Die Erwartungen an Pokémon Schwert & Schild waren hoch und genau daran scheitert die achte Generation.
Pokémon Schwert & Schild im Test: Nicht die erhoffte Evolution
Ach, was haben wir uns doch gefreut, als Game Freak ankündigte, ein richtiges Pokémon-Rollenspiel für die Nintendo Switch zu entwickeln! Endlich würde die Reihe die Handheld-Gefilde verlassen und technisch nicht mehr so stark eingeschränkt sein. Wir malten uns im Kopf schon eine Art "Breath of the Wild"-Szenario aus: eine richtige Open World, in deren freien Wildbahn wir auf ganz natürliche Art und Weise auf die unterschiedlichen Monster treffen.
Nach dem allerersten Trailer zu Pokémon Schwert & Schild dachten wir auch, wir würden so etwas ähnliches serviert bekommen. Als wir dann irgendwann davon hörten, dass es eine sogenannte "Naturzone" gibt, wurden wir jedoch stutzig: "Gibt es etwa nur ein Open-World-artiges Gebiet und der Rest ist so wie immer?" Mittlerweile kennen wir die Antwort auf diese Frage – und sie stimmt uns nicht gerade glücklich.
Gewohnte Kost
Switch hin oder her, Pokémon bleibt Pokémon. Wer sich von Schwert & Schild irgendwelche grundlegenden Gameplay-Innovationen beziehungsweise ein neues Konzept erwartet hat, wird schwer enttäuscht sein. Game Freak geht keinerlei Experimente ein und so sehr wir uns die bezüglich der Spielstruktur gewünscht hätten, so sind wir doch irgendwie froh, dass die Japaner die grundlegende Spielmechanik nicht angerührt haben. Pokémon Schwert & Schild üben immer noch die gleiche Faszination aus wie Rot & Blau vor über 20 Jahren. Neue Monster entdecken, einfangen und trainieren, rundenbasierte Kämpfe gegen wilde Viecher und andere Trainer bestreiten, Arenaorden sammeln – auch in der achten Generation hält sich die Reihe noch an diese Rezeptur und sie schmeckt nach wie vor gut, wenn auch mittlerweile eben sehr altbekannt.
Game Freak hätte durchaus mal ein paar andere Gewürze ausprobieren können, keine Frage. Aber so skeptisch wir an Pokémon Schwert & Schild herangegangen sind, nachdem uns vorab schon klar war, dass sie nicht unsere Erwartungen an Pokémon-Spiele für eine Heimkonsole erfüllen werden, so schnell hatte uns das Spielprinzip wieder gepackt. "Das Monster dahinten fange ich noch. Och, den einen Trainerkampf mach ich eben schnell." Tja, und ehe man sich versieht, ist es spät in der Nacht.
Großbritannien auf Japanisch
Jede neue Pokémon-Generation bringt eine neue Region der Pokémon-Welt mitsamt zuvor nie gesehenen Monstern mit sich. In Schwert & Schild erkundet ihr Galar, das stark an Großbritannien angelehnt ist. Die hügeligen Graslandschaften, die Städte mit ihren Back-to-Back Houses, das schreit alles nach der Hauptinsel des Vereinigten Königreichs. Allerdings regnet es nicht alle naselang und es gibt auch nicht an jeder Ecke einen Fast-Food-Laden, der euch in Essig ertränkte Pommes andrehen will.
Neu ist nicht immer besser
Die Galar-Region ist optisch sehr schön gestaltet und bietet auch viel Abwechslung. Weniger begeistert sind wir jedoch von den neuen Pokémon. 81 völlig neue Exemplare beherbergt Galar und bei manchen davon fragen wir uns, was die Designer sich eigentlich gedacht haben. Man denke nur mal an Knapfel. Das ist ein Apfel mit zwei Augen. Ein Apfel! Dann gibt es Kreaturen, die einfach ziemlich hässlich aussehen. Da wäre etwa das Schlangenpokémon Salanga und noch viel mehr dessen Weiterentwicklung Sanaconda, das aussieht, als würde es sich selbst erwürgen wollen. Und dafür hat Game Freak Rettan und Arbok über Bord geschmissen?! Auch ganz furchtbar ist Lectragon, das so wirkt, als hätte man das Hinterteil eines großen Drachen abgeschnitten und mit der vorderen Hälfte einer kleineren Echse zusammengesteckt.
Aber gut, es gibt auch ein paar Neuzugänge, die uns gut gefallen. Voldi, der elektronisch geladene Corgi, ist extremst putzig und der Wasservogel Urgl erinnert uns mit seinem Blick irgendwie an den XXL-Piepmatz Kevin aus dem Pixar-Film "Oben". Sehr schick designt sind zudem ein paar der neuen Galar-Formen bekannter Pokémon wie Porenta und Smogmog. Und als Ausgleich für die weniger gelungenen Frischlinge gibt es ja noch Hunderte altbekannter Taschenmonster.
"Wo ist mein Schiggy?!"
Über 400 Wesen zum Sammeln stecken in Pokémon Schwert & Schild, einige davon sind wie gewohnt editionsspezifisch. Der große Aufreger: Ihr könnt eben nicht alle über 800 Pokémon bekommen, die es mittlerweile gibt. Die Vorgänger boten die Möglichkeit an, in vorherigen Generationen gefangene Monster zu importieren. In Schwert & Schild geht das nicht. Ehrlich gesagt stört uns das recht wenig. 400 Stück sind eine gute Hausnummer und allein die alle zu fangen, ist eine Aufgabe, die euch etliche Stunden an die Switch fesseln wird.
Schade finden wir es nur, dass diverse Lieblinge nicht in den Spielen vertreten sind, irgendwelche weniger beliebten Pokémon aus jüngeren Editionen hingegen schon. Wo sind Schiggy und Bisasam? Wo ist Pummeluff? Wir könnten noch viel weitere aufzählen, aber es sollte deutlich geworden sein: Die Monsterauswahl in der achten Generation ruft keine Begeisterungsstürme in uns hervor.
Mehr Sport, weniger Abenteuergeschichte
Begeistert hat uns die Story in einem Pokémon-Spiel noch nie. Dementsprechend haben wir von den neuen Teilen diesbezüglich nicht viel erwartet und tatsächlich auch nicht viel bekommen. Der Fokus liegt diesmal ganz klar auf dem Aspekt, um den sich ja eigentlich eh jeder Pokémon-Titel dreht: darum, der Allerbeste zu werden. Klar, es gibt auch noch einen Handlungsstrang rund um die neuen legendären Pokémon, aber insgesamt konzentrieren sich Schwert & Schild auf euren Werdegang und die Arena-Challenge. Das ist nicht sonderlich spannend und die Charaktere sowie Dialoge sind absolut belanglos.
Was uns jedoch gefällt: In der Galar-Region sind Pokémon-Kämpfe in den Arenen analog zum Fußball im echten Großbritannien große Sportereignisse, weshalb jene Orte auch große Stadien sind, in denen zahllose Zuschauer Platz finden. Das wirkt sich stark auf die Inszenierung und Atmosphäre während der Arenakämpfe aus. Während ihr den jeweiligen Arenaleiter beziehungsweise dessen Pokémon bekämpft, jubeln euch die Massen zu, als wärt ihr der nächste Harry Kane. Das hat schon was.
Große Pokémon, geringer Anspruch
Mit der Dynamaximierung von Pokémon gibt es ein neues Gameplay-Element, das nur in den Arenakämpfen und in der Naturzone zum Einsatz kommt. Einmal pro Kampf kann eines eurer Pokémon für drei Runden auf Hochhaushöhe wachsen, was seinen Schaden deutlich steigert. Einige ausgewählte Monster wie Glurak oder Lapras haben zudem eine Gigadynamax-Form, die nochmals stärker ist und ihnen ein besonderes Aussehen verleiht.
Das Dynamax-Feature ist letztendlich mehr ein optisches Gimmick, das vor allem den Spektakelfaktor in den Arenakämpfen nochmal deutlich erhöht. Spielerisch sorgt es jedoch nicht wirklich für mehr Tiefgang. Dafür kommt es innerhalb der Geschichte zu selten zum Einsatz und aufgrund des allgemein sehr geringen Schwierigkeitsgrads von Pokémon Schwert & Schild steht ihr auch selten vor einer schwierigen Wahl, wenn es darum geht, welches eurer Monster ihr denn nun dynamaximieren lassen wollt. Ja, auch in der Generation 8 lässt die Reihe leider zum Großteil jegliche Herausforderung vermissen.
Erst im Postgame erwarten euch mal ein paar knackigere Kämpfe, doch da es nach Abschluss der Story abseits vom Pokémon-Sammeln und PvP-Kämpfen übers Internet nicht mehr so wahnsinnig viel zu tun gibt, fällt das kaum ins Gewicht. Wir verstehen ja, dass Game Freak vor allem eben Kinder ansprechen möchte. Aber es gibt nun mal auch sehr viele erwachsene Fans und die hätten schon gerne etwas mehr Anspruch in den Kämpfen. Sie wollen es auch nicht noch einfacher gemacht bekommen, indem der EP-Teiler kein optionales Item mehr ist, sondern einfach von Haus aus alle Pokémon in eurem Team Erfahrungspunkte für jeden Kampf erhalten – ob sie nun zum Einsatz gekommen sind oder nicht, spielt keine Rolle.
Viele Schläuche und eine langweilige große Ebene
Pokémon Schwert & Schild sind aber nicht nur verflucht einfach, sondern auch verflucht übersichtlich, was die Spielwelt betrifft. Ja, in Galar gibt es viele Städte und Routen, die die Siedlungen miteinander verbinden, aber es ist einfach alles so enorm linear. Die Reihe hatte zwar noch nie offene Spielwelten, aber zum einen hätte man eine solche von der ersten Generation für die Switch eben schon erwarten können, zum anderen hat es Game Freak sogar geschafft, die Linearität zu steigern. In den alten Teilen gab es noch richtige Dungeons mit mehreren Etagen und Abzweigungen. Pokémon Schwert & Schild weisen so gut wie keine Höhlen oder größeren Gebäude auf, in denen man mal länger zugange ist und die meisten Gebiete sind absolut schlauchförmig.
"Aber es gibt doch die Naturzone!", werdet ihr einwerfen. Ja, damit hat Game Freak ein Gebiet gebaut, das für ein Pokémon-Spiel ziemlich groß ist. Im Vergleich zu richtigen Open Worlds hingegen ist es sehr überschaubar. Der Umfang ist aber gar nicht das Problem. Das liegt eher darin, dass die Naturzone alles andere als schön ist. Es ist einfach ein großes weites Feld mit ein paar Bäumen, einem See und einem wüstenartigen Abschnitt. Viel zu entdecken gibt es abseits der Massen an Pokémon nicht.
Das einzig wirklich interessante Feature der Naturzone sind die Dyna-Raids. An leuchtenden Pokémon-Nestern könnt ihr Dynamax-Monster herausfordern und dabei gemeinsam mit bis zu drei anderen Spielern kämpfen. Ersatzweise helfen euch KI-Trainer, falls sich gerade mal keine echten Mitspieler finden. Die Idee ist gut, die Umsetzung aber eher mäßig, denn Kooperation herrscht bis darauf, dass alle versuchen, so viel Schaden wie möglich zu machen, nicht.
Wenn ein Spiel selbst die Switch nicht ausreizt…
Ihr merkt, wir sind von der Naturzone nicht begeistert. Das hat auch mit der schlechten Technik zu tun. Nein, Pokémon Schwert & Schild sind keine hässlichen Spiele. Der Stil ist stimmig, die Welt abseits des offenen Gebiets detailverliebt und die Pokémon sehen gut aus. Aber die Hardware der Switch wird nicht mal im Ansatz ausgereizt. Im Vergleich mit einem The Legend of Zelda: Breath of the Wild oder Super Mario Odyssey wirken Schwert & Schild schon ein bisschen wie hässliche Entlein – eben wie 3DS-Spiele, die einfach nur auf eine HD-Auflösung hochskaliert wurden.
Das wird eben speziell in der Naturzone deutlich, die kaum Details bietet, dafür aber das immer gleiche, wirklich furchtbare Baummodell. Pokémon und Charaktere ploppen direkt vor eurer Nase auf, was ebenfalls unschön ist. Und wenn ihr online spielt, wirken sich die fehlenden Server zudem negativ aus. Dann ruckelt das Spiel in der Naturzone so sehr, dass es wirklich unspielbar wird. In den Kämpfen enttäuschen zudem die Hintergründe mit arg groben Texturen und während manche Angriffsanimationen ganz gut gemacht sind, sind andere so primitiv wie eh und je.
Primitiv ist auch ein gutes Wort, um den Sound zu beschreiben. Die Musik ist komplett elektronisch, was für ein Switch-Spiel zu wenig ist. Pokémon ist eine riesige Marke, das Geld für einen orchestralen Soundtrack müsste also eigentlich vorhanden sein. Aber nein, Game Freak scheint daran kein Interesse zu haben – schade, denn die Kompositionen gefallen uns gut, der Klang ist aber einfach nicht so toll. Immerhin, könnte man sagen, gibt es Musik. Von einer Sprachausgabe fehlt jegliche Spur und auch das ist schlicht nicht mehr zeitgemäß. Hinzu kommt, dass die Pokémon einfach nur irgendwelche Geräusche machen und nicht ihren Namen sagen. Kurzum: Bei der Akustik laufen Pokémon Schwert & Schild auf Sparflamme.
Fazit
Tja, wer hätte gedacht, dass wir in einem Test zu Pokémon Schwert & Schild so viel Kritik äußern? Der Text mag bis hierhin wie ein Verriss gewirkt haben, aber seid euch gewiss: Wir haben unseren Spaß in der Galar-Region gehabt, was auch die unten stehende Wertung erklärt. Schwert & Schild sind beileibe keine schlechten Spiele. Die grundlegende Formel funktioniert auch diesmal wieder richtig gut. Es macht Spaß, Pokémon zu sammeln und dabei zuzusehen, wie sie immer stärker werden. Die Kämpfe machen Laune, auch wenn sie viel zu einfach sind. Die Galar-Region ist abseits der Naturzone ebenfalls hübsch gestaltet.
Aber dafür, dass Schild & Schwert Switch- und keine 3DS-Spiele mehr sind, bieten sie einfach zu wenig Fortschritt. Sie fühlen sich eben immer noch wie Handheld-Titel an. Uns ist der Spielablauf etwas zu linear. Die Naturzone kann das nicht ausgleichen. Sie ist längst nicht das Highlight-Feature, als das sie verkauft wird, sondern sogar der schwächste Aspekt. Alles in allem fühlen wir uns zwar gut unterhalten von Pokémon Schwert & Schild, sind aber auch enttäuscht darüber, dass Game Freak die Möglichkeiten der Switch überhaupt nicht genutzt hat.
- Zeitlos gutes Spielkonzept
- Sehr viele Pokémon zum Sammeln
- Hübsche Galar-Region
- Schick aufbereitete Arenakämpfe
- Viel zu lineare Spielwelt
- Naturzone sehr ernüchternd
- Extremst niedriger Schwierigkeitsgrad
- Schwache Technik
- Dynamax-Feature oft nur ein Gimmick
- Keine Sprachausgabe