Mit Thronebreaker: The Witcher Tales liefert CD Projekt die (fast) perfekte Symbiose aus RPG und Sammelkartenspiel ab.
Thronebreaker – The Witcher Tales im Test: Krieg der Karten
Digitale Sammelkartenspiele haben sich in den vergangenen Jahren als äußerst beliebt erwiesen. Der Genrekönig ist Hearthstone – nicht nur aufgrund seines immensen Erfolgs, sondern auch wegen der spielerischen Qualität. Doch genau wie all den anderen Spielen dieser Art fehlt dem Blizzard-Titel etwas: spannende Einzelspielerinhalte. CD Projekt RED wollte es bei seinem Kartenspiel Gwent: The Witcher Card Game anders, besser machen. Eine große Story-Kampagne sollte es bekommen, die eine neue Geschichte aus dem „The Witcher“-Universum erzählt. Thronebreaker: The Witcher Tales ist nun genau diese Kampagne. Doch ist sie nicht Teil des erwähnten Free-to-Play-Titels, sondern ein eigenständiges Spiel, das für knapp 26 Euro verkauft wird. Stellt sich also die Frage, ob sich die Investition lohnt oder ob wir CD Projekt RED nicht sogar böse sein sollten, weil sie das Ganze ausgekoppelt haben, um extra abzukassieren.
Das RPG unter den Kartenspielen
Solltet ihr zu der Sorte Mensch gehören, die Sammelkartenspielen genauso abgeneigt ist wie ein Veganer dem Konsum von Fleisch, muss das noch nicht heißen, dass Thronebreaker: The Witcher Tales euch nicht doch gefallen könnte. CD Projekt RED hat sich nicht umsonst dazu entschieden, den Titel namentlich stark von Gwent: The Witcher Card Game abzugrenzen. Ja, die Kartenduelle sind ein wichtiger Bestandteil des Spiels. Doch während es bei einem reinen Sammelkartenspiel einzig darum geht, ein starkes Deck zusammenzustellen und damit andere Spieler zu besiegen, steht in Thronebreaker: The Witcher Tales die Geschichte im Vordergrund.
Das Ding ist eigentlich ein Rollenspiel und die Gwent-Mechanik nichts weiter als dessen Kampfsystem. The Witcher 3: Wild Hunt hat Echtzeitgefechte mit einem einzelnen Helden, Dragon Quest 11 rundenbasierte Kämpfe mit mehreren Heroen und in Thronebreaker werden eben alle Figuren durch Karten verkörpert. Wenn ihr es also zum Beispiel mit Banditen zu tun bekommt, dann kämpft ihr innerhalb der Geschichte und Welt auch wirklich gegen die Schurken. Die Gwent-Duelle sind lediglich eine Abstraktion solcher Konfrontationen. Wer sich allein daran stört, sollte besser die Finger von Thronebreaker: The Witcher Tales lassen. Alle anderen lesen aufmerksam weiter.
Königlich gute Geschichte
Wer darauf gehofft hat, ein umfangreiches Wiedersehen mit Geralt zu erleben, wird vielleicht etwas enttäuscht sein. Der berühmte Hexer von Riva taucht zwar in Thronebreaker: The Witcher Tales auf, spielt aber keine große Rolle. Die Geschichte fokussiert sich auf Meve, die Königin von Rivien und Lyrien, von der ihr sicherlich schon mehrfach gehört habt, wenn ihr die „The Witcher“-Trilogie oder zumindest Teil 3 gespielt habt. Die Monarchin sieht sich mit der Armee Nilfgards konfrontiert, die in ihre Reiche einfällt. Thronebreaker: The Witcher Tales ist also im Wesentlichen eine Kriegsgeschichte, die vor den Ereignissen des ersten „The Witcher“-RPGs angesiedelt ist – und sie ist richtig gut.
Meve ist eine starke Hauptfigur, deren Handeln absolut nachvollziehbar ist. Und ihr könnt sogar Entscheidungen treffen, die sich stellenweise auf den Verlauf der Geschichte auswirken. An diesen Stellen wird deutlich, dass an Thronebreaker zum Teil die gleichen Leute gearbeitet haben, die auch die „The Witcher“-Spiele fabrizierten. Oft genug wird eure Moral auf die Probe gestellt, wenn ihr zum Beispiel entscheiden müsst, ob einfache Bauern, die Banditen bei sich aufgenommen haben, hart dafür bestraft werden sollen. Lasst ihr sie mit Schmerzen büßen? Zwingt ihr die Männer zum Militärdienst? Oder belasst ihr es doch bei einer Ermahnung? Ihr entscheidet, ob Meve eine harte oder gerechte Königin ist. Und glaubt uns: Je weiter ihr im Spiel voranschreitet, desto schwieriger werden euch diese Entscheidungen fallen.
Ein spielbarer Roman
Die Art der Erzählweise beziehungsweise Inszenierung von Thronebreaker: The Witcher Tales ist allerdings nicht jedermanns Sache. Aufwendige Zwischensequenzen? Gibt es nicht! Entweder habt ihr Charaktere, die sich auf einer 2D-Ebene gegenüberstehen und Worte austauschen oder reine Textfenster mit romanartigem Inhalt samt Erzähler. Keine Bange, zum Lesen seid ihr nicht verdammt. Bis auf Briefe oder andere Dokumente, die ihr in der Welt findet, sind alle Texte hochprofessionell vertont. Das gilt sowohl für die englische als auch deutsche Fassung. Erstere versprüht aber doch einen Hauch mehr Atmosphäre, was den diversen Dialekten der Charaktere zu verdanken ist, die im Deutschen fehlen.
Die Präsentation von Thronebreaker: The Witcher Tales ist weit davon entfernt, als spektakulär oder filmreif bezeichnet zu werden. Doch stimmig ist das Spiel allemal. Die Texte sind sehr schön geschrieben. Wir haben den Sprechern stets gerne zugehört und darüber hinaus hat dieser Romanstil einfach etwas für sich. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal und wer sich darauf einlassen kann, wird mit großer erzählerischer Qualität belohnt.
Die Welt: Reichhaltig und schön
Spielerisch gibt es ebenso wenig an Thronebreaker auszusetzen. Im Grunde besteht das Spiel aus zwei Ebenen: der Erkundung der Welt und den Kämpfen mit Karten. Die Welt besteht aus fünf großen Maps, die ihr aus der isometrischen Perspektive betrachtet. Meve bewegt ihr ähnlich wie in einem Diablo mit Mausklicks durch die hübsch gezeichneten kleinen Dörfer und über Landstraßen. Immer wieder stoßt ihr auf NPCs. Haben die ein Fragezeichen über ihrem Schädel, ist das das klassische Zeichen für: „Hey, wir könnten Hilfe gebrauchen.“ Die Welt von Thronebreaker: The Witcher Tales ist vollgestopft mit Nebenaufgaben, die allesamt kleine Geschichten erzählen.
Generell gibt es sehr viel zu entdecken. Da ist eine Schatztruhe, dort gibt es wichtige Ressourcen oder ein Monster, das auf einem Friedhof für Angst und Schrecken sorgt. Entweder stoßt ihr „zufällig“ auf diese Dinge, weil euch euer Weg an ihnen vorbeiführt, oder ihr nutzt die Anschlagbretter in Siedlungen, woraufhin entsprechende Markierungen auf der Weltkarte erscheinen.
Deck = Armee
Die angesprochenen Ressourcen benötigt ihr, um euer Armeelager auszubauen und eure Truppen zu vergrößern. Meve ist nicht allein unterwegs, auch wenn ihr nur sie in der Welt seht, sondern zieht mit ihrem Heer umher. Per Klick auf den entsprechenden Button gelangt ihr in das Lagermenü. Hier könnt ihr unter anderem eure Armee, also euer Kartendeck zusammenstellen. Wie in Gwent: The Witcher Card Game dürft ihr nicht unbegrenzt viele Karten in euer Deck aufnehmen, müsst also strategisch abwägen, wie viele Exemplare eines Blattes ihr in Kämpfe mitnehmen wollt oder auf welche Karten ihr verzichten könnt.
Neue Exemplare schaltet ihr hauptsächlich dadurch frei, indem ihr die Zelte eures Lagers ausbaut. Die Karten lassen sich dann aber noch nicht direkt einsetzen, sondern ihr müsst sie, genauer gesagt die jeweiligen Einheiten, erst noch rekrutieren. Wer ein starkes Deck haben möchte, braucht viele Ressourcen, sollte also die Umgebungen stets aufmerksam erkunden und die optionalen Quests erfüllen. Die liefern euch zudem hin und wieder Teile neuer Karten, die ihr nicht einfach über den Ausbau eures Lagers bekommen könnt. Habt ihr alle Fetzen einer solchen Karte beisammen, könnt ihr sie auch fortan herstellen und in euer Deck packen. Wer zudem nicht nur Thronebreaker, sondern auch Gwent: The Witcher Card Game spielt, freut sich darüber, besondere Karten für den Multiplayer-Titel freischalten zu können – ein zusätzlicher Motivationsfaktor, die Welt genau zu erforschen und nicht nur strikt der Hauptgeschichte zu folgen. Dadurch beschäftigt euch Thronebreaker locker über 30 Stunden.
Gwent mal anders
Dass die Kämpfe in dieser langen Spielzeit nicht auf Dauer langweilig werden, ist der Tatsache zu verdanken, dass nur die wenigsten Duelle den ganz normalen Gwent-Regeln folgen. Klar, grundsätzlich spielen sich die Partien in Thronebreaker genauso wie in Gwent: The Witcher Card Game, sprich mit dessen erweitertem Regelwerk (in The Witcher 3 war das Ganze ja noch wesentlich simpler). Falls ihr Gwent noch nie gespielt haben solltet: Im Gegensatz zu Hearthstone, Yu-Gi-Oh! oder Magic: The Gathering geht es nicht darum, dem Gegner Lebenspunkte zu entziehen und seine Einheiten zu vernichten. Stattdessen werden die Stärkewerte all eurer Karten auf dem Feld addiert. Habt ihr mehr Punkte als euer Gegenüber, gewinnt ihr die Runde. Ein zweiter Triumph bringt euch den Gesamtsieg ein.
In Thronebreaker: The Witcher Tales ist es jedoch fast eine Seltenheit, dass so ein Kartenduell ganz normal verläuft und in mehrere Runden unterteilt ist. Oft genug wird nur eine Runde lang gespielt und immer wieder gibt es einen besonderen Kniff. Sehr früh im Spiel droht die Armee von Meve, von einer Felslawine erschlagen zu werden. Auf dem Spielfeld sieht die Situation so aus, dass auf der gegnerischen Seite Felsen als Karten liegen. Eure Aufgabe ist es dann, sie vor Ablauf der Runde zu zerstören. Solche Ideen sorgen für viel Abwechslung. Wir hatten beim Spielen die ganze Zeit über das Gefühl, CD Projekt RED wolle aus der Gwent-Mechanik so viel herausholen, wie nur irgendwie möglich ist, damit selbst beim Nichtsammelkartenfan keine Langeweile aufkommt. Und das ist den Polen gut gelungen.
Manchmal jedoch, speziell bei den als Rätseln bezeichneten Aufgaben, schlug unsere Begeisterung ob der großen Vielfalt von Thronebreaker in Frust um. Jene Quests, die besonders weit weg von klassischem Gwent sind, arten gerne mal in „Trial & Error“ aus. Denn hier ist fest vorgegeben, welche Karten ihr auf der Hand habt. Da kann es schon mal einige Versuche dauern, bis ihr die eine Lösung gefunden habt, wie ihr innerhalb einer Runde sechs gegnerische Einheiten vernichtet. Das Problem dabei: Deren Stärke wird am Anfang jedes Zuges auf einen Wert in Höhe der Kartenanzahl in derselben Reihe (also 6) angehoben. Immerhin wird das Lösen solcher Kopfnüsse stets gut belohnt und sie sind zumeist komplett optional.
Fazit
Dass Thronebreaker: The Witcher Tales einst nur die Solokampagne des kostenlosen Gwent: The Witcher Card Game sein sollte, können wir uns mittlerweile kaum noch vorstellen. CD Projekt RED hat so viel Liebe und Mühe in den Titel fließen lassen, dass es aus wirtschaftlicher Sicht absolut unverständlich gewesen wäre, hätte das Studio es jedem gratis zur Verfügung gestellt. Logisch, dass wir als Spieler uns darüber gefreut hätten, aber angesichts des Umfangs und der Qualität geht es schon in Ordnung, dass CD Projekt RED 26 Euro für Thronebreaker verlangt.
Klar, die Präsentation ist auf technischer Ebene sehr simpel gehalten. Man merkt dem Spiel an, dass es kein AAA-Rollenspiel der Marke The Witcher 3 oder Cyberpunk 2077 ist. Aber dafür ist es ja auch kein Vollpreistitel. Und sein Geld ist es allemal wert. Thronebreaker erzählt eine fantastische Geschichte, bietet reichlich Spielzeit und beweist, wie viel Entwickler aus einer Kartenspielmechanik herausholen können. Sofern euch die Gwent-Duelle in The Witcher 3 Spaß gemacht haben und ihr nicht genug von dem düsteren Fantasy-Universum kriegen könnt, ist Thronebreaker ein absoluter Pflichtkauf.
- Spannende Geschichte
- Entscheidungen mit Konsequenzen
- Kreativer Umgang mit Gwent-Mechanik
- Fantastische Vertonung
- Großer Umfang
- Einige Rätsel zu sehr "Trial & Error"
- Viele Textfenster