Tonbandaufnahme konzentrieren.
Fehlende NPCs = fehlende Abwechslung?
Der Fokus auf Audiologs und Textdokumente hat natürlich auch Auswirkungen auf das Questdesign – und zwar eher negative als positive. Denn wenn es keine NPCs gibt, mit denen ihr euch unterhalten könnt, dann bleiben ja im Großen und Ganzen nur noch zwei Dinge, die uns in den Missionen aufgetragen werden können: Gegner töten oder mit Gegenständen interagieren (also entweder Items einsammeln oder eben Terminals hacken, Schalter umlegen etc.). Dass da die Abwechslung auf der Strecke bleibt, kann sich wohl jeder denken.
Hinzu kommt, dass die Kämpfe kein spielerisches Highlight sind. Das Gunplay ist identisch mit dem in Fallout 4. Schon da war es zwar wesentlich besser als in den Vorgängern, aber immer noch nicht auf dem Niveau moderner Ego-Shooter. V.A.T.S. hingegen wurde stark verändert. In Fallout 4 wurde die Zeit zwar nicht mehr angehalten, während wir mit diesem System Gegner anvisierten, aber zumindest noch verlangsamt. Das geht in einem Multiplayer-Spiel wie Fallout 76 schlecht, weshalb V.A.T.S. die Zeit nicht beeinflusst, sondern nur eine Art Zielhilfe darstellt, die unserer Meinung nach recht überflüssig ist.
Survival Lite
Ok, die Quests sind weit unter dem Niveau der anderen Fallouts. Nun muss man aber bedenken, dass Fallout 76 eigentlich gar kein richtiges Rollenspiel ist, auch wenn Bethesda das behauptet. Im Kern ist es schon ein Survival-Titel, wenn auch ein deutlich simplerer als etwa ARK: Survival Evolved oder Rust. Wir müssen zwar regelmäßig essen und trinken, doch viel mehr in die Tiefe gehen die Survival-Mechaniken gar nicht. Und Nahrung finden wir ständig.
Dazu kommen die vielen Features, die das PvP regulieren. Und wenn wir mal den Löffel abgeben, verlieren wir nicht wie in DayZ all unseren Fortschritt, sondern nur den Schrott (Crafting-Materialien), den wir im Inventar haben. Unsere Waffen und Rüstungsteile, Nahrungsmittel, Stimpaks und andere medizinische Items bleiben uns erhalten. Dadurch wird einiges an Frust vermieden.
Ersteindruck
Die ersten Stunden, die wir nun mit Fallout 76 verbracht haben, waren eine Berg-und-Tal-Fahrt. Was uns von Anfang an richtig gut gefallen hat, ist die Spielwelt. Die Gegenden, die wir erkundet haben, sind liebevoll gestaltet, das Environmental Storytelling funktioniert ähnlich gut wie in Fallout 4 und auch die Kämpfe machen Laune. Allerdings waren die Quests bislang wenig abwechslungsreich. Wir vermissen schmerzlich NPCs, mit denen wir Dialoge führen. Wie motivierend hingegen das Skill-System und der Basenbau sind, wird sich im Test zeigen müssen. Eines können wir aber mit Sicherheit sagen: Wer von einem Spiel mit dem Namen Fallout erwartet, ein richtiges Rollenspiel zu sein, der sollte von Fallout 76 die Finger lassen.