Mit Far Cry: New Dawn geht's erneut nach Hope County. Der Eintritt kostet angesichts der Inhalte aber erstaunlich viel.
Far Cry - New Dawn im Test: Das teuerste Add-on des Jahres
Achtung! Spoiler-Alarm! Bitte nicht weiterlesen, wenn ihr nicht wissen wollt, wie Far Cry 5 endet! So, alle noch da, die den Ego-Shooter von 2018 durchgespielt haben oder denen dessen vollkommen hanebüchene Geschichte eh egal ist? Gut! Ja, es ist nicht so leicht, über die Prämisse von Far Cry: New Dawn zu sprechen, ohne dabei auf das Ende von Teil 5 einzugehen. Denn anders als Far Cry 3: Blood Dragon und Far Cry: Primal, die beide zwar recyceltes Material aus ihren jeweiligen Vorläufern (Far Cry 3 beziehungsweise 4) verwenden, aber inhaltlich eigenständig sind, ist der erste Serienableger im Endzeit-Setting eine waschechte Fortsetzung.
17 Jahre, nachdem ihr als namenloser Deputy versucht habt, das fiktive Hope County vom bösen Christenkult rund um Joseph Seed zu befreien und am Ende dieses Unternehmens der Atomkrieg ausbrach, kehrt ihr in der Haut eines anderen, aber ebenso stummen wie namenlosen Protagonisten in jenen Landstrich im US-Bundesstaat Montana zurück. Die Welt hat sich von der radioaktiven Verseuchung erholt und ist von Neuem erblüht. Tatsächlich ist die Postapokalypse à la Far Cry ziemlich farbenfroh, ganz anders als im düsteren Metro Exodus. Rosa Blüten sind zum prägenden Element der Landschaft geworden, was dank nach wie vor guter Grafik richtig hübsch aussieht.
"Das kommt mir doch alles sehr bekannt vor"
Dass Far Cry: New Dawn den gleichen Schauplatz hat wie Teil 5, mag für den einen oder anderen einen faden Beigeschmack haben. Der Ego-Shooter ist von Anfang bis Ende ein Re-Skin. Die Entwickler haben die Spielwelt des Vorgängers genommen, an den Rändern ein wenig was abgeschnitten (die Karte ist kleiner als zuvor), viele bunte Blumen angepflanzt und die bekannten Gebäude überwuchern lassen. Doch begreift man New Dawn als das, was eigentlich ist, also eine Standalone-Erweiterung von Far Cry 5, ist das vollkommen ok. Immerhin hat es auch was, die Orte aus dem Vorgänger erneut zu besuchen und zu sehen, wie sie sich über die Jahre hinweg verändert haben. Es gibt sogar eine nette Nebenmission, in der ihr die Stellen finden sollt, die auf Fotos von früher zu finden sind.
Schade ist nur, dass Ubisoft Montreal nicht nur die Spielwelt wiederverwertet hat, sondern auch sämtliche Waffen, Fahrzeuge und Tiere. Ja, alles sieht ein bisschen anders aus, eben endzeitmäßiger, aber spielerisch bestehen keine Unterschiede zu Far Cry 5. Ok, auch das lassen wir uns noch gefallen, wenn wir New Dawn eben als allein lauffähiges Add-on begreifen. Wobei selbst dann ruhig ein paar neue Tötungswerkzeuge und Co schön gewesen wären. Die einzige Ergänzung eures Waffenarsenals ist ein Sägeblattwerfer. Der ist ziemlich cool, weil ihr Feinde damit leise und effizient ausschaltet und sogar, wenn ihr es richtig anstellt, mehrere Gegner mit nur einem Schuss trefft. Aber gerne hätten wir mehr solcher Ergänzungen gesehen.
Waffen der Marke Eigenbau
Stattdessen hat sich das Entwicklerteam gedacht, als große Gameplay-Neuerung ein Crafting- und Level-System für Waffen sowie Gegner einzubauen. Sowohl die Feinde als auch die Schießprügel und Nahkampfutensilien unterteilen sich in Far Cry: New Dawn in vier Stufen. Das führt dazu, dass ein Schrotflintenschuss in den Kopf eines Widersachers nicht mehr automatisch zu dessen Ableben führt. Klar, wenn ihr mit einer Stufe-1-Waffe gegen einen Stufe-1-Halunken kämpft, fällt der genauso schnell um wie in Far Cry 5. Ist der Kontrahent aber Level 2, 3 oder gar 4, braucht es schon stärkere Argumente, um nicht den allseits unbeliebten "Bullet Sponge"-Effekt zu erleben.
Wie gelangt ihr an bessere Waffen? Nun, Händler, die an jeder Straßenecke halbe Militärarsenale verkaufen, gibt es in der Endzeit nicht mehr und getötete Feinde lassen nicht gerade eine große Bandbreite an Knarren fallen. Stattdessen bastelt ihr die Ballermänner und Co selbst zusammen. Crafting spielt in Far Cry: New Dawn eine wesentlich größere Rolle als in den vorherigen Serienteilen. Daher erkundet ihr die Spielwelt noch viel mehr als zuvor in erster Linie deshalb, um Ressourcen zu finden. Die richtig starken Waffen auf den hohen Stufen setzen große Mengen an Materialien voraus.
Schade ist nur, dass es eben immer die gleichen Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Bögen und Co sind. Klar, je mächtiger die Argumentationsverstärker sind, desto cooler sehen sie auch aus. Aber mechanisch funktioniert ein legendäre Shotgun genauso wie die Level-1-Flinte. Übrigens: Aufsätze wie Visiere dürft ihr nicht mehr händisch an- und abschrauben. Welche Verbesserungen eine Waffe hat, ist in Far Cry: New Dawn fest vorgegeben.
Wird Far Cry zum Rollenspiel? No, Sir!
Das Problem dieser ganzen Crafting- und RPG-Light-Mechanik ist, dass sie aufgesetzt wirkt. Es kommt uns so vor, als habe Ubisoft Montreal irgendein neues Feature gebraucht, damit New Dawn nicht bloß wie Far Cry 5 in Grün wirkt, ohne dabei aber zu viel Aufwand zu betreiben. Die Entwickler haben einfach das bestehende Gameplay genommen und Gegnern sowie Waffen einen Level gegeben – fertig ist die neue Mechanik, dank der man in Interviews damit prahlen kann, Far Cry habe jetzt Rollenspielelemente.
Klar ist es irgendwie motivierend, immer bessere Waffen freizuschalten, die schick aussehen, selbst wenn sie mechanisch nicht anders funktionieren als ihre Vorläufer. In World of WarCraft freuen wir uns ja auch über jedes bessere Zweihandschwert für unseren Krieger. Der Unterschied ist: In dem MMORPG steigt mit einer mächtigeren Klinge nicht nur unser Schaden, sondern wir profitieren auch noch von diversen Boni wie mehr Lebensenergie oder einer höheren kritischen Trefferchance.
Far Cry: New Dawn hat so etwas nicht. Eine Stufe 4-Knarre macht mehr Schaden als ein Stufe-3-Gegenstand und das war's. Mehr Tiefe hat das System nicht. Daran ändert auch das Perk-System nichts, das genauso funktioniert wie in Far Cry 5: Ihr schließt Herausforderungen ab und erhaltet dafür Punkte, mit denen ihr Dinge wie die Möglichkeit, mehr Waffen zu tragen, oder den Greifhaken freischaltet.
Wofür Alkohol doch gut sein kann
Ein weiteres wichtiges Element von Far Cry: New Dawn ist Prosperity. Das ist quasi eure eigene Siedlung. Nach und nach baut ihr sie im Spielverlauf immer weiter aus. Wenn ihr zum Beispiel den Kräutergarten upgradet, steigert ihr die Effizienz eurer Erste-Hilfe-Sets. Ein besseres Trainingslager erhöht die Gesundheit und den Schaden der generischen Begleiter. Außerdem ist der Ausbau der Werkstatt und -bank wichtig, denn deren Stufen bestimmen, welche Fahrzeuge und Waffen ihr freischalten könnt. Alles in allem ist Prosperity als übergreifendes Progressionssystem nett, aber auch kein Hauptgrund, warum ihr Far Cry: New Dawn spielen solltet.
Für die Upgrades in Prosperity braucht ihr übrigens Ethanol. Das wächst weder auf Bäumen, noch findet ihr es an jedem Ort in der Spielwelt. Um reichlich Alkohol zu bekommen, erobert ihr serientypisch Außenposten. Davon gibt es zehn Stück, was erst mal nach wenig klingt. Allerdings habt ihr die Möglichkeit, ein eingenommenes Lager wieder den Highwaymen zu überlassen, um es ihnen anschließend nochmal zu entreißen. Der Schwierigkeitsgrad steigt mit jedem weiteren Versuch an. Handlungstechnisch ergibt das Feature keinen Sinn und es wäre schöner gewesen, hätten die Entwickler mehr unterschiedliche Außenposten gebaut. So ganz damit anfreunden können wir uns daher nicht.
Die Expeditionen gefallen uns schon besser. Das sind Missionen, die in anderen Teilen der USA spielen. Hierbei kämpft ihr euch durch lineare Levels, um den Highwaymen besonders wertvolle Crafting-Ressourcen zu stibitzen. Genau wie die Außenposten könnt ihr sie mehrfach wiederholen, wobei der Schwierigkeitsgrad ansteigt, aber auch die Belohnungen immer besser werden. Dank der frischen Szenarios (eine Expedition führt euch etwa nach Florida), sorgen diese Aufträge für optische Abwechslung. Es hätten aber gerne noch mehr sein dürfen.
Böse Mädchen
Schon der Plot von Far Cry 5 wies enorme Schwächen auf und auch New Dawn wird nicht aufgrund seiner Story in Erinnerung bleiben. Die grundlegende Handlung ist sehr simpel: Fast zwei Jahrzehnte nach dem Atomkrieg versuchen die Überlebenden in Hope County einfach nur, am Leben zu bleiben. Doch ein friedlicher Alltag ist für die Bewohner von Prosperity nicht möglich, denn die Highwaymen, angeführt von den beiden Zwillingsschwestern Mickey und Lou, terrorisieren sie.
Eure Aufgabe ist es, den Schurken das Handwerk zu legen. Die zwei Hauptantagonistinnen erweisen sich "Far Cry"-typisch als Psychopathinnen und fügen der bekannten Formel nichts Neues hinzu. Sie sind uns sogar ziemlich egal. Ubisoft sollte endlich mal aufhören, immer und immer wieder zu versuchen, den Vaas-Effekt zu wiederholen. Apropos Psychopath: Auch Joseph Seed ist wieder am Start, aber über seine Rolle in Far Cry: New Dawn hüllen wir den Mantel des Schweigens, um euch nichts vorwegzunehmen. Erwartet aber bitte kein erzählerisches Meisterwerk, auch wenn die ganz großen Logikfehler wie im Vorgänger zum Glück ausbleiben! Die Missionen der Kampagne sind ebenfalls keine Highlights im Shooter-Genre, bieten aber genug Abwechslung, da sie gut mit den einzelnen Spielelementen jonglieren. Ihr dürft bloß nichts Neues im Vergleich zum fünften Teil erwarten.
Wenig Neues, wenig Inhalt
Unser größter Kritikpunkt hat auch nichts mit dem Design zu tun, sondern bezieht sich auf den Umfang. Die 22 Hauptmissionen lassen sich theoretisch in vier bis fünf Stunden abfrühstücken. Darüber hinaus gibt es außer den Außenposten und Expeditionen leider recht wenig zu tun. Far Cry: New Dawn bietet lediglich noch ein paar wenige Nebenmissionen, wovon die meisten dazu da sind, die diversen Begleiter freizuschalten (gleiches System wie in Far Cry 5). Auf die Prepper-Verstecke des Vorgängers folgen die Schatzsuchen, die mit zum Besten gehören, was New Dawn bietet. Aber auch hier hätten wir uns einfach mehr gewünscht als gerade mal zehn solcher Aufgaben.
In Sachen Gameplay hat sich, von dem Fokus auf Crafting und der Stufeneinteilung von Waffen sowie Gegnern mal abgesehen, nichts geändert. Das Schleichen, Ballern und Autofahren sind identisch zum Vorgänger. Das ist in mancher Hinsicht gut, weil es nach wie vor einen Haufen Spaß macht, Außenposten zu infiltrieren und erobern. Ihr genießt in Far Cry: New Dawn die gleiche Handlungsfreiheit wie in den anderen Serienteilen und das macht einen der Hauptanreize der Reihe aus. Doch auf der anderen Seite haben die Entwickler die Schwachstellen von Far Cry 5 nicht ausgebessert. Allen voran sei hier die KI erwähnt, die stellenweise einfach nur dämlich agiert und sich viel zu leicht austricksen lässt.
Fazit
Far Cry: New Dawn ist einfach mehr Far Cry 5 für diejenigen, die Spaß am letztjährigen Ausflug nach Montana hatten und nicht genug davon bekommen können. Doch ist das Spiel wirklich 45 Euro wert, wenn Ubisoft Montreal so viel wiederverwertet, aber in Sachen Umfang weniger als die Hälfte dessen reingepackt hat, was der Vorgänger bietet? Als 20-Euro-DLC hätte der Titel eine gute Figur gemacht und wäre eine sehr gute Erweiterung gewesen. Für den mehr als doppelten Preis hätten wir deutlich mehr Inhalt oder eine größere spielerische Weiterentwicklung erwartet, was das Stufen- und Crafting-System nicht sind.
- Schöner Endzeit-Look
- Ausreichend Abwechslung
- Kern-Gameplay nach wie vor spaßig
- Expeditionen sind eine nette Idee
- Stufensystem wirkt aufgesetzt
- Zu wenig Inhalt für's Geld,...
- ...weil's eben doch nur ein Re-Skin ist