Resident Evil 4 gilt als einer der Wegbereiter für das Genre des modernen Third-Person-Actionspiels. Denselben Status wird das Remake nicht erreichen, muss es aber auch gar nicht. Es begeistert auch so schon genug.
Resident Evil 4 im Test: Spiel's noch einmal, Capcom
2023 scheint das Jahr der großartigen Neuauflagen zu sein. Im Januar hat uns EA erneut die USG Ishimura im Remake von Dead Space erkunden lassen. Im Februar überraschte Nintendo mit dem Release von Metroid Prime Remastered und SEGA ließ endlich auch westliche Spieler in die Welt von Like a Dragon. Ishin! eintauchen, dessen Originalversion 2014 nur in Japan auf den Markt kam. Mit Resident Evil 4 gibt es nun ein weiteres Remake eines großen Klassikers. Hersteller Capcom hat in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass mittlerweile so viele Publisher auf Remakes setzen. 2019 erschien die brillante Neuauflage von Resident Evil 2, ein Jahr später wurde der direkte Nachfolger einer Frischzellenkur unterzogen, die jedoch längst nicht jeden Fan zufriedengestellt hat. Schon damals war klar: Capcom wird auch Teil 4 neues Leben einhauchen, obwohl der doch eigentlich immer noch gut spielbar und für alle modernen Systeme erhältlich ist.
Viel mehr als bei den Vorgängern stellt sich also die Frage: Brauchen wir wirklich ein Remake von Resident Evil 4? Reicht es nicht, einfach das Original zu spielen, für dessen PC-Version es sogar eine aufwendige, sehr gute HD-Mod gibt, die einem Remaster gleichkommt? "Nein", sage ich, der das Remake gespielt hat – und komplett begeistert ist.
Eine Resi-Story kann auch mal spannend sein
Spanien im Jahr 2004: Sechs Jahre nach den schrecklichen Ereignissen in Raccoon City ist Leon S. Kennedy kein Polizist mehr, sondern Spezialagent des United States Strategic Command, kurz USSTRATCOM (was für eine Abkürzung). Der Grund für seine Reise auf die Iberische Halbinsel ist die Entführung von Ashley Graham, der Tochter des US-Präsidenten. Sie wird in einem kleinen Dorf von einem mysteriösen Kult gefangengehalten und Leon muss sie retten. Die beiden örtlichen Polizisten, die mit ihm dorthin fahren, sind ihm jedoch (unfreiwillig) nicht lange von Hilfe und ehe er sich versieht, wollen ihm alle Dorfbewohner ans Leder. Schnell stellt sich raus, dass hier ein Parasit im Spiel ist, der die Leute zu willenlosen Sklaven gemacht hat. Ashley allein schon zu finden, wird so zu einem schwierigen Unterfangen, von der anschließenden Rettung ganz zu schweigen.
Im Kern erzählt Capcom im Remake von Resident Evil 4 die gleiche Geschichte wie vor 18 Jahren. Allerdings haben die Entwickler einige Änderungen vorgenommen. Ich darf an dieser Stelle wegen der Review-Vorgaben von Capcom nicht weiter ins Detail gehen, kann euch aber sagen: Kein Resident Evil, das ich bislang gespielt habe, hat mich erzählerisch so gepackt wie die Neuauflage von Teil 4. An das Original kann ich mich nur noch grob erinnern (das habe ich 2007 auf der Wii gespielt), aber ich habe Resident Evil 7: Biohazard, das 2019er-"Resident Evil 2" und zuletzt Resident Evil Village gespielt und kann euch sagen: Keiner dieser Titel konnte mich mit seiner Story überzeugen (vor allem nicht Village!). Rein auf die Geschichten bezogen, steht Resident Evil in meinen Augen für Trash. Teil 4 bildet hier eine Ausnahme.
Ich möchte nicht behaupten, dass dessen Erzählung nobelpreisverdächtig ist. Ein gewisser Trash-Faktor ist auch hier vorhanden, trotzdem kommt Spannung auf. Die moderne Inszenierung mit richtig hochwertigen Zwischensequenzen und einer starken Vertonung trägt ihren Teil dazu bei, dass die Story bis zum Ende hin gut unterhält, so wenig Tiefgang sie auch haben mag. Tatsächlich bietet Resident Evil 4 eine bessere deutsche Sprachausgabe als viele andere Titel, die der englischen Fassung fast in nichts nachsteht. Gerade Leons Sprecher macht einen sehr guten Job. Den fast schon klassischen "Bitte auf Englisch spielen"-Hinweis kann ich mir hier also sparen, was ein seltenes Vergnügen ist.
Nach wie vor viel Action, aber modernisiert
Das originale Resident Evil 4 hat 2004 auf dem GameCube lange vor Gears of War gezeigt, wie gut Third-Person-Shooter auf Konsolen funktionieren können, ohne ein reiner Shooter zu sein. Bedeutend actionreicher als seine Vorgänger ist es aber in jedem Fall gewesen. Wer gedacht hat, das Remake werde viel mehr klassischer Survival-Horror sein, weil etwa der Anfang des Spiels deutlich düsterer ist als in der Urfassung, dem können wir Entwarnung geben – oder den müssen wir enttäuschen, je nachdem, wie man zum Original steht. Das neue Resident Evil 4 ist ebenfalls mehr Action- als Horrorspiel, ohne jedoch den Grusel komplett zu vernachlässigen. Jumpscares dürft ihr aber nicht erwarten, Munitions- beziehungsweise Ressourcenknappheit spielt jedoch eine Rolle. Gerade angesichts dessen, wie viele Kämpfe es zu bestreiten gilt, stellt ihr euch nicht selten die Frage, ob ihr wirklich wertvolle Schrotflintenmunition für die ganz normalen Dorfbewohner verschwenden sollt oder nicht doch lieber mit der Pistole feuert, für die ihr leichter Patronennachschub erhaltet.
Der große Unterschied im Gameplay zur Originalfassung ist natürlich, dass Leon gelernt hat, zeitgleich zu laufen und zu zielen beziehungsweise zu schießen. Die Möglichkeit, euch auf Knopfdruck schnell umzudrehen, gibt es trotzdem noch. Ich habe sie aber eigentlich nie benutzt, obwohl sich der Spezialagent nicht so agil bewegt wie beispielsweise ein Joel in The Last of Us: Part 1. Wer am PC mit Maus und Tastatur spielt und die Mausempfindlichkeit ordentlich nach oben schraubt (die Standardeinstellung ist verflucht niedrig), dreht sich auch so flott genug um. Zwar sind manche Standardtastenbelegungen etwas komisch (ihr geht mit "E" in die Hocke statt mit "C" oder "Strg"), ihr könnt sie aber nach Belieben ändern und ansonsten gewöhnt man sich auch sehr schnell an sie. Ganz anders als das Original ist das Remake von Anfang an wunderbar mit Maus und Tastatur spielbar, ein Gamepad braucht ihr hierfür nicht.
Kämpfe sind das Hauptspielelement von Resident Evil 4 und machen eine Menge Spaß. Jede der zahlreichen Waffen fühlt sich richtig gut an. Mit der Schrotflinte die Köpfe eurer Gegner platzen zu lassen, ist sehr befriedigend – selbst wenn danach ein tentakelähnlicher Auswuchs aus dem Körper herausguckt. Daran haben auch die satten Soundeffekte ihren Anteil. Die Waffen klingen wuchtig und wenn Körperteile ihre gewohnte Position verlassen, sieht das nicht nur saftig aus, sondern hört sich auch so an. Ich muss nicht extra darauf hinweisen, dass Resident Evil 4 auch im Remake kein Spiel für Kinder ist, oder? Na gut, jetzt hab ich es ja doch getan.
Leon kann diesmal auch leise sein
Ihr müsst diesmal aber gar nicht jeden Feind im offenen Kampf ausschalten. Capcom hat eine ganz seichte Stealth-Mechanik eingebaut. Ihr könnt jederzeit in die Hocke gehen und euch so an ahnungslose Widersacher anschleichen, um sie dann per Messer leise ins Reich der Toten zu befördern. Dadurch wird Resident Evil 4 jedoch nicht gleich zu einer Art Immersive Sim und ihr könnt das Spiel auch nicht als reiner Schleicher durchspielen. Das wird schon im Dorfabschnitt zu Beginn des Spiels deutlich. Stellt ihr euch clever an, könnt ihr zwei der zahlreichen Dorfbewohner, mit denen ihr es da zu tun bekommt, unbemerkt eliminieren. Andere Gegner sind jedoch so platziert, dass der "Ihr werdet bemerkt, alle greifen euch an und ihr müsst bis zum Glockenschlag aushalten"-Moment unweigerlich eintritt. Auch in vielen anderen Passagen bleiben euch offene Konfrontationen nicht erspart. Aber gerade die machen ja auch so viel Spaß, also warum solltet ihr sie allesamt vermeiden wollen?
Messer rein, Gedärme raus, … aber nicht endlos
Wo ich gerade schon das Messer angesprochen habe: 2004 habt ihr das unendlich oft einsetzen können. Wer Munition sparen wollte, hat einfach etliche Dorfbewohner aufgeschlitzt, statt sie zu erschießen. Das geht im Remake zwar theoretisch auch noch, allerdings hat die Klinge nun eine begrenzte Haltbarkeit. Nach intensiver Nutzung wird sie zerbrechen. Habt ihr dann keinen Ersatz im Inventar, seid ihr auf eure Schusswaffen angewiesen, bis ihr euer Kampfmesser beim Händler (der auch im neuen Resident Evil 4 nicht fehlen darf) reparieren könnt.
Der gute Mann hat zwar nicht mehr die ikonische englische Originalstimme von damals, trotzdem freut ihr euch jedes Mal, wenn ihr ihn sehnt. Bei ihm könnt ihr gefundene Schätze verkaufen und euch von eurem Geld neue Waffen, Verbrauchs-Items und auch Crafting-Rezepte holen. Außerdem lässt sich jede Form von Tötungswerkzeug (auch das Messer) in mehreren Kategorien aufwerten. Die Upgrades wie erhöhter Schaden, größere Munitionskapazität und schnellere Feuerrate machen sich stets sofort im Gameplay bemerkbar und sind daher große Motivationsfaktoren, jeden Winkel der Spielwelt zu erkunden. Man will ja keinen Schatz und ja keine Ansammlung von Pesetas (so heißt die Währung) verpassen.
Ganz schön linear
Die Erforschung der Levels macht einen großen Spaß, auch wenn es mich etwas überrascht, wie linear Resident Evil 4 doch ist. Das hatte ich so gar nicht mehr in Erinnerung. Resident Evil Village, an das ich mehrfach beim Spielen denken musste, weil so viele Ähnlichkeiten zwischen den Settings der beiden Spiele bestehen (in beiden Spielen gibt es ein Dorf im Hinterland mit einem großen See, in 4 gibt es eine Burg, in Village ein Schloss), ist deutlich offener. Sogar Teil 2 wirkt auf mich weniger linear, obwohl es deutlich kleinere Locations hat. Während sich dessen Polizeistation wie eine kleine Mini-Open-World anfühlt, in der ihr nach und nach Zugang zu immer mehr Räumen erhaltet und öfters mehrere Optionen habt, wo ihr als nächstes hingeht, folgt ihr in Resident Evil 4 größtenteils einem Levelschlauch. Ja, hier und da gibt es mal etwas offenere Gebiete und Abzweigungen sind auch an Bord, aber ihr kommt dabei nie weit weg vom Hauptpfad.
Dafür bietet Resident Evil 4 enorm viel Abwechslung und hat trotz seiner langen Spielzeit (ihr könnt locker an die 20 Stunden mit einem Durchgang beschäftigt sein) ein hervorragendes Pacing. Normale Kämpfe wechseln sich wunderbar mit Erkundung, kleinen Rätseln, Bossbegegnungen und stark geskripteten Ereignissen ab. Gerade letztere stellen euch immer wieder vor (für "Resi 4"-Neulinge) überraschende Herausforderungen. Ich will hier gar nicht viel vorwegnehmen, ihr solltet all das besser selbst erleben. Nur so viel sei gesagt: Capcom variiert nicht einfach nur die Kernspielmechaniken und setzt bei den Umgebungen auf Vielfalt, damit keine Langeweile aufkommt, sondern hat diverse Passagen designt, deren Grundideen sich kein zweites Mal im Spiel wiederfinden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt einen Gegner im Spiel, der nichts sieht und euch lediglich hören kann, weshalb ihr darauf achten müsst, keine lauten Geräusche zu erzeugen, wodurch diese Begegnung besonders spannend ist.
Mädel, du nervst … nicht mehr
Ein Aspekt, der sich deutlich im Vergleich zum Original verbessert hat, ist Ashley. Wir erinnern uns: Im alten Resident Evil 4 ist es schon recht nervig gewesen, auf die Präsidententochter aufzupassen. Im Remake lässt sie sich selbstständig von etwaigen Anhöhen herunterfallen, ohne dass ihr sie auffangen müsst. Auch hat sie keine eigene Lebensleiste mehr. Steckt sie Schaden ein, fällt sie zu Boden und ihr müsst ihr per Tastendruck aufhelfen, bevor ihr jemand final das Licht ausknipst. Alternativ versuchen die Gegner, sie zu entführen, indem sie sie auf ihre Schulter hieven. Dann gilt es, denjenigen fix zu erschießen, bevor er mit der Dame abhaut. Die Integration von Ashley ins Gameplay fällt so deutlich nervenschonender aus. Ja, ihr müsst immer noch gut auf sie aufpassen, aber Frustmomente gibt es keine mehr.
Zeit für Extrajobs
Darüber hinaus gibt es noch ein paar nette Neuerungen. In manchen Gebieten findet ihr blaue Zettel, die der Händler aufgehangen hat. So vermittelt er euch kleine Nebenmissionen, bei denen es zum Beispiel darum geht, mehrere blaue Amulette in der Umgebung zu zerstören. Diese Quests mögen nicht sonderlich kreativ sein und bieten auch keinen erzählerischen Mehrwert, sind aber a) eine nette Auflockerung und b) verdient ihr euch darüber Spinelle (besondere Edelsteine), die ihr gegen bestimmte Belohnungen eintauschen könnt, die nicht für Pesetas erhältlich sind. Des Weiteren gibt es Talismane, von denen ihr bis zu drei Stück an euren Koffer hängen könnt und die euch passive Boni verleihen. Wie ihr diese im Spiel erhaltet, darf ich euch leider nicht verraten (das möchte Capcom nicht), es ist aber eine unterhaltsame Abwechslung zum restlichen Spiel. Und mit 30 unterschiedlichen Talismanen gibt es allein diesbezüglich schon eine Menge zum Sammeln.
Überhaupt kann euch Resident Evil 4 lange beschäftigen. Zwar fehlen derzeit leider noch die Zusatzmodi des Originals (also der "Mercenaries"-Modus und die Minikampagne "Separate Ways", die wohl beide als DLCs nachgereicht werden), aber zum einen gibt es ein New Game Plus, zum anderen warten etliche Herausforderungen darauf, von euch gemeistert zu werden. Dafür belohnt euch das Spiel mit Abschlusspunkten, die ihr wiederum ausgebt, um nicht nur Modelle und Konzeptgrafiken freizuschalten, die ihr euch im Hauptmenü anschauen könnt, sondern auch Zugriff auf drei Extrawaffen sowie diverse Outfits zu erhalten.
Gruselig gut aussehend
Die RE Engine von Capcom hat sich längst als sehr guter Grafikmotor erwiesen und erreicht in Resident Evil 4 neue Höhen. Das Spiel sieht absolut fantastisch aus, vor allem wenn es dunkel ist und somit Licht- sowie Schatteneffekte richtig gut zur Geltung kommen. Die Texturqualität ist auf durchgehend hohem Niveau, die Charaktere sehen vor allem in den Zwischensequenzen sehr toll aus und es gibt sogar Raytracing. Das kommt allerdings nur bei Reflexionen zum Einsatz und die sind verhältnismäßig selten.
Dafür ist die Performance sehr gut: Auf meinem Rechner mit Intel i7 11700K, einer GeForce RTX 30080 Ti und 32 Gigabyte Arbeitsspeicher läuft Resident Evil 4 selbst ohne AMD FSR (Nvidia DLSS wird nicht unterstützt) butterweich in fast maximalen Details. Ich habe lediglich die Texturdetails um zwei und die Schattendarstellung um eine Stufe reduziert, weil das Spiel meint, das es ansonsten einen zu großen Anteil meines Grafikspeichers fressen würde. Die optischen Auswirkungen davon halten sich allerdings arg in Grenzen.
Fazit
Das Remake von Resident Evil 2 war 2019 mein Spiel des Jahres. Die Neuauflage von Teil 4 dürfte es zwar nicht schaffen, diese Auszeichnung von mir zu erhalten, wenn ich mir anschaue, was noch alles für Releases 2023 anstehen, aber qualitativ ist sie auf demselben hohen Niveau. Es hat nicht lange gedauert, bis ich mich in diesen Titel verliebt habe. Die Romanze begann bereits nach dem ersten großen Kampf im Dorf. Es macht so viel Spaß, eine Übermacht an Feinden mit Schrotflinte und Co abzuwehren und jedes Szenario ist spannend. Dank abwechslungsreichem Leveldesign, coolen Bosskämpfen und der unterhaltsamen Story fesselt mich Resident Evil 4 so stark an den Bildschirm, wie es nur wenigen anderen Spielen gelingt.
Klar, so revolutionär wie das Original ist das Remake nicht, aber wie sollte es das auch sein? Und ein grandioses Horror-Actionspiel ist es in jedem Fall – und dank spielerischer Verbesserungen sowie der Spitzenpräsentation ist es auch ein Remake mit Daseinsberechtigung. Fragt sich nur, was Capcom als nächstes neu auflegt. Wie wäre es mal mit Code Veronica, Zero oder dem allerersten Teil? Egal, ich würde alles davon nehmen, wenn die Qualität weiterhin auf diesem hohen Level bleibt.
- Spannende Kämpfe
- Wuchtiges Gunplay
- Abwechslungsreiches Leveldesign
- Guter Mix aus Action, Erkundung und Knobeleien
- Seichte, aber unterhaltsame Handlung
- Spitzengrafik
- Großartiger Sound
- Gute deutsche Synchronisation
- Hohe Spielzeit (20 Stunden)
- Motivierende Progression
- Sinnvolle Neuerungen und Verbesserungen
- "Mercenaries"-Modus und "Separate Ways" fehlen