Ein bisschen RPG, ein bisschen Adventure, ein bisschen Detektivgeschichte. Irgendwie ist Vampire: The Masquerade – Swansong fast alles, aber nichts davon macht es gut.
Vampire: The Masquerade – Swansong im Test: Ein Spiel zwischen allen Stühlen
Big Bad Wolf, ein kleines Studio aus Frankreich, hat vor vier Jahren mit The Council einen interessanten Mix aus Adventure, Rollen- und Detektivspiel herausgebracht. Der Titel hat durchaus seine Macken gehabt, vor allem die Animationen und die technische Präsentation sind etwas hölzern gewesen. Die Grundidee haben die Macher aber gut umgesetzt. Umso gespannter warteten wir auf den nächsten Titel des Studios. Nach der Ankündigung von Vampire: The Masquerade – Swansong war klar, dass Big Bad Wolf der Prämisse von The Council treu bleibt, das Setting aber in die World of Darkness verlegt. Dabei handelt es sich um ein düsteres Fantasy-Universum, in dem auch schon das legendäre Vampire: The Masquerade – Bloodlines angesiedelt ist. Einem Entwicklerteam, das sich auf narrative Rollenspiel-Adventures spezialisiert hat, bietet das jede Menge Potenzial. Welche spannenden Geschichten das Studio wohl in dieser Welt erzählen würde? Spoiler-Alarm! Eine völlig gewöhnliche, langweilige 0815-Detektiv-Story, die diejenigen unter euch, die bislang keine Berührungspunkte mit der World of Darkness gehabt haben, vermutlich nicht mal richtig verstehen werden.
Wer kämpft hier eigentlich gegen wen und warum überhaupt?
Kurioserweise sind die großen Stärken von The Council, also die Narration und das Worldbuilding, die mit Abstand krassesten Schwächen von Vampire: The Masquerade – Swansong. Das wird schon in den ersten Stunden deutlich, in denen euch das Spiel lächerlich viele Lore-Begriffe um die Ohren schmeißt. Der Prinz der Camarilla, Hazel Iversen, versucht die Beziehungen zwischen Boston und Hartford zu stärken und organisiert eine große Party, an der beide Fraktionen teilnehmen. Die Feierlichkeiten werden allerdings durch einen Code Red unterbrochen und alle verbleibenden Anhänger der Camarilla werden an den Hof des Prinzen gerufen. Leider bietet euch das Spiel innerhalb seiner Erzählung keinerlei Kontext zu Eigennamen und erklärt auch nicht, was eigentlich ein Code Red ist. Dass es sich bei Camarilla um die Bezeichnung einer Sekte handelt, die sich im Nordosten der USA angesiedelt hat und Vampiren einen sicheren Zufluchtsort bieten möchte, erfahrt ihr nur, wenn ihr euch seitenlange Lore-Texte im Kodex des Spiels durchlest.
Solltet ihr über Vampire: The Masquerade – Swansong das erste Mal mit der World of Darkness in Berührung kommen, empfehlen wir euch dringend, alle Lore-Texte durchzulesen (und das sind leider sehr viele). Ihr werdet sonst nicht in der Lage sein, die Geschehnisse wirklich zu verstehen. Zum Vergleich: Ein The Witcher spielt auch in einer bereits zuvor ausgearbeiteten Fantasy-Welt, allerdings könnt ihr dort dem Geschehen wunderbar folgen, ohne eine einzige Kodexseite oder eines der vielen Bücher zu lesen.
Wären nicht gleich zu Beginn so viele Fragezeichen über unseren Köpfen, wäre der Einstieg ins Spiel eigentlich gut gelungen. Ihr schlüpft abwechselnd in die Rollen von Galeb, Emen und Leysha, die stark unterschiedliche Charaktere sind. Leysha gehört beispielsweise zu den Malkaviern, einem Clan, dessen Mitglieder von Wahnsinn und Visionen geplagt werden. So ergeht es auch ihr, die Hazel eigentlich treu ergeben ist, sich aber nie sicher sein kann, wann sie das nächste Mal die Kontrolle über sich verliert und sich anschließend an erlebte Geschehnisse korrekt erinnern kann.
Galeb hingegen könnte man als den Vampir fürs Grobe und den mit Abstand treuesten Gefolgsmann des Prinzen bezeichnen. Emem hingegen gerät gleich zu Beginn zwischen die Fronten, da sie einerseits das Leben am Hofe in Boston verabscheut, andererseits kein Interesse hat, die Stadt zu verlassen. Blöderweise zählt ihre Freundin zu den Hauptverdächtigen, die den Code Red ausgelöst haben könnten.
Wie ihr die Figuren ausspielt, bleibt zu jederzeit euch überlassen. Kein Interesse Emems Freundin zu helfen? Dann arbeitet mit Prinz Hazel gegen sie. Genauso gut könnt ihr aber auch beide Seiten gegeneinander ausspielen. Vampire: The Masquerade – Swansong bietet euch so viele Freiheiten, Einfluss auf den Handlungsverlauf zu nehmen, wie ihr sie selten in Spielen dieser Art vorfindet. Außerdem sind die Protagonisten im Ansatz auch durchaus interessant und bieten viel Potenzial für spannende Charakterentwicklungen. Blöd nur, dass dieses Big Bad Wolf dieses Potenzial nicht nutzt.
Das "World of Darkness"-Universum ist hier unnütz
Trotz der interessanten Ausgangslage zeigt sich relativ schnell, dass die eigentliche Geschichte und auch ihre Charaktere total austauschbar sind. Emems intrigenreiche Geschichte in Boston würde leider auch an jedem mittelalterlichen Hof und ohne Vampire funktionieren. Letzten Endes klärt Galeb nur einen Standardkriminalfall auf. Obwohl sich die Entwickler ein eigentlich interessantes Setting für ihre Geschichte ausgesucht haben, nutzen sie das Potenzial der World of Darkness leider überhaupt nicht.
Obendrein hat Big Bad Wolf es nicht geschafft, eine große Stärke von The Council in Vampire: The Masquerade – Swansong erneut auszuspielen: In seinem vorherigen Werk gibt es zwar sehr wohl die RPG-typischen Charakterwerte, Erfahrungspunkte und Talentbäume, allerdings keine Kämpfe. An deren Stelle treten Diskussionen, bei denen ihr euer Gegenüber von etwas überzeugen müsst. Die Story geht zwar auch weiter, wenn ihr scheitert, aber das bringt euch nicht eurem übergeordneten Ziel näher.
Vampire: The Masquerade – Swansong übernimmt dieses System. Dummerweise haben die Entwickler es mit Features angereichert, die die eigentlich coolen Konfrontationen total konterkarieren. Das liegt an den übernatürlichen Vampirfähigkeiten der drei Protagonisten. Ähnlich wie schon in The Council könnt ihr Talente wie Rhetorik und Schlussfolgern einsetzen, sofern ihr genug Talentpunkte habt. Diesmal seht ihr aber, über welchen Talentwert euer Gegenüber verfügt. Sollte der höher sein als euer eigener, habt ihr immer noch die Möglichkeit, euer Talent zu fokussieren. Das verbraucht enorm viel Willenskraft (dient als Energie für Aktionen), steigert aber auch die Erfolgschance. Nun ist es möglich, dass ihr selbst dann scheitert, wenn euch das Spiel eine Erfolgschance von 100 Prozent angibt. In so einem Fall hat euer Gegner sein Talent ebenfalls fokussiert, was das Spiel euch nicht vorher verraten hat. Das führt die 100 Prozent Erfolgschance ad absurdum und ist extrem frustrierend.
Ein weitere Neuerung gegenüber The Council ist der Blutdurst. Immerhin spielt ihr Vampire und die ernähren sich nun mal nicht von Burgern und Hot Dogs. Wie es um euer Bedürfnis nach rotem Körpersaft bestellt ist, verrät ein Blick auf die Disziplinleiste, die sich direkt unter eurer Willenskraft befindet. Benutzt ihr übernatürliche Fähigkeiten, steigt euer Blutdurst. An sich verbirgt sich hinter dieser Mechanik eine ganze coole und konsequente Idee. In der Praxis ist es aber extrem langweilig und nervig, ständig Opfer suchen und ihnen so viel Blut wie möglich rauben zu müssen, ohne dass sie sterben und irgendjemand etwas mitkriegt.
Jede Mahlzeit besteht letztendlich nur aus zwei Mausklicks und wenn ihr euch nicht gerade mitten im Pulk euer Abendessen genehmigt, ist es auch keine Herausforderung, dabei nicht gesehen zu werden. Das ist kein spannendes Spielelement, sondern eine doofe Pflichtaufgabe. Stillt ihr euren Blutdurst nämlich nicht, fällt euer Charakter automatisch den nächstbesten NPC an und saugt ihn leer. Passiert euch das, treibt das eine Misstrauensskala nach oben. Die anderen Vampire um euch herum fangen an an eurem Können zu zweifeln. Warum menschliche NPCs nur irritiert sind, wenn sie Zeuge von euren Taten werden, erschließt sich uns auch nicht. Sollte die einmal komplett gefüllt sein, flimmert zwar kein "Game over" über den Bildschirm, ihr müsst aber erhebliche Mali auf eure Werte in Kauf nehmen. Die werdet ihr zwar im Laufe der Zeit wieder los, da sich nach jedem Kapitel die Skala etwas senkt, ihr solltet es aber nicht darauf ankommen lassen.
Rätsel, die nur Sherlock Holmes lösen könnte
Als ob wir hier nicht schon genug Kritik geäußert hätten, ist leider auch noch einer der größten Aspekte von Vampire: The Masquerade – Swansong misslungen: die Rätsel. Rein theoretisch gibt es immer eine Lösung, für die ihr weder Vampirfähigkeiten noch eure Talente einsetzen müsst. Allerdings braucht ihr ein lächerlich hohes Deduktionsvermögen, das vermutlich nur der weltbeste Detektiv dieser Welt aufbringt, um auf jene Lösung zu kommen. Das liegt zu einem erheblichen Teil daran, dass die allermeisten essentiellen Hinweise in Nebensätzen von Dialogen fallen, die meistens gleich zu Beginn einer Szene geführt werden – also genau dann, wenn ihr noch gar nicht wissen könnt, was im Anschluss wichtig sein wird. Im Prinzip bedeutet das, dass ihr entweder in der Realität einen Logikwert von über 1000 oder ein fotografisches Gedächtnis haben müsst.
Auf den Einsatz eurer Talente und Fähigkeiten könnt ihr euch aber auch nicht sicher verlassen. Wir erinnern uns an das 100-Prozent-Problem in den Dialogen. Es kann auch sein, dass ihr an bestimmten Punkten keine Willenskraft mehr übrig habt und deshalb kein Talent mehr einsetzen dürft. Es gibt zwar hin und wieder ein bis zwei Verbrauchsgegenstände in den Levels, die eure Willenskraft zum Teil wiederherstellen, aber eben nur zum Teil und sie liegen auch nicht an jeder Ecke rum. In The Council ist das Rätseldesign deutlich intuitiver.
Durchschnittliche Technik und Animationen
Vampire: The Masquerade – Swansong lief während der Test-Session in der Regel ohne Probleme. Die Grafik ist auf ordentlichem Niveau, reißt aber auch keine Bäume aus. Viel nerviger waren hingegen einige Animationsaussetzer, die teils zu einer unfreiwilligen Komik beitrugen. Eine gefährliche Situation wirkt gleich viel weniger gefährlich, wenn euer Gegenüber seinen Mund beim Sprechen nicht mehr bewegt und keine Augen hat. Die Gesichtsanimationen führten aber leider auch abseits gelegentlicher Aussetzer zu einem Immersionsbruch. Für ein Spiel, in dem ihr enorm viel Zeit mit Gesprächen verbringt und somit auf Gesichter schaut, hätte es nicht geschadet, wenn letztere nicht so hölzern und puppenhaft wirken würden.
Fazit
Vampire: The Masquerade – Swansong hätte der nächste große Schritt von Big Bad Wolf in Richtung narrative Rollenspiel-Adventures sein können. Das ist es leider keineswegs geworden. Obwohl euch die Entwickler zu Beginn in eine eigentlich interessante Welt werfen, verkommt der Rest des Spiels zu einer Standardkriminalgeschichte, die bedauerlicherweise vollgestopft ist mit Begrifflichkeiten aus der World of Darkness. Seid ihr mit der nicht vertraut, müsst ihr entweder quälend viele Kodexeinträge lesen oder damit klar kommen, dass ihr die Umstände und Hintergründe von Vampire: The Masquerade – Swansong schlicht nicht verstehen werdet.
Allerdings ist das Spiel eh kaun jemandem zu empfehlen. Selbst wenn ihr euch alles durchlest, lohnt sich das nicht, weil der Plot absolut langweilig ist. Fans von Vampire: The Masquerade bekommen zudem zu weniger Fanservice, weil die Entwickler das Setting bis auf wenige Ausnahmen überhaupt nicht nutzen. Vielleicht gelingt Big Bad Wolf mit seinem nächsten Projekt wieder etwas Besseres. In dem Studio steckt eigentlich viel Potenzial, aber mit diesem blutlosen Genremix hat es sich keinen Gefallen getan.
- Cooler Einstieg in die Geschichte
- Interessantes Setting, ...
- ... mit dem nichts gemacht wird.
- Charaktere total austauschbar
- Hölzerne Gesichtsanimationen
- Völlig undurchsichtiges Rätseldesign
- Nervige Blutdurstmechanik
- Viel zu viele Kodexeinträge ...
- ... und die allein vermitteln die Lore