Stellt euch BioShock ohne Shooter-Gameplay vor! Selbst dann wäre es vielleicht noch besser als Close to the Sun.
Close to the Sun im Test: Schiffbruch
Weil Ikarus zu hochmütig wurde, stürzte er in den Tod – wortwörtlich. Der Mythos von dem Jungen, der mit den Flügeln, die ihm sein Vater aus Federn und Wachs gebastelt hat, zu nah an der Sonne flog, dürfte den meisten ein Begriff sein. Die Handlung von Close to the Sun hat zwar an sich nichts mit der griechischen Mythologie zu tun, der italienische Entwickler Storm in a Teacup greift aber auf das gleiche Motiv wie die Geschichte von Ikarus zurück. Nur dass es in diesem Spiel nicht um eine einzelne Person geht, die voll des Hochmutes ihren eigenen Untergang herbeiführt, sondern das Gros der berühmten Wissenschaftler des späten 19. Jahrhunderts, angeführt von Nikola Tesla.
Close to the Sun spielt auf einem riesigen Schiff namens Helios. Der berühmte Erfinder hat es gebaut, um Forschern aus aller Welt einen Ort zu bieten, wo sie ungestört ihrer Arbeit und Leidenschaft nachgehen können – mitten im Atlantik, fernab aller Staaten. Na, habt ihr gerade ein Déjà-vu? Es würde uns nicht verwundern, denn uns ging es nicht anders. Die Prämisse erinnert sehr stark ans erste BioShock. Der Ego-Shooter von Irrational Games schickt euch in die Unterwasserstadt Rapture, die ihr Schöpfer Andrew Ryan erbaut hat, um Intellektuellen und Künstlern einen Ort zu bieten, wo sie von keiner Regierung gestört werden und, simpel ausgedrückt, ihr Ding ungehindert durchziehen können.
Art déco auf statt unter Wasser
Close to the Sun ist im Grunde BioShock ohne Ballern. Nicht nur das Setting weckt Erinnerungen an den modernen Klassiker (BioShock ist immerhin auch schon wieder zwölf Jahre alt), sondern auch die Optik. Und das hat nichts damit zu tun, dass Storm in a Teacup die Unreal Engine verwendet, genau wie es Irrational einst tat (die aktuelle Version ist eh nicht mehr mit dem damaligen Stand zu vergleichen).
Das Innere der Helios ist genau wie Rapture im Art-déco-Stil gehalten. Der eine oder andere mag da "Copycat!" rufen und das durchaus zu Recht. Die visuelle Gestaltung der Levels ist nichts, was wir als neuartig beziehungsweise originell bezeichnen. Trotzdem zählt sie zu den Stärken von Close to the Sun: Die einzelnen Decks der Helios sind mit sehr viel Liebe zum Detail kreiert worden. Egal, ob ihr durch ein großes Theater, Labore, die Apartments der Wissenschaftler (unter anderem das von Albert Einstein) oder ein kleines Museum rund um die großen Erfindungen von Nikola Tesla streift, überall gibt es was zu sehen. An Tafeln finden sich lauter Formeln sowie Skizzen und die Räume sind mit zahlreichen Objekten vollgestopft, die davon zeugen, dass hier einst Menschen gearbeitet und gelebt haben.
Alles andere als ein Traumschiff
Ja, ihr könnt es euch vielleicht schon denken: So richtig viel Leben gibt es auf der Helios nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall, denn ständig steigt ihr über zerfetzte Körper der toten Wissenschaftler. Close to the Sun zeigt zwar sehr wenig aktiv durchgeführte Gewalt, die daraus resultierenden Folgen dafür umso mehr. Da hängt eben schon mal der einen oder anderen Leiche der halbe Darm aus dem Leib. Auf der Helios ist mächtig was schiefgegangen, das findet ihr schnell im Verlauf der rund sechs Stunden, die ihr für einen Durchgang benötigt, heraus (es geht aber auch schneller).
Ihr selbst verkörpert Rose Archer. Sie ist Journalistin und die ältere Schwester von Ada, die einst an Bord der Helios gegangen ist, um dort ihrer Forschungsarbeit nachzugehen. Eines Tages bittet euch Schwesterlein in einem Brief, auf das Schiff zu kommen. Schon die Tatsache, dass euch niemand in Empfang nimmt, ihr überhaupt keine Menschenseele seht, weist darauf hin, dass hier etwas nicht stimmt. Zwar erlangt ihr relativ schnell Funkkontakt zu Ada, doch außer vielen Leichen begegnet erstmal niemandem. Es gilt herauszufinden, was passiert ist und zur Schwester zu gelangen, um mit ihr gemeinsam von der Helios zu verschwinden. Aber natürlich ist das leichter gesagt als getan, zumal ja irgendwer oder irgendwas all die Wissenschaftler getötet hat und vermutlich noch an Bord ist.
Ist es noch Horror, wenn es nicht gruselig ist?
Storm in a Teacup bezeichnet Close to the Sun als Horror-Adventure. Doch als gruselig empfanden wir das Spiel nie. Hier und da versucht es zwar, euch mit Jumpscares zu erschrecken, bei uns haben die aber keine Wirkung gezeigt. Selten haben wir uns wirklich bedroht gefühlt, wie es sich für ein Horrorspiel gehören sollte. Die Ausnahme bilden eine Handvoll Fluchtsequenzen, in denen ihr vor meist nur einem Feind weglaufen müsst. Erwischt er euch, seid ihr tot und müsst es nochmal versuchen. Glücklicherweise sind die Szenen meistens sehr kurz. Die Passagen haben uns bis auf eine einzige, die mehr als nur ein simpler Dauersprint ist und mit guter Regie überzeugt, keinen Spaß gemacht. Dafür sind sie einerseits zu anspruchslos, da der Weg immer relativ offensichtlich ist und euch kein Ausdauersystem am Durchsprinten hindert.
Andererseits hatten wir das Gefühl, dass es manchmal auch einfach Glückssache ist, ob uns unser Verfolger erwischt oder nicht. Es gab Momente, in denen wir den Tod fanden, obwohl wir weder Tempo eingebüßt hatten noch den falschen Weg nahmen. Tja, und manchmal hat uns die Steuerung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn ihr etwa über Kisten klettern müsst, geschieht das nicht automatisch, indem ihr einfach auf sie zu rennt. Es reicht auch nicht, im Sprint die Sprungtaste zu drücken (die es, warum auch immer, tatsächlich gibt, gebraucht haben wir die Funktion nie). Nein, ihr müsst ein weißes Icon anvisieren. Wenn das nicht ziemlich mittig im Bild ist, könnt ihr auch nicht per Tastendruck die Kletteranimation einleiten. Das hat uns mehrfach das Leben gekostet und frustriert.
Letztendlich erzeugen die Fluchtsequenzen aufgrund der strikten Linearität keinerlei Spannung, sondern nerven eher – kein Vergleich zu einem Alien: Isolation, das ein relativ offenes Leveldesign hat und zudem von euch immer wieder verlangt, euch vor dem Xenomorph zu verstecken. Daher ist es nicht schlimm, dass diese Momente nur einen sehr kleinen Teil von Close to the Sun ausmachen.
Rätsel nach Schema F
Die meiste Zeit gestaltet sich der Titel als Walking Simulator mit eingestreuten Rätseln. Ihr erkundet die Bereiche der Helios, lest allerlei Dokumente und beweist ab und zu etwas Grips. Die Rätsel sind aber allesamt sehr simpel gehalten und noch dazu mangelt es ihnen an Abwechslung. Viel zu oft geht es darum, Codes einzugeben oder Schalter in der richtigen Reihenfolge zu betätigen. Kein einziges Rätsel ist im Gedächtnis geblieben.
Kein Grusel, mäßiges Rätseldesign - können der Walking-Simulator-Part und die Geschichte das aufwiegen? Die kurze Antwort: leider nein. Am Anfang waren wir noch richtig investigativ drauf: Wir wollten wissen, was auf der Helios vorgefallen ist, warum all die Leute gestorben sind. Zudem betreiben die Entwickler ordentliches Environmental Storytelling. Auch ohne die diversen Notizen, Zeitungen und sonstigen Schriftstücke erfahren wir einiges über die Geschehnisse auf dem Schiff – auch die abseits der großen Katastrophe, die den Untergang herbeigeführt hat. Close to the Sun bedient sich dabei eines netten Kniffs, auf den wir aus Spoiler-Gründen nicht näher eingehen wollen.
Da wäre mehr drin gewesen
Das Problem ist, dass das Spiel zu wenig aus all dem macht. Der eigentliche Plot entpuppt sich mit der Zeit als sehr flach und vorhersehbar. Wer in dieser Geschichte der Schurke ist, konnten wir uns schnell denken, zudem ist jener Bösewicht äußerst platt. Das gilt leider auch für die anderen wenigen Figuren, die in Close to the Sun wirklich eine Rolle spielen. Rose soll eine starke Heldin sein, letztendlich erfahren wir aber viel zu wenig über sie, um wirklich eine Verbindung zu ihr aufzubauen.
Auch Ada bleibt das ganze Spiel über recht oberflächlich. Das Spiel geizt beispielsweise mit Infos darüber, wie die beiden zusammen aufgewachsen sind. "Sie sind Schwestern, das muss doch reichen, um sich als Spieler Sorgen über Ada zu machen", schreit uns Close to the Sun entgegen. "Nein, tut es nicht!", antworten wir darauf. Noch dazu bleibt auch Nikola Tesla, der wie eingangs erwähnt ebenfalls eine Rolle in der Geschichte spielt, absolut blass.
Die größte Enttäuschung ist schließlich, dass das Spiel sehr unbefriedigend endet. Es gibt so manche mysteriösen Momente, die uns haben Fragen aufwerfen lassen. Antworten haben wir aber nie wirklich bekommen. Nicht falsch verstehen: Wir haben nichts dagegen, wenn ein Spiel gewisse Dinge vage lässt und uns zum Interpretieren anregt. Das ist einer der Gründe, warum wir zum Beispiel Alan Wake richtig gut finden. Vielleicht ist uns in Close to the Sun irgendwas entgangen, aber wir hatten eher den Eindruck, dass es hier in gewisser Hinsicht zu vage bleibt. Als nach knapp sechs Stunden der Abspann über den Bildschirm lief, reagierten wir nur mit einem "Wie, das war's?" darauf.
Charaktere pfui, Umgebung hui
Immerhin ist Close to the Sun technisch gelungen. Sicherlich ist es kein Grafikbrett, was vor allem an den Charaktermodellen deutlich wird, die schlecht animiert sind um kaum wie echte Menschen wirken. Doch Storm in a Teacup war sich bewusst, dass sie hier nicht mit modernen Standards mithalten können. Ihr seht nur sehr selten andere Figuren, die nicht tot am Boden liegen, und meistens auch nur aus der Ferne.
Gut gelungen ist hingegen die Lichtstimmung. Das Spiel von Licht und Schatten überzeugt und auch die Umgebungen sehen dank vieler Details und realistischen Lichtspiegelungen sehr plastisch aus. Auf so mancher Statue verweilte unser Blick etwas länger, weil sie wirklich schön aussieht. Solches Lob hat auch der Soundtrack verdient. Die Musik passt wunderbar zum Szenario und Spielgeschehen und erschafft im Zusammenspiel mit der Levelgestaltung eine dichte Atmosphäre. Zu guter Letzt müssen wir die deutsche Vertonung loben. Die Übersetzung der Texte ist zwar nicht fehlerfrei. Hier und da gibt's einen Grammatikfehler oder auch mal eine englische Textzeile, aber die Sprecher machen einen guten bis hervorragenden Job. Vor allem Lara Trautmann, besser bekannt als Lara Loft, macht als Rose einen großartigen Job.
Fazit
Wir wollten Close to the Sun wirklich mögen. Das Szenario klang im Vorfeld interessant, auch wenn die Ähnlichkeiten zu BioShock nicht zu übersehen sind. Und der Anfang des Spiels ist auch ziemlich vielversprechend. Doch genau jene Versprechen löst Close to the Sun nicht ein. Die Story entwickelt nie richtig Spannung und endet auf einer sehr unbefriedigenden Note, während euch spielerisch nur schwache Rätselkost und nervige Fluchtsequenzen erwarten. Schade, denn zumindest die Leveldesigner haben viel Herzblut bewiesen. Wir haben uns die unterschiedlichen Bereiche der Helios gerne angeschaut. Am Ende bleibt aber eben ein Spiel, das weder Horrorfans befriedigt noch als Adventure gut funktioniert. Da solltet ihr lieber nochmal SOMA oder Amnesia spielen oder einfach auf Layers of Fear 2 warten.
- Detailverliebte Umgebungen
- Gute deutsche Sprecher
- Atmosphärischer Soundtrack
- Interessantes Setting
- Enttäuschende Geschichte
- Schwaches Rätseldesign
- Nervige Fluchtsequenzen
- Grusel kommt nicht auf
- Kleine Bedienungsmacken
- Schlechte Charakterdarstellung