The Outer Worlds trägt zweifelsohne Fallout-DNA in sich, erinnert uns aber auch an BioWares Sci-Fi-Epos.
The Outer Worlds im Test: Fallout trifft Mass Effect
Obsidian Entertainment wird derzeit von vielen Spielern und auch Kritikern gefeiert. Der Grund: The Outer Worlds. Das Rollenspiel erfreut sich großer Beliebtheit, weil es Leuten das gibt, was sie bei Fallout 4 und erst recht bei Fallout 76 vermisst haben: ein Charakter- und Skill-System, das fest mit dem Questdesign verwoben ist, und darüber hinaus Aufgaben, in denen ihr Entscheidungen mit spürbaren Konsequenzen fällen müsst. Für viele ist The Outer Worlds ein Fallout im Weltall. Das mag zum Teil auch passen, denn der Titel spielt sich sehr wie Fallout, trifft einen ähnlichen Ton und wurde auch noch von Leuten erdacht, die Fallout einst erschaffen haben: Leonard Boyarsky und Tim Cain. Unserer Ansicht nach fehlt ihm aber ein wichtiger Aspekt, der die jüngsten Fallouts in unseren Augen ausgezeichnet hat. Dazu später mehr. Ist das schlecht? Nicht unbedingt, denn dafür fühlt sich The Outer Worlds so an, als hätten Fallout 4 und Mass Effect ein gemeinsames Kind gezeugt.
"Aufstehen! Zeit zum Abenteuer erleben!"
Das Erste, was man nach dem Aufwachen sehen möchte, ist sicherlich nicht das Gesicht eines fremden, verrückten Wissenschaftlers. The Outer Worlds konfrontiert euch aber mit genau so einem Typen, nachdem ihr 70 Jahre lang in einer Kryokapsel geschlummert habt und an Bord des Raumschiffs Hope durch das All getrieben seid. Eigentlich seid ihr vor langer Zeit zur Reise nach Halcyon, einem Sternensystem am Rand des bekannten Weltraums, aufgebrochen, um an der Kolonisierung teilzuhaben. Doch irgendwas ging schief und die Hope erreichte ihr Ziel nicht.
Dr. Phineas Wells, das bereits erwähnte zerstreute Genie, hat das Schiff gefunden. Sein Plan ist es, alle Passagiere aus dem Kälteschlaf zu wecken (und einiges darüber hinaus zu tun), doch dazu fehlen ihm wichtige Chemikalien. So reicht es nur für eine einzige Person: euch. Euren Charakter erstellt ihr euch zu Beginn selbst. Ihr könnt sowohl Mann als auch Frau spielen und aus diversen Gesichtern wählen, die ihr dann nochmal detailliert anpassen dürft.
Was für ein Charakter darf's sein?
Viel wichtiger als die Optik (immerhin ist The Outer Worlds ein reines First-Person-Spiel) ist die Entscheidung, wie ihr eure Attributpunkte verteilt. Es gibt sechs Grundwerte: Stärke, Geschicklichkeit, Intelligenz, Wahrnehmung, Charisma und Geisteshaltung, die wiederum eure Fertigkeiten beeinflussen. Stärke zum Beispiel wirkt sich auf euren Nahkampfschaden aus, Geschicklichkeit auf den Umgang mit Schusswaffen. Die geistigen Attribute sind wichtig für Dinge wie das Hacken oder Schlossknacken und die persönlichen für Dialogfähigkeiten (Lügen, Überzeugen, Einschüchtern).
Ihr könnt sehr viel Zeit in The Outer Worlds mit der Charaktererstellung verbringen. Denn zum einen legt ihr fest, wie stark die einzelnen Attribute ausgeprägt sein sollen (von Haus aus stehen sie alle auf "durchschnittlich"), dann verteilt ihr noch Punkte auf die zahlreichen Fertigkeiten und entscheidet euch noch für eine Begabung, also einen passiven Bonus.
Eine gute Basis
Mit jedem Levelaufstieg erhöht ihr die Attribute, auf die ihr euch konzentrieren wollt (dadurch steigern sich automatisch die entsprechenden Fertigkeiten und sobald die Stufe 50 erreicht haben, könnt ihr sie gezielt aufleveln). Alle zwei Stufen dürft ihr euch zudem einen Vorteil aussuchen, vergleichbar mit den Perks in Fallout. Allerdings sind die hier längst nicht so spannend oder witzig. Der eine erhöht beispielsweise eure Traglast, der andere die Lebensenergie. Kreative Dinge wie in Fallout: New Vegas (ebenfalls von Obsidian entwickelt), wo ihr beispielsweise zum "Sandmann" werden und schlafende Menschen oder Ghule im Schleichmodus direkt töten könnt, gibt es leider nicht.
Dennoch gefällt uns das Skill-System sehr gut. Es ermöglicht uns, unseren Charakter so zu spielen, wie wir wollen: Wir können uns auf Nah- oder Fernkampf konzentrieren, einen Meisterschleicher spielen oder einen intelligenten, charmanten Redner, der Konflikte oftmals durch kluge Worte umgeht. All das ist auf wunderbare Weise mit dem Questdesign verknüpft.
Viel zu tun für einen Helden
Quests gibt es in The Outer Worlds in rauen Mengen, obwohl der Titel für ein Rollenspiel mit 30 bis 40 Stunden Spielzeit vergleichsweise kurz geraten ist. Wer schnell ist und sich mehr oder weniger auf die Hauptgeschichte konzentriert, sieht sogar bedeutend fixer den Abspann. Aber das wäre ein Fehler, denn die eigentlichen erzählerischen Stärken von The Outer Worlds finden sich abseits des Hauptpfades – zumindest für einen Großteil des Spiels.
The Outer Worlds erinnert uns auf gewisse Art an Mass Effect 2. So wie ihr da die meiste Zeit damit beschäftigt seid, eure Crew-Mitglieder einzusammeln und deren Geschichten zu erleben, bevor dann am Ende wirklich mal der eigentliche Plot ansetzt, so setzt ihr euch auch in der Halcyon-Kolonie sehr lange mit Dingen auseinander, die nicht Teil der Haupt-Story sind. Letztere kommt erst gen Ende richtig in Fahrt, bietet dann aber auch wirklich tolle Momente.
Davor geht's um unterschiedliche Fraktionen und deren Probleme. Jedes Gebiet erzählt seine eigene Geschichte und wie die ausgeht, liegt stets an euch. Zudem wollen wir die Begleiter nicht vergessen, die sich euch anschließen (wenn ihr denn wollt, denn das Spiel zwingt euch nicht dazu, irgendjemanden mitzunehmen). Die sind fantastisch geschrieben, was sich vor allem in ihren eigenen Quests bemerkbar macht. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte zu erzählen und die sind allesamt klasse. Vor allem die Mechanikerin Parvati haben wir sehr schnell ins Herz geschlossen.
Starke und weniger starke Quests
Das großartige Writing von The Outer Worlds macht sich auch in vielen Nebenquests bemerkbar, die ihr von den Bewohnern der unterschiedlichen Planeten erhaltet. Gut, nicht alle Aufgaben sind brillant. Es gibt auch recht viele simple "Hol mir doch das"-Aufträge, die zwar immer in nette Geschichten eingebettet sind, aber nicht mit cleverem Design überzeugen. Dem stehen aber auch viele Missionen gegenüber, in denen ihr große Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten genießt.
Eure Skills spielen dabei eine entscheidende Rolle. Seid ihr zum Beispiel nicht sonderlich intelligent, bleiben euch entsprechende Lösungswege verschlossen. Umgekehrt bedeutet das aber eben auch, dass ihr wirklich eine Rolle spielt. Ihr könnt gut oder böse sein oder eine Art Han Solo, der zwar nicht immer auf der Seite des Gesetzes operiert, aber ein Herz aus Gold hat.
Die Highlight-Momente von The Outer Worlds finden allesamt während der Dialoge statt. Die Gespräche sind zwar nicht gerade aufregend inszeniert (wie in Fallout: New Vegas starren euch die NPCs einfach nur an, Kamerafahrten oder ähnliches gibt es nicht), aber das machen sie der Qualität der Texte wieder wett. Vor allem, wenn es lustig sein will, glänzt The Outer Worlds. Mehrfach mussten wir lauthals lachen. Mal geht der Humor in die etwas schlüpfrige Richtung, ohne dabei ins Pubertäre abzudriften, oftmals bedient er sich aber auch Elementen der Satire – vor allem dann, wenn es um die Konzerne geht.
"Kapitalismus, buuh!"
Die Halcyon-Kolonie ist nicht gerade das, was sich die meisten Menschen unter einer Traumgegend zum Leben vorstellen. Der Grund dafür sind die großen Firmen, die hier das Sagen haben und Verfechter des Kapitalismus sind. Sie beuten ihre Mitarbeiter aus, während sich die Leute im Vorstand die Taschen vollhauen. Medizin bekommen nur diejenigen, die gute Arbeiter sind, und Krankheitstage soll man gefälligst Wochen vor einer Erkrankung anmelden. Ob die dann genehmigt werden, steht auf einem anderen Blatt Papier. Diese Kritik am Kapitalismus, an den großen geldgierigen Firmen, äußert The Outer Worlds sehr direkt, wenn auch stets mit einem Augenzwinkern. Es ist nicht die hochgeistigste Form von Satire, unterhaltsam ist es aber allemal.
Kein Spiel für Pazifisten
So viele Freiheiten ihr in The Outer Worlds auch genießt, um Kämpfe kommt ihr nicht herum. Es dürfte unmöglich sein, The Outer Worlds durchzuspielen, ohne auch nur eine einzige Person zu töten – zumal sich in den offeneren Arealen viele Plünderer und Monster herumtreiben. Gerade letzteren ist nur schwer mit Diplomatie entgegenzukommen. Allerdings ist es umgekehrt möglich, wirklich jeden NPC um die Ecke zu bringen – auch die, die für die Geschichte relevant und euch gegenüber eigentlich nicht feindlich gesinnt sind.
Das Shooter-Gameplay in The Outer Worlds ist erstaunlich…solide. Nein, ehrlich, wir hatten im Vorfeld keine sonderlich hohen Erwartungen an das Gunplay. Aber wie sich herausgestellt hat, ist es durchaus launig, Schurken und außerirdischen Kreaturen Kugeln oder Plasmaprojektile zu verpassen oder sie mit einem Flammenwerfer zu rösten. Die Gegner-KI ist jedoch alles andere als clever und das Schussgefühl kein Grund, warum ihr The Outer Worlds unbedingt spielen solltet. Wenn ihr aber mit den Kämpfen in Fallout 4 euren Spaß hattet, werdet ihr auch in Obsidians neuem Werk gut unterhalten – zumindest als Fernkämpfer, der Nahkampf ist nicht so spaßig.
Spielt nicht auf "Normal"!
Ein wirklich anspruchsvolles Spiel ist The Outer Worlds nicht – zumindest auf dem normalen Schwierigkeitsgrad. Das Balancing ist hier eine der größten Schwächen. Kein Kampf stellt euch vor irgendeine Herausforderung, da ihr wenig Schaden einsteckt und sowieso immer genug Heil-Items dabeihabt. Das führt dazu, dass Items wie Lebensmittel ihren Sinn und Zweck verlieren. Die einen liefern euch für kurze Zeit mehr Lebensenergie oder steigern die natürliche Regenerationsrate, die anderen erhöhen vorübergehend manche Attribute. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad haben wir all das so gut wie nie gebraucht.
Die Items haben vor allem unser Inventar zugemüllt, sodass wir sie meistens einfach verkauft haben. Immerhin brauchen wir reichlich Geld, wenn wir unsere Waffen an einer Werkbank aufwerten wollen. Das wird schnell recht teuer. Die Sturmgewehre, Schrotflinten, Pistolen, Granatwerfer, Schwerter und Co sowie die eigenen Rüstungen lassen sich zudem nicht nur upgraden, sondern auch modifizieren. Das System bietet aber weitaus weniger Möglichkeiten als das Crafting in Fallout 4. Ihr findet im Spielverlauf unterschiedliche Mods, etwa Visiere oder unterschiedliche Magazinarten, die baut ihr an einer Werkbank ein – fertig! Ein bisschen mehr wäre nett gewesen, dafür bleibt das Crafting sehr übersichtlich und wird nicht zum Zeitfresser (im negativen Sinn). Richtig notwendig ist es auf "Normal" aber auch nicht.
Wenn ihr wirklich eine Herausforderung haben wollt, empfehlen wir euch mindestens den schweren, noch viel mehr aber den "Albtraum"-Schwierigkeitsgrad. Der sorgt für knackige Kämpfe und hat noch zusätzliche Features im Gepäck, die an den "Survival"-Modus in Fallout: New Vegas erinnern: Ihr müsst regelmäßig essen, trinken sowie schlafen. Letzteres ist dann nur an Bord eures eigenen Raumschiffs möglich. Und in dem Modus sind auch die ganzen Items sowie die Mods wirklich sinnvoll.
Wenig zu entdecken
Ok, ihr habt ein eigenes Raumschiff, ihr besucht mehrere Planeten und habt viel Entscheidungsfreiheit. Klingt eigentlich nach einem wenig linearen Spielerlebnis, oder? Das ist es zum Teil aber doch. The Outer Worlds ist kein Open-World-Titel. Die meisten Gebiete sind recht klein und kompakt gehalten und die Reisen mit eurem Raumschiff laufen über eine schnörkellose 2D-Karte ab. Auch in dieser Hinsicht erinnert uns das Spiel mehr an Mass Effect als Fallout.
Dass es keine offene Spielwelt gibt, finden wir nicht schlimm. Schade ist nur, dass in den offeneren Arealen wenig Spannendes abseits der Städte und kleineren Siedlungen zu entdecken ist. Nur ganz selten stolpert ihr in der Wildnis mal über eine Szene, die nicht mit einer Mission zusammenhängt, und bei der Obsidian mit Environmental Storytelling arbeitet. In den meisten Fällen findet ihr einfach nur ein paar Gegner und Beute. Das Erkunden lohnt sich zwar spielerisch, da ihr immer nützlichen Loot findet (und sei es nur Munition), aber ihr stoßt eben selten auf kleine Geschichten am Wegesrand. Genau das zeichnet in unseren Augen aber die Fallout-Spiele aus, weshalb wir eben dem "Es ist Fallout im Weltraum"-Jubel nicht so ganz zustimmen können.
Sieht nur ok aus, klingt aber fantastisch
Dass die äußeren Welten abseits der Quests nicht viel zu bieten haben, ist sicherlich dem Budget geschuldet. The Outer Worlds ist eben kein AAA-Spiel und das merkt man an vielen Stellen, vor allem hinsichtlich der Präsentation. Die Umgebungen wirken sehr leblos und statisch. Die meisten NPCs stehen einfach nur fest in der Gegend herum und außerhalb der Städte trefft ihr außer den immer gleichen Plünderern und Monstern so gut wie niemanden.
Auch technisch ist The Outer Worlds nicht auf hohem Niveau. Die Grafik haut niemanden von den Socken, der gelungene Stil tröstet aber über die schwache Texturqualität und die wenig beeindruckenden Effekte hinweg. Die Vertonung ist im Gegensatz dazu großartig. Der Soundtrack ist enorm atmosphärisch, vor allem aber begeistert uns die Sprachausgabe. Die Sprecher machen einen fantastischen Job, allen voran Ashley Burch (Life is Strange, Horizon Zero Dawn) als Parvati. Allerdings gibt es ein Manko: Es fehlt eine deutsche Vertonung. Wer des Englischen nicht mächtig ist, ist zum Lesen verdammt. Die Übersetzung ist jedoch ausgezeichnet. Kaum ein Wortwitz geht verloren.
Fazit
In den ersten Stunden von The Outer Worlds spürten wir eine richtige Euphorie. "Schön, Obsidian macht das, was Bethesda seit Fallout 4 nicht mehr liefert, nur in etwas kleiner", dachten wir uns. Wir freuten uns über das gute RPG-System, die tollen Dialoge, die Entscheidungsfreiheit. Dann erkundeten wir das erste große Gebiet und stellten fest: "Hmm, hier gibt's ja nix Spannendes jenseits der Quests." Und dann waren da auch noch ein, zwei "Hol und Bring"-Aufgaben zu viel drin. Ernüchterung machte sich breit.
Doch wir blieben am Ball und das solltet ihr auch tun, wenn es euch beim Spielen genauso ergehen sollte wie uns. Denn spätestens dann, wenn ihr euch mal mit den Quests eurer Begleiter auseinandersetzt, wenn ihr auf dem zweiten größeren Planeten angekommen seid, spielt The Outer Worlds die eigenen Stärken richtig aus. Ja, es hat Macken, allen voran das misslungene Balancing und die leblosen Welten mit geringen Erkundungsanreizen. Aber dafür erlebt ihr tolle Geschichten, kommt in den Genuss eines großartigen Humors und lernt interessante Charaktere kennen. Vor allem aber ist The Outer Worlds das, was es verspricht zu sein: ein richtiges Rollenspiel, indem ihr einen Charakter so spielt, wie ihr es wollt, und in der eure Entscheidungen wirklich zählen.
- Große spielerische Freiheit
- Exzellent geschriebene Dialoge
- Teils fantastisches Questdesign
- Begleiter, die ans Herz wachsen
- Großartige Vertonung
- Tolles Charaktersystem
- Leblose Welten, wenig zu entdecken
- Auf "Normal" viel zu leicht
- Einige eher öde Quests
- Dürftige Gegner-KI