Assassin's Creed Odyssey habe laut Kritikern viel Grind, damit man Mikrotransaktionen tätigt. Wir sehen das anders.
Assassin’s Creed Odyssey: Assassin’s Grind? Wohl kaum!
„Assassin’s Creed Odyssey ist ein Sch***-Spiel.“ Das sagt der britische Videospieljournalist Jim Sterling in einem Video auf seinem YouTube-Kanal, das den Titel „Assassin’s Creed Odyssey – It’s grindy, it’s greedy, it’s Ubisoft!“ trägt. Diese Aussage bezieht sich nicht etwa auf die Geschichte, das grundlegende Gameplay, das Design der riesigen Spielwelt oder die Grafik. Sterling kritisiert das Open-World-Spiel für seinen angeblich hohen Grind-Faktor und dafür, dass sich dieser Grind abkürzen lässt: mit einem knapp zehn Euro teuren Boost, der euch dauerhaft für alles, was ihr im Spiel tut, die doppelte Menge Erfahrungspunkte einbringt.
„Wenn du ein Spiel machst, bei dem die Leute zahlen wollen, um es nicht spielen zu müssen, bei dem sie Geld ausgeben, um [Dinge] zu überspringen, hast du ein verdammt schlechtes Spiel produziert“, so Sterling. Er ist nicht der Einzige, der Ubisoft vorwirft, Assassin’s Creed Odyssey so designt zu haben, dass es ohne XP-Boost und andere Hilfen so Grind-lastig ist, dass es die Spieler in den Shop und zum Kauf der sogenannten „Zeitersparnisse“ treibt. Auch die Webseite Polygon bemängelt, dass der jüngste Blockbuster des französischen Publishers „ein riesiges Grinding- und Mikrotransaktionsproblem“ habe und dann am meisten Spaß mache, wenn man sich den permanenten XP-Boost kauft.
Ein Spiel, zwei Fronten
Der Grund, warum wir uns nun mit all dieser Kritik der Branchenkollegen befassen, ist einfach: Wir können sie in keiner Weise nachvollziehen. Wir haben Assassin’s Creed Odyssey bislang mehr als 40 Stunden gespielt, stecken also noch mittendrin in der Handlung. Zugegeben: Theoretisch könnte uns in 20, 30 oder 40 Stunden eine wahre Grind-Phase erwarten, die wir noch nicht selbst am eigenen Leib erfahren haben. Fest steht jedoch, dass wir bislang überhaupt keinen Grund hatten, im Spiel Erfahrungspunkte zu grinden, um in der Hauptgeschichte voranschreiten zu können. Und es ist auch nicht so, als wären wir die einzigen Menschen auf diesem Planeten, die sich bei den Vorwürfen von Jim Sterling und Co am Kopf kratzen und fragen, welches Assassin’s Creed Odyssey die Kritiker bitte gespielt haben.
Ja, es gibt zahlreiche Spieler, die sich in Internetforen über den hohen Grind-Faktor von Assassin’s Creed Odyssey aufregen. Genauso existieren aber auch diejenigen, die anderer Meinung sind – sowohl auf Seiten der Journalisten als auch der gewöhnlichen Zocker. Auf Metacritic sind die Durchschnittswertungen seitens der Presse auf allen drei Plattformen (PC, PS4, Xbox One) im grünen Bereich, die PC-Fassung liegt derzeit sogar bei einer stolzen 90. Die Nutzerbewertungen fallen zwar gemischt aus (zwischen 5.2 und 5.9), doch würden alle Spieler so kritisch sein und Assassin’s Creed Odyssey gar mit einem Star Wars: Battlefront 2 vergleichen (das bekanntlich sehr kontrovers diskutiert wurde), wären die Wertungen komplett negativ.
Zwischen Realität und Albtraumszenario ist viel Platz
Nun wollen wir Ubisoft sicherlich nicht dafür verteidigen, dass sie in ein Vollpreisspiel, das noch dazu ein reines Einzelspielererlebnis ist, einen In-Game-Shop integriert haben. Der Drang großer Publisher, die eigenen Titel mit Mikrotransaktionen vollzustopfen, ist eine der größten Negativentwicklungen der vergangenen Jahre innerhalb der Videospielbranche. Doch auf die Spielqualität wirkt sich dieses Geschäftsmodell nur dann negativ aus, wenn die Mikrotransaktionen die Balance beeinflussen.
Nehmen wir mal an, Assassin’s Creed Odyssey würde uns wirklich dazu verdammen, stupide Wölfe in den griechischen Wäldern zu töten, um das nötige Level für eine Hauptquest zu erreichen. Das in Kombination mit einem In-Game-Shop, in dem ein XP-Boost ganz groß beworben wird, würde dazu führen, dass wir das Spiel und seinen Hersteller verdammen und beim nächsten Ubisoft-Titel sicherlich nicht sofort auf den Kauf-Button bei Steam, Uplay oder sonst wo drücken würden.
Unseren Erfahrungen und dem, was andere Spieler im Internet berichten, nach zu urteilen, werdet ihr in Assassin’s Creed Odyssey zu keinem Zeitpunkt in so eine typische Grind-Situation kommen – wenn ihr denn nicht jede Nebenquest, die euch das Spiel offeriert, ignoriert. Und da wären wir beim eigentlich interessanten Aspekt in dieser ganzen Diskussion angelangt: Was ist eigentlich Grind und wie optional müssen Nebenmissionen in Open-World-Spielen sein?
„Definieren Sie Grind!“
Die erste Frage ist aus unserer Perspektive leicht zu beantworten: Unter dem Begriff Grind verstehen wir, den gleichen Inhalt eines Spiels immer und immer wieder erneut zu spielen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn ihr in World of WarCraft ein und dieselbe Raid-Instanz mehrfach spielt, weil ihr ein bestimmtes Rüstungsset vervollständigen wollt, ist das Grind. Wenn ihr in Destiny stets die gleichen Herausforderungen meistert, um euren Power-Level in die Höhe zu treiben, ist das Grind. Wenn ihr aber in Assassin’s Creed Odyssey Nebenquests absolviert, die alle für sich kleine Geschichten erzählen, vielleicht sogar mit der Hauptstory auf irgendeine Art verbunden sind, dann ist das für uns kein Grind.
Das führt uns zu der zweiten Frage: Ja, es stimmt, dass ihr in dem Actionspiel die Hauptquests nicht an einem Stück spielen könnt. Der Punkt, an dem die Levelempfehlung für die nächste Aufgabe höher ist als eure aktuelle Stufe, wird irgendwann kommen, wenn ihr euch voll und ganz auf die zentrale Geschichte rund um Alexios‘ beziehungsweise Kassandras Familie konzentriert. Somit ist das Bewältigen der Aufgaben, die man allgemein als optional auffassen würde, gar nicht so freiwillig. Doch ist das wirklich schlimm?
Die besten Inhalte solltet ihr nicht links liegen lassen
Ja, das virtuelle Griechenland der Antike beherbergt etliche langweilige Quests, die prozedural generiert und weder spielerisch noch inhaltlich spannend sind. Doch sind sie in der Benutzeroberfläche klar von den qualitativ hochwertigeren Aufträgen abgegrenzt (Erstere haben grau-schwarze, Letztere gold-schwarze Symbole). Das macht es euch einfach, diese Missionen komplett zu ignorieren und ihr werdet dadurch keine großen Einbußen beim Erfahrungspunktegewinn erleiden. Nur, weil ihr die Zufallsquests nicht spielt, werdet ihr noch lange nicht dazu verdammt sein, jedes gegnerische Lager in der Welt ausheben oder stundenlang Jagd auf Tiere machen zu müssen, um stark genug für die Hauptaufgaben zu sein.
Die Missionen mit gold-schwarzen Symbolen, die im Questmenü unter „Welt & Charaktere“ einsortiert sind, solltet ihr hingegen machen. Nicht nur, weil ihr die Erfahrungspunkte benötigt, sondern auch, weil sie einer der Aspekte sind, weshalb Odyssey ein so viel besseres Open-World-Spiel als etwa Assassin’s Creed Syndicate oder Watch Dogs ist. Jene Aufträge sind auf dem gleichen Niveau inszeniert wie die Hauptgeschichte: Es gibt viele Dialoge mit Entscheidungsmöglichkeiten, mal witzige Geschichten, mal ernstere und ihr müsst auch nicht wie in Origins ständig Leute aus Lagern befreien und durch die Gegend tragen, weil sie nicht laufen können (zumindest solange nicht, bis ihr sie in sicherem Gebiet abgesetzt habt).
Assassin’s Creed Odyssey hat ohne Zweifel inhaltliche Schwächen (die Romanzen sind deutlich schlechter umgesetzt als in The Witcher 3) und ist dennoch weitaus unterhaltsamer und wertiger als viele Open-World-Spiele der vergangenen Jahre. Und die absoluten Highlights des Titels finden sich sogar unter den zahlreichen Nebenquests. Nun könnt ihr kritisieren, dass ihr diese Missionen spielen müsst, um stets den passenden Level für die Hauptaufgaben zu haben. Dass das Spiel es euch nicht ermöglicht, die Story an einem Stück zu erleben und ihr somit dazu gezwungen seid, entweder die Nebenquests zu absolvieren oder im In-Game-Shop Geld auszugeben. Wenn eure Entscheidung auf Letzteres fällt, dann macht ihr etwas falsch. Dann spielt ihr nämlich ein Spiel, das für euch nicht geeignet ist.
Mühe sollte auch Beachtung finden
Assassin’s Creed Odyssey ist nicht darauf ausgelegt, schnell durch seine Geschichte zu sprinten und das Spiel dann beiseitezulegen. Die Entwickler investieren doch nicht jahrelang ihre Mühe in über 100 handgebaute Nebenquests, damit sie dann nur ein Bruchteil der Leute überhaupt erst spielt. Ja, es gibt Spiele, die das Ganze anders handeln. Schauen wir nur auf das große Vorbild von Odyssey: In The Witcher 3 müsst ihr weit weniger Nebenquests meistern, um stark genug für die Hauptmissionen zu sein. Klingt gut, ist aber für die sogenannten „Completionists“ weniger von Vorteil. Wer in dem Rollenspiel jede Nebenquest mitnimmt und am besten noch jedes Monsternest und Banditenlager säubert, wird irgendwann für die Hauptgeschichte überlevelt sein.
Natürlich wäre es in Assassin’s Creed Odyssey auch anders gegangen. Da die Welt mitlevelt (Gebiete, die normalerweise unter der Stufe des Spielers wären, werden auf seinen Level angehoben, um die spielerische Herausforderung zu bewahren), kann das Problem von The Witcher 3 hier gar nicht auftreten. Doch ist es für uns vollkommen verständlich, wenn die Entwickler es sich erlauben, den Spieler dazu zu bewegen, die qualitativ besseren Nebenquests von Assassin’s Creed Odyssey zu spielen, um für die Hauptgeschichte gewappnet zu sein. Zudem werden sie vom Spiel selbst nicht mal als optionale Aufgaben bezeichnet, sie sind halt einfach nur nicht elementarer Bestandteil der Hauptstory.
Jahrelang haben wir Ubisoft dafür kritisiert, seine riesigen, hübschen Spielwelten mit generischem Sammelkram und sich ständig wiederholenden Nebenaktivitäten zu füllen. Nun hat man die Kritik erhört, sich zumindest Mühe gegeben (und teilweise dabei auch gute Arbeit geleistet) und dann wird das von vielen auch wieder nicht gewürdigt, weil sie den ganzen Kram ja gar nicht spielen wollen. Ubisoft könnte das als ein Signal auffassen, in Zukunft wieder zu alten Mustern zurückzukehren. Und das will doch niemand.
„Ihr habt das falsche Spiel verurteilt!“
Wir würden den Kritikern zugestehen, dass Ubisoft das Balancing nicht perfekt hinbekommen hat. Die Hauptmissionen könnten immer so viele Erfahrungspunkte abwerfen, dass es rein hinsichtlich der Progression nicht nötig wäre, Nebenquests zu absolvieren. Was jedoch Jim Sterling und Co ankreiden, ist in unseren Augen nicht mehr als ein weiteres Anzeichen dafür, dass sie eine Agenda gegen Mikrotransaktionen in Vollpreisspielen betreiben. Dagegen allein haben wir auch nichts einzuwenden, da wir genauso wenig Fans dieses Geschäftsmodells sind. Assassin’s Creed Odyssey ist aber das falsche Spiel für den Pranger, da sich das Ganze hier nicht negativ auf das Spieldesign auswirkt und der Shop daher komplett ignoriert werden kann – genau wie im Vorgänger Origins.
Ordentliche Nebenquests in einem Open-World-Titel zu spielen, ist kein Grind, auch wenn sie nicht so optional sind wie in anderen Spielen. Aber sofern man Assassin’s Creed Odyssey gegenüber nicht allgemein abgeneigt ist, werden sie einem Spaß machen. Und das ist es, was die Entwickler erreichen wollten: dass ihr die Nebenquests spielt und sie euch Spaß machen. Wer in dieses Profil nicht hineinpasst, spielt eben was anderes oder hofft auf einen Balancing-Patch, der für höhere XP-Belohnungen für absolvierte Hauptmissionen sorgt. Aber selbst dann könnten wir euch etliche Spiele nennen, bei denen es sich mehr lohnt, sie wegen ihrer Story zu spielen. Denn so sehr wir hier für das Spiel in die Bresche springen: Dafür braucht ihr kein Assassin’s Creed Odyssey.