Dass V Rising ein Early-Access-Spiel sein soll, kann man kaum glauben, so umfangreich und poliert, wie der Vampir-Survival-Spaß ist.
V Rising ist unfair gegenüber allen anderen Early-Access-Spielen
Es soll ja Leute geben, die heute immer noch eine Aversion gegen Vampire haben, weil sie stets einen glitzernden Robert Pattinson vor Augen haben. Aber so, wie sich der aktuelle Batman-Darsteller von seiner "Twilight"-Vergangenheit längst loslösen konnte, so können das auch die Blutsauger – mal ganz davon abgesehen, dass es schon vor den schrecklichen Teenie-Schmonzetten coole Vampirgeschichten in schriftlicher und visueller Form gegeben hat. Mit V Rising ist jüngst das vielleicht beste interaktive Werk rund um Untote, die in Särgen schlafen und den roten Körpersaft Lebender trinken müssen, erschienen. Halt! Nein, es ist noch gar nicht offiziell erschienen, sondern verweilt für rund ein Jahr im Early-Access-Status. Viel merkt man davon aber nicht.
Ok, ich habe vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Ob V Rising nun das beste Vampirspiel ist, darüber lässt sich vortrefflich streiten. Fans von Vampire: The Masquerade – Bloodlines oder der "Legacy of Kain"-Reihe werden da vielleicht widersprechen. Aber dass V Rising ein fantastisches Online Game ist, daran besteht für mich kein Zweifel. Ich war im Vorfeld interessiert an dem Titel und hatte mich nach dem Studieren einiger Gameplay-Videos auch durchaus darauf gefreut, aber dass V Rising seine Fangzähne so tief in meinen Hals rammen und ich mich dem Aussaugen einfach hingeben würde, hätte ich nicht gedacht. Übersetzt heißt das: Ich bin verliebt in dieses Spiel. Selten ertappe ich mich dabei, wie ich jeden einzelnen Aspekt eines Titels gelungen finde. Hier greift jedes Zahnrad perfekt ineinander, jede Mechanik ist gut durchdacht und ich gehe aus jeder Session mit dem Gefühl heraus: "Wow, ein Spiel auf dem Niveau hätte ich früher von Blizzard erwartet."
Valheim + Diablo? Nicht ganz
Falls ihr die letzten Tage unter einem Stein verbracht und nicht mitbekommen habt, wie V Rising die PC-Spieler-Community im Sturm erobert hat, hier eine kurze Zusammenfassung des Spielprinzips: Das Ding ist ein Survival-Spiel mit Vampiren, aber hier seid ihr ausnahmsweise mal das Monster, das Jagd auf andere macht. Und wenn ich "Vampire" schreibe, dann meine ich die ganz klassischen Blutsauger à la Graf Dracula. Ihr könnt das Ganze alleine auf einem privaten Server spielen oder auf öffentlichen und habt die Wahl zwischen reinen PvE-, normalen und Hardcore-PvP-Servern. Nur auf letzteren ist es möglich, dass euch andere Spieler euer ganzes Inventar ausräumen, nachdem sie euch umgebracht haben. Serverbetreiber haben aber jede Menge Freiheiten, was die Einstellungen betrifft, daher solltet ihr euch die immer im Detail anschauen, bevor ihr einer Welt beitretet.
Der Spielablauf, nachdem ihr euren eigenen Vampir im relativ rudimentären Editor erstellt habt, folgt dem typischer Survival-Spiele: Ihr sammelt Ressourcen, stellt euch Waffen, Kleidung und andere nützliche Gegenstände her, fangt irgendwann mit dem Bau eures eigenen Unterschlupfs an und müsst dabei mit allerlei Gefahren klarkommen. Die einzelnen Gameplay-Elemente kennt man bereits aus anderen Spielen, aber das Gesamtkunstwerk V Rising ist einzigartig. Anders als in Rust, Conan Exiles und Co steuert ihr euren Charakter aus der isometrischen Perspektive durch die Open World. Wer nun an Diablo denkt, denkt aber gar nicht mal so richtig. Ihr bewegt euch nicht mit Mausklicks fort, sondern kontrolliert euren Vampir mit "W", "A", "S" und "D". Mit der Maus bestimmt ihr die Blick- und damit auch Angriffsrichtung. Mit der linken Taste attackiert ihr, haltet ihr die rechte gedrückt, bewegt ihr die Kamera. Das ist super intuitiv, so dass ihr schnell alles verinnerlicht habt.
Kämpfe zum Verlieben
Das bringt mich zum Kampfsystem. Der schwedische Entwickler Stunlock Studios hat sich hier an seiner eigenen Vergangenheit bedient. Von ihm stammen die Arena-Brawler Bloodline Champions und Battlerite, die sich genauso steuern wie V Rising. Wer mit einem der beiden Titel schon Erfahrung gesammelt hat, wird sich erst recht schnell zurechtfinden. Und so spaßige Kämpfe wie dieses Survival-Spiel bietet aktuell kein anderer Genrevertreter. Das liegt nicht nur an der bereits erwähnten Qualität der Bedienung, sondern auch daran, dass sich a) eure Angriffe dank ordentlichem Trefferfeedback allesamt mächtig anfühlen und b) die Gegner wie in einem richtig guten Hack and Slay unterschiedliche Verhaltensmuster an den Tag legen. Selbst unter den Standardfeinden finden sich so einige Exemplare, die ganz eigene Fähigkeiten beherrschen, die ihr euch einprägen solltet, wenn ihr bestehen wollt.
Das Highlight sind aber eindeutig die Bosskämpfe. Es gibt bereits fast 40 unterschiedliche Endgegner, von denen die meisten einfach so in der offenen Welt anzutreffen sind. Jeder dieser Bosse ist einzigartig und je höher ihre Stufe ist, desto anspruchsvollere Mechaniken haben sie. Der eine platziert Fallen auf dem Boden, der andere belegt euch ständig mit einem Angstfluch, damit ihr unkontrolliert vor ihm wegrennt und ihn währenddessen nicht angreifen könnt. Die Bosskämpfe sind gerade dann, wenn man solo spielt (was ich bislang leider ausschließlich getan habe), echt knackig, aber sie lohnen sich immer. Als Belohnungen winken euch oftmals neue Fähigkeiten, Bauoptionen und Rezepte.
Ein Loop, aus dem man nicht mehr ausbrechen möchte
Generell bietet V Rising ein tolles Fortschrittsgefühl und das hängt sehr mit dem Bausystem zusammen. Stetig mehr Optionen zu erhalten, euer Schloss auszubauen, ist großartig. Jeder neue Crafting-Tisch eröffnet euch mehr Möglichkeiten, stärker zu werden. Ihr habt gerade das Rezept für Kupferbarren erhalten und könnt einen Schmelzofen errichten? Ja, super, dann könnt ihr euch bald Kupferwaffen basteln und damit wiederum dem nächststärkeren Boss entgegentreten, um die nächsten Dinge freizuschalten. Die Sogwirkung dieser Progressionsspirale ist enorm stark. Hinzu kommt, dass ihr natürlich auch ein möglichst prächtiges Schloss haben wollt. Die kreativen Freiheiten sind zwar aufgrund der isometrischen Kamera nicht so groß wie in einem Valheim, aber mit etlichen Stauen, Bildern und anderen Deko-Objekten könnt ihr es euch trotzdem richtig heimelig machen – also, zumindest für einen Vampir.
Auch hier glänzt die Bedienung. Das Baumenü ist sehr aufgeräumt, die Platzierung von Objekten in der Welt intuitiv. Ihr könnt sogar bis auf Böden und Mauern alles nach Belieben hin- und herschieben, ohne dass es euch etwas kostet. Dadurch ist es ein Klacks, sein Eigenheim mal eben umzudekorieren oder aus einer Werkstatt ein Verlies zu machen, in dem ihr Gefangene in Käfig einsperrt, damit sie euch als offenes Buffet dienen.
Blut ist nicht gleich Blut
Zu guter Letzt muss ich noch die Umsetzung des Grundgedankens, dass ihr ja einen Vampir spielt, loben. Besser hätte man die Thematik wohl kaum aufgreifen können. Einerseits ist klar: Ihr braucht regelmäßig Blut. Die Suche nach Opfern könnte schnell zu einem nervigen Spielelement werden (siehe Vampire: The Masquerade – Swansong), ist sie hier aber nicht. Ein Reh, eine Ratte oder ein Rudel Wölfe findet sich immer, ihr müsst nicht zwangsweise Menschen aussaugen. Allerdings ist die Motivation da, Opfer mit Blut von besonders hoher Qualität zu finden (wird in Prozent angezeigt). Jedes lebende Wesen in V Rising ist einer "Klasse" zugeordnet. Tiere sind Kreaturen und unter den Menschen finden sich zum Beispiel Schurken und Barbaren. Jede dieser Klassen bietet fünf Buffs und je hochprozentiger das Blut ist, das ihr trinkt, desto mehr dieser teils sehr mächtigen Boni erhaltet ihr.
Wenn ihr nun Blut von sehr hoher Qualität intus habt, euch aber heilen müsst, weil ihr im Kampf Schaden eingesteckt habt, verbraucht ihr dabei euren Blutvorrat (der aber sowieso über die Zeit hinweg immer weiter abnimmt). Irgendwann müsst ihr dann wieder jemand Neues aussaugen, was jedoch bedeutet, dass ihr eure aktuellen Buffs aufgebt – es sei denn, ihr findet ein Opfer, das der gleichen Klasse angehört und dessen Blut mindestens genauso gut ist wie eure vorherige Mahlzeit. Mir gefällt das System richtig gut, weil es die Jagd jedes Mal aufs Neue zu einer spannenden Angelegenheit macht. Die Blutqualitäten sind komplett vom Zufall abhängig. Es kann also auch mal sein, dass ein wehrloses Reh 100-prozentiges Blut in sich trägt.
Sonnencreme ist leider aus
Bezüglich des Tag-/Nachtwechsels war ich anfangs noch etwas skeptisch. Als Vampir könnt ihr nun mal nicht bei Sonnenschein ruhige Waldspaziergänge machen – außer, ihr haltet euch stets nur im Schatten auf. Seid ihr ein paar Sekunden zu lange in der Sonne, nehmt ihr schweren Schaden. Wenn ihr also tagsüber unterwegs seid, müsst ihr geschickt von Schatten zu Schatten bewegen, um nicht zu verglühen. Nach fünf Minuten geht die Sonne unter und dann ist es doppelt so lange finster, so dass ihr euch völlig frei bewegen könnt.
Ich dachte, dieses Feature könnte mir richtig auf die Nerven gehen, weil man sich dazu genötigt fühlen könnte, am Tag im eigenen Schloss zu bleiben. Sicherlich ist es keine unkluge Strategie, bei Sonnenschein nicht vor die Tür zu gehen und stattdessen seine Bude auszubauen. Aber ich habe mittlerweile richtig Spaß daran gefunden, bei Tag durch die Welt zu streifen und mich der Herausforderung zu stellen, den nicht zu verbrennen, in dem ich meine Wege geschickt wähle, um nie zu lange dem Licht ausgesetzt zu sein.
Wenn wir schon beim Thema Schwächen von Vampiren sind: Silber und Knoblauch spielen ebenfalls eine Rolle. Das Edelmetall gibt es in V Rising in Form von Münzen, die ihr von Gegnern erbeuten und bei fahrenden Händlern gegen besondere Gegenstände eintauschen könnt. Der Haken dabei: Solange ihr Silber bei euch tragt, leidet ihr unter einem Debuff, der euch konstant Lebensenergie raubt – eine clevere Idee, weil ihr so Risiko und Nutzen abwägen müsst und das Ganze zu spannenden Situationen führen kann. Knoblauch hat einen ähnlichen Effekt, nur dass ihr den niemals bei euch tragt. Die menschlichen Bewohner der Spielwelt haben ihn aber auf ihren Farmen und in den Siedlungen hängen, denn sie wissen natürlich, wer es auf sie abgesehen hat.
Wie kann das Early Access sein?
Es gibt noch so viel, was ich meinen fast 20 Stunden mit V Rising noch nicht gesehen habe. Ich bin noch lange nicht am Ende der Progression angelangt, werde also noch viele weitere Stunden mein neues Zweitleben als Vampir genießen können, ohne dass Stunlock Studios etwaige Inhalts-Updates veröffentlicht. Was das Spiel bereits für einen Umfang bietet, ist erstaunlich. Obendrein läuft es technisch absolut rund. Mir ist noch kein einziger Bug begegnet, die Performance ist super und nicht ein Feature wirkt noch irgendwie unausgereift. Ich weiß ja nicht, was Stunlock noch alles vorhat, während der Early-Access-Phase umzusetzen, aber für mich fühlt sich V Rising schon wie ein fertiges Spiel an. Jeder, der Vampire cool findet, Survival-Spielen nicht abgeneigt ist, aber vor allem mal eines mit richtig tollem Gameplay spielen möchte, sollte für die 20 Euro, die der Titel kostet, unbedingt einen Blick riskieren. Glaub mir: Der Blutdurst wird euch so schnell nicht mehr loslassen.