In Rage 2 ballert es sich ganz hervorragend, doch der größte Fehler des Spiels kostet den Shooter viele Punkte.
Rage 2 im Test: Knaller-Gameplay trifft ödes Ödland
Unsere Shotgun und wir, wir sind schon sehr gute Freunde. Was haben wir nicht alles gemeinsam erlebt? Zum Beispiel gestern, als wir in diesem Lager voller Banditen einen kleinen Frühjahrsputz veranstaltet haben. Oder davor, als wir uns in einer von Mutanten bevölkerten Kanalisation als Rohrreiniger betätigt haben. Oder davor, als wir in einem anderen Lager allen dort hausenden Halunken schöne Grüße von Ms. Schrot bestellt haben. Hach, ja, wir mögen unsere Shotgun wirklich sehr – fast so sehr, dass Bruder Raketenwerfer, Schwester Pistole und Onkel Sturmgewehr eifersüchtig werden könnten. Na gut, dann nutzen wir die halt auch ab und an mal. Selbst die beste Schrotflinte hat mal eine Pause verdient, um sich etwas abzukühlen.
Ja, die Waffen in Rage 2, ganz besonders eben die futuristische Version einer Pumpgun, machen schon eine Menge Spaß. Wem pures Gunplay sehr wichtig ist, der wird in dem neuen Ego-Shooter von Entwickler Avalanche Studios und Publisher Bethesda Softworks immer wieder einen Grund zum Grinsen haben. Doch wie sich im Test herausstellt, war es vielleicht nicht die beste Entscheidung, die Schöpfer von Just Cause und dem "Mad Max"-Spiel von 2015 mit der Entwicklung des Nachfolgers zum id-Shooter von 2011 zu betrauen. Denn auf jede spaßige Ballerei kommt in Rage 2 mindestens eine langweilige Spritztour durch die ödeste Endzeitwelt, die wir seit langem bereist haben.
Story? Wer braucht denn sowas?
Der Game Director Magnus Nedfors sagte vor wenigen Wochen in einem Interview mit VG24/7: "Ich werde nicht hier sitzen und sagen, dass die tiefgründige Geschichte das ist, weshalb ihr Rage 2 spielen solltet. Es ist ein Actionspiel." Wenn ein Entwickler so etwas von sich gibt, ist das eigentlich immer ein Zeichen dafür, dass man sich nicht einmal groß Mühe gegeben hat, eine spannende Handlung zu erzählen. Jedoch stellt sich hierbei die Frage, ob eine solche wirklich nötig ist. Ist Doom von 2016 ein so großartiger Shooter, weil er uns mit seiner Geschichte in seinen Bann zieht? Nein! Bei dem Titel von id Software steht das Gameplay im Vordergrund und gleiches gilt auch für Rage 2. Die Story verkommt hier nicht zur Nebensache, sie ist absichtlich nicht mehr als das.
Fans des ersten Rage dürfen sich über ein Wiedersehen mit so manchem Charakter aus dem Vorgänger freuen, aber viel Tolles zu erzählen haben die nicht. Die Handlung lässt sich schnell zusammenfassen: Ihr seid Walker, der letzte überlebende Ranger im Ödland. Am Anfang müsst ihr dabei zusehen, wie eure Ziehmutter von General Cross, dem Anführer der bösen Obrigkeit, getötet wird. Ihr sinnt auf Rache und versucht, gemeinsam mit Dr. Kvasir, John Marshall und Loosum Hagar (allesamt bekannt aus Teil 1) einen großen Angriff auf die Basis des Feindes vorzubereiten. Das war es im Wesentlichen.
Die Geschichte ist nur Mittel zum Zweck, um euch durch die Spielwelt zu führen und einen Grund zu geben, jede Menge Leute über den Haufen zu schießen. Dafür hat Rage 2 sicherlich kein Lob verdient, das Spiel will aber eben gar kein emotionales Rachedrama sein, weshalb wir diesbezüglich mal Gnade walten lassen. Schade ist nur, dass der Humor kaum zündet. Rage 2 nimmt sich offensichtlich nicht ernst, das haben schon die verrückten Trailer im Vorfeld deutlich gemacht. Aber anstatt uns wie Borderlands 2 ständig zum Lachen zu bringen, hinterlassen die "Gags" hier nicht mal ein müdes Lächeln in unserem Gesicht.
Kampagne der Magerstufe
Am ärgerlichsten ist jedoch, dass die eigentliche Kampagne von Rage 2 viel zu mager ausgefallen ist. Richtige Story-Missionen gibt es gar nicht mal so viele. Stattdessen macht das Spiel den Fehler, euch stellenweise dazu zu zwingen, den Open-World-Aktivitäten nachzugehen. Denn damit euch Hagar, Kvasir und Marshall im Kampf gegen die Obrigkeit unterstützen, müsst ihr ihnen bei ihren eigenen Projekten helfen. Bei jedem der drei steigt ihr nach und nach im Level auf, indem ihr die Dinge tut, die sie von euch verlangen. Für Marshall fegt ihr zum Beispiel mit eurem Waffenarsenal durch Banditenlager, Dr. Kvasir verlangt unter anderem von euch, die sogenannten Archen aufzusuchen (dazu später mehr), und für Hagar müsst ihr etwa Wachtürme der Obrigkeit zerstören.
Eigentlich dienen diese wahrhaft generischen Missionen dazu, die Spielwelt zu füllen und euch abseits der eigentlichen Kampagne, die ihr locker nach unter zehn Stunden durchgespielt habt, noch mehr zu tun zu geben. Aber dass sie dann auch noch Teil der Hauptgeschichte sind, missfällt uns sehr. Da hilft es auch nicht, dass all die ganzen Nebenmissionen in Rage 2 schnell repetitiv werden. Im Grunde gilt: Kennt ihr ein Banditenlager, kennt ihr alle. Zwar ist jedes anders aufgebaut und manche davon würden sogar ordentliche Levels in einem linearen Shooter abgeben, aber spielerische Abwechslung ist kaum vorhanden. In den allermeisten Fällen geht es eben bloß darum, ohne irgendeinen Story-Kontext alles abzuschießen, was sich bewegt.
Ok, es gibt ein paar Ausnahmen. Das wären zum einen die Missionen, in denen ihr nach gefallenen Rangern sucht, um deren letzte Aufzeichnungen zu bergen. Bei denen gilt es ab und zu, die Umgebung nach versteckten Wegen abzusuchen. Außerdem wären da noch die Autorennen, die jedoch nur mäßig spaßig sind, weil die Fahrphysik in Rage 2 nicht wirklich geglückt ist. Es gibt Vehikel, die steuern sich besser als andere (kleiner Tipp: Finger weg von Motorrädern!), aber alles in allem sind die Fahrten in Rage 2 wenig unterhaltsam – erst recht, wenn ihr am PC mit Maus und Tastatur zockt. Es kann nicht schaden, für längere Spritztouren und die Rennen ein Gamepad bereitliegen zu haben.
Nix los hier!
Autofahrten sind ein gutes Stichwort, denn das führt uns zur Kernproblematik von Rage 2: Das Spiel profitiert in keiner Weise von seiner Open World. Nicht nur, dass Avalanche sie mit generischen Nebenmissionen gefüllt hat, dazwischen gibt es auch einfach nichts zu tun. Ok, hier und da stehen mal ein paar Feinde am Straßenrand oder ein NPC, den ihr zu einem spontanen Rennen herausfordern könnt, fährt an euch vorbei. Das war es aber auch im Wesentlichen. Mag sein, dass ihr euch hier durch ein Ödland bewegt. Aber wenn das wie ein ausgestorbener Ort wirken sollte, dann wären dafür viel zu viele Feinde unterwegs. Die Welt ist nicht lebendig, sie hat keinerlei Dynamik. Außer zwei, drei mutierten Büffeln alle paar Kilometer gibt es keinerlei Tierwelt wie zum Beispiel in einem Far Cry 5 und Zufallsereignisse sind für Rage 2 genauso ein Fremdwort.
Während ihr also von Mission zu Mission fahrt, geschieht absolut nichts Aufregendes. Wenn ihr nicht gerade in einem Lager Banditen oder Mutanten erschießt, ist Rage 2 ziemlich langweilig. Warum also die Open World? Hätte das alles nicht auch kleiner, kompakter, linearer sein können? Tja, aber dann hätte man nicht mit einer großen Spielwelt werben können, die so viele beim ersten Rage schmerzlich vermisst haben. Schon in dem sind die Fahrten von A nach B sehr langweilig. Der Nachfolger stellt diesbezüglich keinerlei Verbesserung dar.
Das volle Arsenal gibt's nur für Entdecker
"Ok, die Open World ist nicht toll. Kann ich sie denn ignorieren?" Ja, ne, nicht so ganz. Ihr könnt zwar einfach fix die Kampagne durchspielen, aber dann bekommt ihr nur einen Bruchteil der Spielzeuge, die ihr in Rage 2 haben wollt. Damit meinen wir die Waffen und eure Nanotrit-Fähigkeiten. Das Meiste davon holt ihr aus den bereits erwähnten Archen heraus, die in der offenen Welt verteilt sind. Wollt ihr also alle Knarren und Skills, müsst ihr die Kampagne immer wieder links liegen lassen. Uns ist schon klar, warum sich Avalanche dafür entschieden hat. Es hat die gleichen Gründe wie die Tatsache, dass ihr Nebenmissionen spielen müsst, um neue Hauptaufgaben freizuschalten: Die Spielzeit soll gestreckt werden und ihr sollt auch dann einen Grund haben, die Open World zu erkunden, wenn ihr daran eigentlich gar ein Interesse habt.
Immerhin: Die Waffen und Fähigkeiten sind es wert, dass ihr die Archen sucht. Es gibt zwar nur acht Schießprügel (plus eine spezielle Pistole für Vorbesteller und die BFG aus Doom für Käufer der Sondereditionen), aber die haben es in sich. Unsere Liebe zur Schrotflinte haben wir bereits eingangs bekundet, aber auch die anderen Knarren machen richtig Laune. Schade ist nur, dass es nicht mehr alternative Feuermodi wie in Doom gibt.
Auch die Fähigkeiten gefallen uns sehr. Ob wir nun in die Luft springen und mit einem Smash zu Boden stürzen, woraufhin alle Gegner um uns herum zerfetzt werden, oder einen Vortex erschaffen, der umstehenden Feinde anzieht und dann explodiert – es macht einfach Spaß, sich wie ein Superheld zu fühlen. Überhaupt sind die Kämpfe in Rage 2 ein großes Vergnügen. Die KI ist zwar dumm wie Stroh, aber das Gunplay ist göttlich. Es wird deutlich, dass id Software Avalanche hier ein wenig unter die Arme gegriffen hat. Die Ballereien fühlen sich genauso gut wie im jüngsten Doom an. Das Treffer-Feedback ist superb, die Kämpfe spielen sich flüssig und die zahlreichen Effekte sorgen noch dafür, dass das Ganze richtig schick spektakulär aussieht.
Ein Spiel für Karottenfans
Sind also die Ballereien der einzige Grund, warum man dann doch hin und wieder gerne mal ein Stündchen mit Rage 2 verbringt? Nein, denn was das Spiel ebenfalls ganz gut macht, ist, euch stets eine neue Karotte vor die Nase zu setzen. Denn ihr findet im Verlauf eures Ödlandaufenthalts nicht nur die Waffen und Fähigkeiten, sondern auch lauter Ressourcen, mit denen ihr euch, eure Skills und die Knarren verbessert. Jeder der drei Hauptauftraggeber bringt seinen eigenen Talentbaum mit, die Waffen lassen sich in fünf Stufen aufleveln, es gibt Upgrades für Verbrauchsitems wie den Wingstick, die Granaten und die Gesundheitsinjektionen und bei bestimmten Händlern könnt ihr noch weitere Verbesserungen für Walker freischalten, die euch etwa mehr Lebensenergie verleihen. Zu guter Letzt dürft ihr auch noch euer Hauptfahrzeug, den Phönix (eine Art gepanzerter und bewaffneter Geländewagen), aufwerten.
Dieses Übermaß an freischaltbaren Dingen, wobei es für fast alles eine eigene Ressource gibt, erinnert stark an den Doom-Reboot von vor drei Jahren – im Guten wie im Schlechten. Das Progressionssystem hätte gerne etwas schlanker sein können, zumal es auch manche Upgrades gibt, auf die wir gerne verzichtet hätten. Dass uns die Standorte von Lagerkisten zum Beispiel erst dann per Radar angezeigt werden, wenn wir den entsprechenden Perk freischalten, ist ätzend, weil wir vorher viel zu viel Zeit damit verbringen, gesäuberte Camps nach den Dingern abzusuchen. Und nein, das macht keinen Spaß! Trotzdem gibt es ausreichend Upgrades, die cool sind und die uns dazu motivieren, die generischen Missionen zu absolvieren, damit wir sie endlich freischalten können.
Das knallt!
Technisch ist Rage 2 gut, aber nicht überragend. Die Effekte haben wir bereits gelobt. Explosionen, fliegende Funken, Rauch, das sieht alles klasse aus. Auch die Animationen sind sehr gut, seien es die der Gegner oder eurer Waffen. Negativ fallen dagegen die häufig aufpoppenden Gegner und Objekte auf, wenn ihr durch die Open World fahrt. Auf dem PC sollte das eigentlich in maximalen Details nicht passieren. Beim Sound sind wir ebenfalls nicht zu 100 Prozent überzeugt. Die deutsche Sprachausgabe schwankt in ihrer Qualität, richtige Ausfälle gibt es aber zum Glück nicht. Der Soundtrack ist ordentlich, jedoch nicht ganz so ikonisch wie die schreddernden E-Gitarrenklänge in Doom. Dafür stehen die Waffen- und Explosions-Sounds denen des id-Hits von 2016 in nichts nach. Auch hier sei wieder die Shotgun lobend erwähnt. Hach, wir lieben sie wirklich!
Ärgerlich jedoch: Rage 2 ist nicht in ganz poliertem Zustand erschienen. Keine Sorge, ein Bugfest habt ihr nicht zu befürchten. Aber zwei Dinge sind uns immer wieder aufgefallen: NPCs sind manchmal unsichtbar oder ihre Sprachausgabe fällt aus und Vorratskisten aus Holz, die ihr zerstören müsst, um an ihren Inhalt zu gelangen, haben scheinbar einen Ausweichwert "over 9000". Oft genug standen wir direkt vor so einem Behälter, schlugen mit der Nahkampfattacke zu und trafen das Ding einfach nicht. Klar, wir hätten darauf schießen können, aber das wäre ja Munitionsverschwendung. Am effektivsten ist es, einfach durch die Kisten zu dashen. Aber eigentlich sollte es doch möglich sein, sie mit einem einfachen Hieb mit der Waffe in ihre Einzelteile zu zerlegen.
Fazit
Wir lieben die Shotgun aus Rage 2 und habe gerne Zeit mit ihr verbracht. Eigentlich sollte es die fortan in jedem Ego-Shooter geben und jeder sollte sich auch so gut anfühlen wie Rage 2. Gegen das Gunplay gibt es wirklich nicht viel zu sagen. Leider ist das aber auch der einzige wirklich große Pluspunkt des Spiels, von den guten Sound- und Grafikeffekten einmal abgesehen. Das Progressionssystem ist zwar ein Motivationsfaktor, dafür aber viel zu überfrachtet. Weniger wäre definitiv mehr gewesen.
Das gilt genauso für die Welt. Rage 2 würde als linearer Shooter sicherlich eine prächtige Figur machen. Als Open-World-Spiel versagt es aber auf ganzer Linie, womit es dieser Tage aber nicht allein steht. Die Action ist für zwischendurch ganz launig, aber Ermüdungserscheinungen sind hier ein stetiger Begleiter. Und das macht es uns sehr schwer, für Rage 2 eine Empfehlung auszusprechen. Wer einen flotten "Hau drauf"-Shooter haben möchte, wartet besser auf Doom Eternal oder zumindest darauf, bis Rage 2 irgendwann mal im Sale günstig zu haben ist. Denn 60 Euro ist es definitiv nicht wert.
- Fantastisches Gunplay
- Hervorragende Soundeffekte
- Explosionen und Co sehen schick aus
- Die beste Shotgun der Welt!
- Öde, überflüssige Open World, ...
- ... gefüllt mit generischen Inhalten
- Sehr wenig Story-Missionen
- Langweilige Autofahrten
- Überfrachtetes Progressionssystem
- Kaum spielerische Abwechslung
- Kleine technische Macken