Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning ist kein ideales Remaster, aber dennoch eine gute Gelegenheit, das RPG nachzuholen.
Kingdoms of Amalur – Re-Reckoning im Test: Die zweite Chance
Kingdoms of Amalur: Reckoning gilt als einer der größten Flops in der Videospielgeschichte. Es war das erste und letzte Spiel des Entwicklers 38 Studios, der aufgrund des Misserfolgs des Rollenspiels pleite ging. Die Geschichte ist vor allem deshalb tragisch, weil der Titel alles andere als ein schlechter Vertreter seines Genres ist. Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning stellt das nun, über acht Jahre später, erneut unter Beweis. Dank Publisher THQ Nordic, der die Markenrechte vor wenigen Jahren erworben hat, gibt es nun jenes Remaster für PC, PS4 und Xbox One. Das Spiel hat eine zweite Chance erhalten und die hat es sich auch verdient. Schade nur, dass die Neuauflage nicht ganz das liefert, was wir uns von ihr versprochen haben.
Auflösung und FPS stimmen
Der Frankfurter Entwickler Kaiko und THQ Nordic hatten viel versprochen für das Remaster: Nicht nur grafisch sollte Kingdoms of Amalur aufgewertet werden, sondern auch spielerisch. Dazu gibt es die beiden DLCs, die einst für das Original erschienen sind, und sogar eine dritte Erweiterung namens "Fatesworn" – wenn ihr euch denn die etwas teurere Fate Edition kauft. Zudem erscheint das neue Add-on erst 2021. Konzentrieren wir uns also auf das, was schon da ist. Und da stellen wir fest: Zumindest technisch ist Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning nicht das, was wir von einem guten Remaster erwarten.
Es ist nicht so, als hätte Kaiko das Action-RPG nicht optisch aufgewertet. Zum einen unterstützt es nun Auflösungen bis 4K. Wir haben es jedoch auf der PS4 Pro gespielt und da läuft es laut Entwickler "nur" in 1440p. Wer in nativem UHD zocken möchte, braucht also entweder eine Xbox One X oder einen starken Rechner. Trotzdem ist auch auf der aktuell noch leistungsfähigsten Sony-Konsole das Bild sehr scharf und logischerweise ein Riesenfortschritt im Vergleich dazu, wie die alte PS3- und Xbox-360-Version aussieht. Auch in Sachen Bildrate erleben Konsolenspieler eine große Steigerung: Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning läuft mit durchgehend flüssigen 60 FPS. Da schnetzelt es sich gleich viel besser als vor acht Jahren.
Da wäre mehr drin gewesen
Ehrlich gesagt kann man aber auch erwarten, dass das Spiel mit so einer hohen Bildrate und ohne Einbrüche läuft, denn auch wenn Kaiko Texturen und Effekte überarbeitet hat, so kann Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning nicht verstecken, dass schon das Original 2012 optisch leicht überholt gewesen ist. Noch immer ist es kein sonderlich hübsches Rollenspiel. Vor allem die Charaktermodelle wirken wie aus der Zeit gefallen mit ihren kantigen Gesichtern und steifen Animationen. Hier hätte Kaiko deutlich mehr Aufwand reinstecken können.
Im Vergleich zum Switch-Remaster des einstigen Wii-Exklusivspiels Xenoblade Chronicles, für das die Modelle der Figuren komplett neu erstellt wurden, zieht Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning klar den Kürzeren. Es ist offensichtlich, dass man hier bloß das alte Spiel genommen, an moderne Bildschirme angepasst und ein paar Effekte optimiert hat. Als wir den Titel erstmals starteten, war unser erster Gedanke: "Das sieht so aus wie damals." Erst bei genauerer Betrachtung beziehungsweise im direkten Vergleich fallen die Optimierungen auf. Kingdoms of Amalur hätte definitiv mehr verdient. Immerhin: Stimmig ist der Comic-Look nach wie vor. Der hat das Spiel 2012 davor bewahrt, als hässlich abgestempelt zu werden, und heute ist es nicht anders.
"LAD SCHNELLER!"
Das größte Problem von Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning ist jedoch keine verpatzte Chance bei der grafischen Überarbeitung. Es sind die Ladezeiten auf der PS4 Pro. Wir können mangels weiterer Versionen nicht darüber urteilen, wie es auf dem PC oder der Xbox One X aussieht, aber nur hoffen, dass die Warterei beim Wechseln des Levels auf den beiden Systemen nicht so lang ausfällt. Jedes Mal, wenn ihr ein Gebäude oder einen Dungeon betretet, kommt ein Ladebildschirm – umgekehrt genauso, wenn ihr wieder in die Außenwelt wechselt. Gerade in letzterem Fall sitzt ihr gut und gerne mal eine halbe Minute vor dem Fernseher und dreht Däumchen.
Wenn ihr in der Wildnis unterwegs seid und zwischendurch mal eine Höhle von Monstern säubert, mag das noch nicht so schlimm sein. Besuche von Städten und Dörfern jedoch werden schnell zur Geduldsprobe. Ihr müsst etwa in Gorhart, der ersten Siedlung, die ihr erreicht, einmal zur Trankhändlerin, zur Heilerin im Gasthaus und zur Schmiede? Glückwunsch, ihr dürft innerhalb weniger Minuten sechsmal für jeweils 15 bis 30 oder gar mehr Sekunden auf den Ladebildschirm starren. Was ein Spaß! Da überlegt man es sich zweimal, ob man wirklich unbedingt noch die eigene Ausrüstung vom Schmied reparieren lassen muss.
Ein Held will gefordert werden
Inhaltlich schlägt sich das Remaster besser. Zum einen habt ihr diesmal die freie Wahl, mit welcher Audiosprache ihr spielen wollt. Die deutsche Synchronisation ist nicht schlecht, aber das englische Original bietet nochmal wesentlich bessere Sprecher. Jedes Volk in der Fantasy-Welt hat dann einen Akzent, die Gnome etwa klingen schottisch. Hinzu kommen spielerische Verbesserungen. Einerseits könnt ihr im Kampf auf acht statt wie im Original nur vier Spezialfähigkeiten zugreifen, was euch eine größere Flexibilität verschafft.
Andererseits hat Kaiko am Balancing gearbeitet. Das Problem im alten Kingdoms of Amalur: Wer brav jede Nebenquest erfüllt (von denen es enorm viele gibt), ist schnell überlevelt und vermisst dann jegliche Herausforderung. In Re-Reckoning gibt es einerseits einen vierten Schwierigkeitsgrad ("Extrem"), der das Spiel gerade zu Beginn sehr knackig macht, andererseits skalieren die Gegnerstufen besser mit eurer eigenen. Zwar besteht immer noch die Möglichkeit, so mächtig zu werden, dass euch die Monster, Banditen und Co kaum etwas anhaben können, sie halten aber nun länger mit euch mit.
Leider hat Kaiko es verpasst, die Menüs zu modernisieren. Das Inventar besteht in Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning immer noch aus langen Listen, die nicht die Größe des Bildschirms ausnutzen und daher viel Scrollen verlangen. Komfortabel ist die Verwaltung eurer Ausrüstung also auch im Remaster nicht. Da es in Kingdoms of Amalur sehr viel Loot und eben auch eine große Bandbreite an Waffen und Rüstungsteilen gibt, ist das doppelt ärgerlich.
Großes Spiel, viel Spaß
So viel also zu den Änderungen (oder auch schmerzlich vermissten Verbesserungen) der Neuauflage, doch kann Kingdoms of Amalur als Rollenspiel heutzutage noch überzeugen? Absolut! Es ist sicherlich kein Meisterwerk à la The Witcher 3 und hat auch keine so faszinierende Welt wie ein Skyrim, es sprechen aber dennoch viele Dinge für den Underdog. Da wäre die durchaus interessante und auch umfangreiche Lore, über die ihr in Gesprächen mit NPCs und Büchern mehr erfahrt. Die Geschichte selbst ist zwar kein Highlight, fungiert aber gut als Wegweiser durch die große, wenn auch nicht vollkommen offene Spielwelt (stellt sie euch wie größere Blasen vor, die durch enge Schläuche miteinander verbunden sind).
Der Umfang von Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning ist gigantisch. Allein für die Hauptgeschichte könnt ihr je nach Tempo 20 bis 30 Stunden veranschlagen. Die ist aber nur ein kleiner Teil des Spiels, denn es gibt Hunderte an Fraktions- und Nebenquests. Sich dabei auf den Hauptpfad zu konzentrieren, fällt ähnlich schwer wie in den "The Elder Scrolls"-Titeln. Spielerisch reißen die Quests zwar keine Bäume aus, oftmals erinnern sie sogar an typische MMO-Missionen. Es geht eben in der Regel darum, eine bestimmte Anzahl Gegner zu töten oder Items zu sammeln. Aber die allermeisten Quests erzählen nette kleine Geschichten, die manchmal sogar zum Schmunzeln anregen, wenn ihr etwa einem Wolf helfen sollt, der in einen Menschen verwandelt wurde und überhaupt nicht darüber begeistert ist.
Das Highlight sind aber die Kämpfe, die sich sehr flott und actionreich spielen. Am Anfang schlagt ihr vielleicht nur mit normalen Attacken zu und denkt euch, dass das doch sehr simpel ist. Aber je mehr Talente ihr bei Levelaufstiegen freischaltet, desto mehr Möglichkeiten eröffnen sich euch. Für jede Waffe gibt es eigene Spezialmanöver, hinzu kommen die verschiedenen Zauber. Gegnerischen Attacken weicht ihr im richtigen Moment aus oder blockt sie ab und wenn euch eine perfekte Parade gelingt, betäubt ihr euren Gegner für ganz kurze Zeit, was die ideale Gelegenheit ist, zurückzuschlagen. Kurzum: Die Gefechte spielen sich auch heute noch flüssig und machen echt Laune. Zudem ist die Progression eures Helden sehr motivierend. Die Loot-Spirale greift schnell und das Skill-System lässt euch viele Freiheiten. Ihr könnt ein Krieger, Magier oder Schurke sein oder alles miteinander kombinieren – sehr cool!
Fazit
Wir hatten uns vom Remaster wirklich mehr erhofft. Spielerisch freuen wir uns zwar über wichtige Verbesserungen in Sachen Balancing, aber grafisch wäre noch so viel mehr möglich gewesen. Da wird deutlich, dass THQ Nordic nicht zu viel Geld in die Neuaufbereitung dieses vor acht Jahren so schändlich ignorierten Spiels stecken wollte. Ob ihr euch also Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning kaufen solltet, wenn ihr das Original bereits rauf und runter gespielt habt? Seid ihr Konsolenspieler und wollt es nochmal erleben, aber etwas mehr gefordert werden und das Spiel mit 60 FPS genießen, könnt ihr schon zugreifen, solltet aber vielleicht auf einen Sale warten. Für PC-Spieler mit der Steam-Version des Originals lohnt sich das Upgrade weniger, allerdings zahlen die auch nur die Hälfte.
Habt ihr noch nie Berührungspunkte mit Kingdoms of Amalur gehabt (was ja nicht ganz unwahrscheinlich ist), lohnt sich das Remaster für 40 Euro aber allemal. Es ist nach wie vor kein Rollenspiel der Königsklasse, aber doch ein sehr guter Genrevertreter mit spaßigem Gameplay und viel Inhalt.
- Wichtige Balancing-Verbesserungen
- Sprachausgabe frei wählbar
- Riesenumfang
- Immer noch spaßiges Kampfsystem
- Interessante Lore
- Lange Ladezeiten auf PS4 Pro
- Kaum grafische Verbesserungen
- Menüs immer noch unkomfortabel