Es fällt schwer, The Last of Us: Part 1 als Spiel zu kritisieren. Aber genauso schwer fällt es auch, es weiterzuempfehlen.
The Last of Us – Part 1 im Test: Das unnötigste Meisterwerk aller Zeiten
Wäre The Last of Us: Part 1 ein völlig neues Spiel, das es so vorher noch nie gegeben hat, würde ich euch an dieser Stelle in ausschweifender Form erzählen, was für ein Meisterwerk Naughty Dog hier geschaffen hat. Ich würde euch erklären, warum die Geschichte rund um Joel und Ellie, die sich durch die postapokalyptischen USA schlagen müssen, gerade in Sachen Charakterentwicklung zum Besten gehört, was die Videospielwelt zu bieten hat. Ich würde die dichte Atmosphäre, die filmische Inszenierung, die fantastische englische Vertonung (ja, die deutsche ist auch ganz ok), die toll gestalteten Schauplätze und den gelungenen Mix aus Stealth- und Shooter-Gameplay loben. The Last of Us: Part 1 wäre ein heißer Kandidat auf den "Spiel des Jahres"-Titel und Elden Ring nicht mehr der haushohe Favorit.
Aber, ach, was war vor neun Jahren nochmal? Richtig, da ist ja schon mal ein Spiel namens The Last of Us erschienen. Naughty Dog hat damals nach drei Uncharted-Teilen die PS3 mit einem richtigen Kracher verabschiedet. Ein Jahr später erschien das Remaster für die PS4, das heute jeder PS5-Besitzer spielen kann, der PS Plus abonniert hat, PS Plus Collection sei Dank. Jene Neuauflage ist acht Jahre nach ihrem Release immer noch ein fantastisches Spiel. Die Grafik ist nach wie vor ansehnlich, man kann das Abenteuer mit 60 FPS genießen und auch spielerisch gibt es nichts, wo ich sagen würde: "Na, aus heutiger Sicht ist das aber nicht mehr sonderlich toll."
"Aber Jens, das Remake hat doch eine viel schickere Grafik und Gameplay-Optimierungen. Sollte ich nicht lieber das spielen, wenn es doch besser ist?" Nun, wenn euch eines schönen Tages zufällig der Wind eine Version von The Last of Us: Part 1 vor die Füße wehen sollte, dann schnappt euch das Ding, schiebt die Blu-ray in eure PS5 ein und habt Spaß. Dieses Szenario dürfte allerdings äußerst unwahrscheinlich sein. Wenn ihr nun von mir wissen möchtet, ob ihr 80 Euro bezahlen sollt, um dieses Remake selbst erleben zu können, kann ich darauf nur mit einem Nein antworten – trotz aller Qualitäten, die in diesem Spiel stecken.
"Das kommt mir alles sehr bekannt vor"
Als schon die ersten Gerüchte aufkeimten, dass Naught Dog an einer Neuauflage von The Last of Us arbeite, ging ein kollektives "Aber warum?!" durch die Gaming-Landschaft. Die Gründe dafür habe ich euch eingangs bereits genannt. Mit der Ankündigung beim Summer Game Fest wurde die Stimmung nicht besser und jetzt zum Release sieht es nicht anders aus. The Last of Us: Part 1 ist ein 1:1-Remake. Das bedeutet, die Entwickler haben das Original detailgetreu nachgebaut. Rein aus technischer Sicht mag es sich um ein neues Spiel handeln, aber inhaltlich bleibt alles beim Alten. Das zeigen Vergleichsvideos sehr gut:
Euch erwartet hier also das gleiche Leveldesign wie vor neun Jahren auf der PlayStation 3. Die gleichen Zwischensequenzen. Die gleiche Vertonung. Die gleichen Gameplay-Features. Neue Mechaniken? Fehlanzeige! Die wenigen Neuerungen, die Naughty Dog in The Last of Us: Part 2 eingebaut hat (zum Beispiel, dass ihr euch in hohem Gras verstecken könnt), hat das Team nicht für das Remake übernommen. Man hat lediglich die vorhandenen Features des Originals verfeinert, allen voran das Gunplay. Schüsse mit Revolver, Schrotflinte und Co fühlen sich sehr viel wuchtiger an als einstmals, weil das Treffer-Feedback deutlich intensiver ist. Diesbezüglich ist Part 1 auf dem hohen Niveau von Part 2.
Das Ding spielt sich klasse, keine Frage. Der fließende Wechsel zwischen Schleichen und Ballern (oder auch dem simplen Nahkampf) sorgt für Dynamik und die Konfrontationen mit den längst legendären Clickern haben nichts von ihrem Nervenkitzel verloren. Damals wie heute würde ich zwar nicht behaupten, dass The Last of Us ein Survival-Horrorspiel ist, weil es dafür den Fokus doch zu sehr auf Action legt. Aber wenn ihr im Dunklen durch ein verfallenes Gebäude schleicht und versucht, den Infizierten aus dem Weg zu gehen oder sie leise von hinten auszuschalten, hat das schon einen leichten Gruselfaktor. All diese Stärken hat aber eben auch schon das Original beziehungsweise Remaster. Wenn, dann bietet das Remake hier eben nur Detailverbesserungen, die das Spielerlebnis nicht merklich aufwerten – zumindest nicht so sehr, dass sie den Kaufpreis von 80 Euro rechtfertigen.
Das Hauptargument für dieses Remake: Die neue Optik
Der Bereich, der wirklich eine komplette Frischzellenkur erhalten hat, ist eben die Grafik. Im Gegensatz zu The Last of Us: Part 2 ist das Remake von Teil 1 ein reiner PS5-Titel (von der demnächst erscheinenden PC-Version mal abgesehen). Für die PlayStation 4 erscheint es nicht. Das bedeutet auch nicht, dass Part 1 nochmals viel besser aussieht als das 2020 erschienene Sequel. Aber keine Frage, es ist optisch eine Wucht. Kaum einer baut so detaillierte, lebensecht wirkende Charaktermodelle wie Naughty Dog und animiert sie dann auch noch so gut, dass man fast das Gefühl hat, echte Schauspieler auf dem Bildschirm bei der Arbeit zu sehen (gut, indirekt ist das dank Performance Capture der Fall). Auch die allgemeine Texturqualität, die Detailverliebtheit bei den Umgebungen, die Beleuchtung, die Schatten – all das ist auf höchstem Niveau. The Last of Us: Part 1 ist ein Augenschmeichler vor dem Herrn und ein großes Upgrade gegenüber dem Remaster. Nur wie bereits erwähnt, sieht die PS4-Fassung trotzdem heute noch gut aus und wie heißt es so schön: Grafik ist nicht alles.
Zur Info: Ich habe größtenteils im Leistungsmodus gespielt, wo die Auflösung dynamisch ist und ich dafür butterweiche 60 FPS genießen kann. Der Wiedergabetreuemodus bietet zwar immerhin noch bis zu 40 FPS und durchgehend ein natives 4K-Bild, aber mir ist ein flüssigeres Spielerlebnis wichtiger.
Ein Vorbild in Sachen Barrierefreiheit
Ich habe oben geschrieben, dass es keine Gameplay-Neuerungen gegenüber dem Original gibt. Das ist auch keine Lüge, allerdings darf ich nicht verschweigen, dass es sehr wohl Neuerungen gibt, die das Spielgefühl beeinflussen. Da wären zum einen die DualSense-Features. Haptisches Feedback und adaptive Trigger werden ausgiebig genutzt. Letztere bieten den mittlerweile bekannten Widerstand beim Zielen und Schießen und ersteres macht sich in vielen unterschiedlichen Situationen bemerkbar. Ob ihr nun einem Gegner die Nase poliert, ihm Schrotkugeln in den Kopf jagt, etwas explodiert oder ihr einfach nur durch Regen wandert, ständig vibriert der Controller in euren Händen passend. Es gibt sogar die Option, Dialoge über Vibrationen wiederzugeben. Je schneller oder lauter ein Charakter dann spricht, desto heftiger fällt das haptische Feedback aus. Das Feature ist nicht von Haus aus in den Einstellungen aktiviert, was ich gut finde. Mir persönlich ist das nämlich ein bisschen zu viel, aber es ist eine nette Idee, die dem einen oder anderen von euch vielleicht gefallen wird.
Ein anderer, deutlich umfangreicherer Bereich, den es so im Original nicht gibt, sind die Barrierefreiheitsoptionen. Hier hat schon The Last of Us: Part 2 geglänzt und Part 1 steht dem in nichts nach. Es gibt viele Einstellungsmöglichkeiten, um die Steuerung zu verändern (beispielsweise, für welche Aktionen ihr Tasten gedrückt halten oder nur einmal betätigen müsst), ihr könnt einstellen, dass Joel Munition und Crafting-Ressourcen automatisch aufhebt, allerlei visuelle Hilfen sind mit an Bord, es gibt eine „Unendlicher Atem“-Option für Tauchabschnitte und ein Text-to-Speech-System. Ihr könnt sogar eine Zeitlupenfunktion aktivieren, die ihr dann jederzeit nutzen könnt, indem ihr auf dem Touchpad nach rechts wischt. Egal, ob ihr nun also eine körperliche Beeinträchtigung habt oder euch das Spiel schlicht einfacher machen wollt, The Last of Us: Part 1 bietet euch hier wahnsinnig viele Möglichkeiten – sehr vorbildlich!
Fazit
Dieses Fazit wird ein bisschen länger als üblich. Denn The Last of Us: Part 1 versetzt mich in eine Situation, die ich noch nie zuvor erlebt habe. Wir haben es hier mit einem Spiel zu tun, das auf handwerklicher wie erzählerischer Ebene absolut brillant ist und sich kaum eine Blöße gibt. Das PS3-Original hat damals nicht ohne Grund eine Höchstwertung nach der anderen kassiert und dadurch einen Metascore von sage und schreibe 95 erreicht. Und wenn ein talentiertes Studio wie Naughty Dog nun eben dieses Meisterwerk mit moderner Technik eins zu eins nachbaut, kann dabei ja gar kein schlechtes Produkt entstehen. Von dem her bleibt mir nichts anderes übrig, als The Last of Us: Part 1 mit Lob zu überschütten, wenn ich es einfach nur als Spiel an sich betrachte.
Aber dann muss ich eben bedenken, dass es sich um das Remake eines Titels handelt, der zumindest zum aktuellen Zeitpunkt gar kein Remake nötig gehabt hätte. Jeder mit einer PS4 oder PS5 kann das Remaster spielen und wird damit nicht weniger Spaß haben als die Leute, die es 2014 gezockt haben. The Last of Us ist kein Star Wars: Knights of the Old Republic, bei dem man sich heute schon denkt: "Na, spielerisch ist das nun nicht so gut gealtert, also ist ein Remake durchaus angebracht." Und selbst Dead Space, bei dem ein Remaster eigentlich reichen würde, hat aufgrund dessen, dass sich Protagonist Isaac Clarke ziemlich klobig steuert, mehr Berechtigung, eine von Grund auf neu entwickelte Neuauflage zu erhalten.
Wenn Sony The Last of Us: Part 1 nun für 40 Euro verkaufen und Besitzern des Remasters sogar eine Upgrade-Option bieten würde, sähe die Sache etwas anders aus. Aber nein, das Remake kostet 80 Euro und die muss jetzt jeder zahlen, der es spielen möchte. Und dann bietet es ja sogar weniger Inhalt, weil der Multiplayer fehlt. Immerhin ist der Story-DLC "Left Behind" mit von der Partie. Das wäre ja noch schöner gewesen, wenn man auch den weggelassen hätte.
Ich habe großen Spaß mit The Last of Us: Part 1. Das kann ich nicht leugnen. Aber ich hatte eben auch mit dem Original damals nicht weniger Spaß und wenn ich es heute nochmal hervorkramen würde, fände ich es immer noch toll. Das Remake mag alles in allem dank der schöneren Optik und dem intensiveren Gunplay das bessere Spiel sein. Aber das Upgrade ist nicht groß genug, um den Kauf zum Vollpreis zu rechtfertigen. Daher kann ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Kaufempfehlung aussprechen. Zeitgleich kann ich aber auch keine schlechte Wertung vergeben, weil das angesichts der Mühen, die Naughty Dog zweifelsohne in die Entwicklung gesteckt hat, nicht fair wäre. The Last of Us: Part 1 ist ein tolles Stück Software. Es hätte halt nur niemand gebraucht – mit Ausnahme von den PC-Spielern, die sich in einigen Monaten darüber freuen dürfen, die Geschichte von Joel und Ellie erstmals selbst erleben zu können. Allerdings würde ich selbst in dem Fall behaupten, dass eine Portierung des Remasters ausreichend gewesen wäre.
Letztendlich ist es einfach schade, dass Naughty Dog Ressourcen in diese unnötige Neuauflage anstatt ein völlig neues Spiel gesteckt hat. Und ich kann nur hoffen, dass diese Praktik keine Schule macht. Was soll denn sonst als nächstes kommen? In zwei Jahren ein Remake des Doom-Reboots von 2016, von Bloodborne (gebt uns einfach endlich ein Remaster für PS5 und PC!) oder gar Horizon Zero Dawn?!
- Großartige Grafik
- Immer noch toller Mix aus Stealth und Action
- Story nach wie vor ein Highlight
- Jede Menge Barrierefreiheitsoptionen
- Gute Einbindung der DualSense-Features
- Keine spielerischen Neuerungen
- Keine neuen Inhalte
- Viel zu hoher Preis gegenüber dem Remaster