The Dark Pictures: Man of Medan soll den Erfolg von Until Dawn wiederholen, schießt daran aber meilenweit vorbei.
The Dark Picturs – Man of Medan im Test: Schöne Verpackung, enttäuschender Inhalt
Wichtige Info: Dieser Text ist ursprünglich als Vorabtest ohne feste Wertung erschienen. Mittlerweile haben wir den Koop-Modus gespielt und somit auch eine Note vergeben. Den Abschnitt zum Multiplayer und das endgültige Fazit samt Wertungskasten findet ihr am Ende des Artikels.
An Adventures, die als interaktive Filme angelegt sind, scheiden sich die Geister. Die einen finden sie super, die anderen erkennen ihnen sogar die Bezeichnung Spiel ab. Es dürfte ewig eine Streitfrage bleiben, ob nun so was wie Heavy Rain oder die Telltale-Adventures Spiele sind oder nicht, weil sie sehr wenig Gameplay bieten. Den meisten dieser Titel gelingt es jedoch, diesen Aspekt durch andere Dinge auszugleichen, etwa eine starke Geschichte wie in Telltales The Walking Dead und Life is Strange oder eine mitreißende Inszenierung wie in Heavy Rain und Detroit: Become Human. Und sie alle verbindet, dass sie euch immer wieder vor schwerwiegende Entscheidungen stellen.
Auch Until Dawn von Supermassive Games gelang 2015 das Kunststück, trotz kaum vorhandener Spielmechaniken mehrere Stunden lang zu fesseln. Bis heute gilt es als einer der besten Vertreter des Genres. Es ist eine charmante Hommage an das Horrorkino - ein interaktiver, enorm kurzweiliger B-Movie, der bei aller bewusster "Trashigkeit" nicht vergisst, Spannung zu erzeugen, den Spieler mitzureißen. Supermassives neues Werk, The Dark Pictures: Man of Medan, gelingt das nicht und wir fragen uns: Wie konnte das passieren?
Der Erbe von Until Dawn
The Dark Pictures: Man of Medan lässt sich als geistiger Nachfolger von Until Dawn bezeichnen. Inhaltlich haben die beiden Spiele nichts miteinander zu tun, spielerisch hingegen sind sie sich sehr ähnlich. Gut, das würde auch gelten, wenn wir Man of Medan an dieser Stelle durch Heavy Rain ersetzen würden. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass Supermassive Games die "Until Dawn"-Fans ansprechen möchte – und natürlich auch all die Spieler, die jenen Titel nicht gezockt haben, weil sie keine PS4 besitzen. Im Gegensatz zu Until Dawn ist The Dark Pictures: Man of Medan kein Sony-Exklusivtitel, sondern erscheint auch für PC und Xbox One.
Der Reiz besteht genau wie bei Until Dawn darin, den Verlauf einer klassischen Horrorgeschichte selbst mitbestimmten zu können und dabei über Leben und Tod der Protagonisten zu entscheiden. Spielerisch bedeutet das: Ihr schaut euch viele Zwischensequenzen an, entscheidet euch hier und da unter Zeitdruck zwischen zwei Dialogoptionen (oder lasst den jeweiligen Charakter schweigen), müsst mal bestimmte Knöpfe rechtzeitig drücken oder lauft durch lineare Umgebungen und interagiert wie in einem klassischen Adventure mit Hot Spots. Das können eben Objekte sein, die wichtig fürs Vorankommen in der Geschichte sind, andere Figuren oder einfach nur irgendwelche Dokumente beziehungsweise "Geheimnisse", die als Sammelobjekte dienen.
Rätsel gibt es nicht, die Interaktionsmöglichkeiten halten sich stark in Grenzen, wie man das von dem Genre gewohnt ist. Das magere Gameplay wollen wir The Dark Pictures: Man of Medan gar nicht ankreiden, schließlich ist das bewusst so von den Entwicklern konzipiert. Wir kämen ja auch bei einem stumpfen Shooter wie Doom niemals auf die Idee, die Kritik zu äußern, dass es da doch gar keine interaktiven Dialoge und Quests mit Entscheidungsfreiheit gibt.
Vertraute Elemente
Supermassive Games hat nicht nur das Grundkonzept eins zu eins von Until Dawn übernommen, sondern auch zwei Feinheiten. Unterbricht etwa in jenem Spiel immer wieder ein Psychologe die Handlung und spricht direkt zu euch als Spieler, ist es in The Dark Pictures: Man of Medan ein Kurator, der euch sozusagen eine Geschichte aus seiner Sammlung präsentiert. Das erinnert ein wenig an X-Factor" mit Jonathan Frakes oder den Cryptkeeper aus "Geschichten aus der Gruft". Sehr interessant hierbei: Der Kurator kommentiert nicht nur, wie ihr euch schlagt (abhängig davon, wie viele Charaktere noch leben), sondern bietet euch manchmal auch Hinweise an, mit denen ihr die Überlebenschancen der Figuren erhöht. Ihr müsst sie aber nicht annehmen, sondern könnt diese Form von Spoiler auch ablehnen, was ein wirklich nettes Detail ist.
Bekanntes Detail Nummer 2: Statt Totems wie in Until Dawn findet ihr in der Spielwelt von Man of Medan immer wieder Bilder. Interagiert ihr mit denen, erhaltet ihr einen kleinen Blick in die Zukunft oder, besser gesagt, in eine mögliche Zukunft. Sie zeigt euch den potenziellen Tod eines Charakters, so dass ihr euch darauf vorbereiten und im Nachfolgenden die Entscheidungen treffen könnt, die jenes Szenario abwenden. Das hat uns schon in Until Dawn gefallen. Schön also, dass Supermassive dieses Element übernommen hat.
0-Sterne-Urlaub
Was sich leider nicht von Until Dawn auf The Dark Pictures: Man of Medan übertragen hat, ist die Qualität der Geschichte. Die Handlung ist nämlich leider der größte Schwachpunkt. Es geht um eine Gruppe von jungen Erwachsenen, die einen Bootstrip auf dem Südpazifik machen. Sie wollen einen Tauchgang zu einem versunkenen Flugzeugwrack aus dem Zweiten Weltkrieg unternehmen. Die fünfköpfige Truppe besteht aus Alex, seinem kleinen Bruder Brad, seiner großen Liebe Julia, deren arrogantem Bruder Conrad und der Bootskapitänin Fliss.
Aus dem schönen Urlaub wird jedoch schnell ein Albtraum. Erst machen sie mit Piraten Bekanntschaft und dann landen sie auch noch auf einem Geisterschiff, auf dem nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Von da an entwickelt sich Man of Medan zu einer Art klassischen Geistergeschichte. Dieses Abenteuer soll übrigens nur der Auftakt zu einer größeren Anthologie sein. Supermassive Games plant damit, jedes Jahr neue Episoden zu veröffentlichen, die jedoch allesamt ihre eigenen, voneinander unabhängigen Geschichten erzählen sollen. Der Kurator fungiert dabei als Bindeglied.
Ob es nun aber wirklich weitere Folgen von The Dark Pictures geben wird, sei mal dahingestellt. Natürlich entscheiden darüber am Ende die Verkaufszahlen. Doch wenn es mehr Episoden geben wird, sollte sich Supermassive Games bei denen mehr ins Zeug legen, eine spannende Geschichte zu erzählen. Die Grundprämisse mag so wirken, als würden uns die Briten nach Until Dawn eine weitere launige Hommage an eine Trope des Horrorkinos servieren. Tatsächlich plätschert die Story aber einfach nur so vor sich hin. Richtige Spannungsmomente sind selten, große Wendungen wie in Until Dawn sucht ihr vergeblich.
Zu viel Schiffsbesichtigung
Man of Medan hat zudem ein enormes Pacing-Problem: Der Einstieg auf dem kleinen Boot ist noch ganz ordentlich gelungen, vor allem wenn es dann zum Konflikt mit den Piraten kommt. Doch sobald die Charaktere das Geisterschiff betreten, geht es bergab. Von den gerade mal drei bis vier Stunden, die ihr für einen Solodurchgang benötigt, verbringt ihr viel zu viel Zeit damit, einfach nur durch die dunklen Schiffsflure zu wandern.
Da sind auch die zahlreichen Jumpscares, mit denen euch Man of Medan zu erschrecken versucht (was bei uns überhaupt nicht funktioniert hat), und so mancher "Hast du das gesehen? Da war was!"-Moment keine große Hilfe. Beides nutzt sich sehr schnell ab und zieht sich auch noch durch das gesamte Spiel. Selbst kurz vor Schluss spielt Man of Medan nicht mit offenen Karten, sondern setzt Elemente wie huschende Schatten ein, die dann nicht mal mehr ein müdes Lächeln bei uns hervorrufen.
Weniger ist manchmal mehr
Nun wird ja nicht jeder Spieler das exakt gleiche Erlebnis haben, wenn er The Dark Pictures: Man of Medan spielt. Das liegt eben an den zahlreichen Entscheidungen, die ihr trefft. Die haben manchmal nur kleine Auswirkungen, manchmal bestimmen sie aber auch, was für Szenen ihr als nächstes seht oder eben, ob ein Charakter das Zeitliche segnet. Das ist natürlich einer der Aspekte, den wir an Spielen dieser Art so sehr schätzen. Nur leider hat uns das Spiel vor keine so schwerwiegenden Entscheidungen gestellt, wie es Until Dawn vermochte zu tun. Uns war es weitestgehend egal, was wir taten und was daraufhin passierte, weil uns eben die Charaktere gleichgültig waren.
Ein weiteres Problem, hervorgerufen durch die Nichtlinearität der Geschichte: Logik- und Anschlussfehler. Wir können an dieser Stelle nicht ins Detail gehen, ohne zu spoilern. Aber wenn zum Beispiel ein Charakter in einem Moment ganz traurig ist, weil ein anderer gestorben ist, und nur wenige Sekunden später wieder in normaler Verfassung zu sein scheint, macht das viel kaputt. Unsere Theorie: Supermassive Games fehlten die Ressourcen, um für jede Variable in der Geschichte eigene Varianten von nachfolgenden Szenen zu produzieren. In dem Fall wäre es dann aber vielleicht besser gewesen, die Anzahl Variablen zu reduzieren, statt an anderer Stelle zu sparen. Dann gebe es zwar nicht so viele mögliche Pfade, wie euer Abenteuer in Man of Medan verlaufen kann, doch die wären dafür viel stimmiger.
Optisch (fast) ein Hochgenuss
Inszenatorisch ist The Dark Pictures: Man of Medan ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite gibt es hier und da nette Kameraperspektiven und gut geschnittene Szenen, alles untermalt von einem stimmigen Soundtrack. Die Grafik sieht größtenteils wirklich sehr gut aus, das gilt vor allem für das Spiel von Licht und Schatten, aber auch die Charaktermodelle und deren Animationen. Gut, manche Grimassen gleiten dann doch schon ins "Uncanny Valley" ab, sowas hält sich aber in Grenzen.
Die deutschen Sprecher machen ihre Sache größtenteils ganz ordentlich, wer aber des Englischen mächtig ist oder kein Problem mit Untertiteln hat, sollte trotzdem mit der besseren englischen Vertonung spielen. Die Qualität der Dialoge schwankt jedoch in beiden Fällen zwischen "Ist gerade noch akzeptabel" und grauenhaft. Allerdings kann das auch volle Absicht der Entwickler sein, weil sie vielleicht den gleichen B-Movie-Charme wie bei Until Dawn erzeugen wollten. Blöd nur, dass all die Dinge, die da funktioniert haben, in Man of Medan nicht funktionieren. Und dann sind die schlechten Texte keine große Hilfe.
Die bereits angesprochenen Anschlussfehler wirken sich ebenfalls negativ auf die Präsentation des Spiels aus. Wir hatten eine Dialogszene im letzten Drittel, die so schlecht zusammengeschustert wirkte, dass wir uns gefragt haben, ob den Entwicklern genau in dem Moment das Geld ausgegangen ist – zumal das Ende in unserem Durchlauf sehr abrupt war.
Ein enttäuschendes Ende und technische Probleme
Apropos Ende: Keine Angst, wir verraten euch nichts an der Stelle, aber wir müssen zumindest darauf eingehen, dass bei uns am Schluss nicht genau aufgeklärt wurde, warum die Dinge auf dem Schiff so passiert sind, wie sie passiert sind. Dafür, dass die Geschichte abgeschlossen sein soll, sind uns zu viele Fragen unbeantwortet geblieben, was sich sehr unbefriedigend anfühlt. Es könnte theoretisch sein, dass wir den Kahn noch genauer hätten erkunden oder uns an gewissen Punkten im Spiel hätten anders entscheiden müssen, um mehr Antworten zu erhalten. Aber selbst dann hätte Supermassive Games hier einen schlechten Job gemacht. Schließlich sollte man wichtige Plot-Details nicht irgendwo verstecken, sodass sie nur ein Bruchteil der Spieler findet.
Abschließend sei noch angemerkt, dass unsere PS4-Version auf einer PlayStation 4 Pro immer wieder mit Rucklern zu kämpfen hatte. Zu Beginn neuer Szenen blieb das Bild gerne mal hängen, was auf Nachladeprobleme zurückzuführen sein könnte. Einmal ist uns The Dark Pictures: Man of Medan dabei sogar abgestürzt. Die Ruckler fielen vor allem in Zwischensequenzen störend auf, weil sie dem filmhaften Erlebnis erheblich schaden. Aber es ist ja gut möglich, dass hier noch ein Patch erscheint, der dieses Problem beseitigt.
Mehr Spieler, mehr Spaß
The Dark Pictures: Man of Medan bietet zwei Arten von Mehrspielermodi. Da wäre zu meinen der sogenannte "Filmabend"-Modus, in dem ihr mit bis zu fünf Leuten lokal zockt. Jeder Spieler übernimmt dabei eine der Hauptfiguren, ihr braucht jedoch nur ein einziges Gamepad, das ihr dann herumreicht. Zugegeben, allein dafür bräuchte man nun nicht wirklich einen eigenen Modus, das ginge auch im normalen Singleplayer. Immerhin hat sich Supermassive Games aber noch ein kleines Gimmick einfallen lassen: Am Ende eines Kapitels erhalten die Spieler stets ein paar Auszeichnungen, die reflektieren, wie man sich angestellt hat.
Viel interessanter ist da der Online-Koop-Modus für zwei Spieler. Was wir im Vorfeld für einen netten Zusatz hielten, entpuppte sich im Test als die ideale Art und Weise, Man of Medan zu erleben. Es scheint so, als lag bei der Entwicklung der Fokus tatsächlich auf dem Online-Multiplayer. Das würde auch erklären, warum im Hauptmenü des Spiels "Spiel nicht allein" an oberster Stelle steht. Der Clou ist nämlich, dass ihr und eurer Mitspieler stets zeitgleich spielt, aber in den meisten Fällen nicht die gleiche Szene vor Augen habt. Gerade dann, wenn es auf das Geisterschiff geht, und die Gruppe sich verstreut, erlebt ihr beide oftmals vollkommen unterschiedliche Dinge. Im Singleplayer spielt ihr all diese Szenen nacheinander, im Koop-Modus finden sie parallel zueinander statt. Das verkürzt nicht nur die Spielzeit (wir brauchten für einen Durchlauf knapp drei Stunden), es kommt auch dem Pacing zugute. Immerhin reduzieren sich so für jeden Spieler die "Ich laufe durch die Schiffsflure und es passiert wenig Spannendes"-Momente.
Speziell in einer Szene, die wir aus Spoiler-Gründen aber nicht näher beschreiben, zeigte sich das enorme Potenzial, das in dem Koop-Modus schlummert. Nur so viel: Wir sahen die gleiche Szene aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, nur wurde uns das erst in deren Verlauf bewusst. Das war ziemlich cool! Leider ändert sich aber auch im Multiplayer nichts daran, dass die Geschichte von The Dark Pictures: Man of Medan ziemlich spannungsarm ist, viele Fragen unbeantwortet bleiben und die Jumpscares und Schockmomente des ewig gleichen Musters schnell ermüden. Ach ja, das Ende war in diesem Durchgang genauso abrupt wie in unserer Solopartie.
Fazit
Until Dawn mochten wir wirklich sehr, weshalb die Hoffnung groß war, dass Supermassive Games mit The Dark Pictures: Man of Medan an diesen Erfolg anknüpft. Doch scheinbar stand dem Studio nicht nur weniger Budget zur Verfügung, die handwerkliche Qualität hat auch nachgelassen. Nach knapp dreieinhalb Stunden, die uns ein Solodurchlauf beschäftigt hat, waren wir ganz froh, dass es vorbei war. Die Geschichte und Charaktere haben uns komplett kaltgelassen und richtig spannende Entscheidungen mussten wir auch nicht treffen. Im Koop ist das Erlebnis spürbar besser, weil das Pacing von der kürzeren Spielzeit profitiert und es cool ist, dass beide Spieler dieselben Szenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Aber das ändert eben nichts daran, dass Man of Medan inhaltlich sehr schwächelt. Als reiner Horrorstreifen würde es niemanden interessieren. Als interaktiver Film ist es zwar - zumindest im Multiplayer - keine Vollkatastrophe, aber dennoch der wohl schwächste Vertreter des Genres, den wir in seit langem gespielt haben. Hoffentlich legt Supermassive Games bei künftigen Episoden einen drauf. Dass man das Zeug dazu hat, Besseres abzuliefern, hat Until Dawn hinlänglich bewiesen.
- Schicke Grafik
- Gute Sprecher und Musik
- Guter Koop-Modus
- Jede Menge mögliche Pfade,...
- ...aber viele Anschluss- und Logikfehler
- Lahme Story mit abruptem Ende
- Blasse Charaktere
- Schlecht geschriebene Dialoge
- Wenige Highlight-Momente
- Immer wieder Ruckler auf PS4 Pro