So immersiv wie Half-Life: Alyx ist kein anderes Spiel. Aber ist es auch so gut wie kein anderes Half-Life?
Half-Life – Alyx im Test: Wenn das Durchsuchen von Schubladen Spaß macht
Hätte man uns vor einem Jahr gefragt, ob Valve jemals wieder ein Spiel veröffentlichen würde, das nichts mit Dota oder generell kompetitivem Multiplayer zu tun hat, hätten wir die Frage folgendermaßen beantwortet: "Ne, ganz bestimmt nicht!" Aber dann überraschte uns das Studio aus Bellevue, Washington, im November 2019 mit der Ankündigung von Half-Life: Alyx. Na gut, nicht die offizielle Enthüllung hat uns überrascht, eher der Leak im Vorfeld, der Valve dazu zwang, nicht bis zu den Game Awards im Dezember zu warten. Aber ist ja auch egal, denn was zählte, war, dass Valve ein neues Half-Life macht. Nicht Teil 3 und auch kein normales PC- oder Konsolenspiel, sondern ein exklusives Erlebnis für Besitzer einer VR-Brille. Die Vorfreude war trotzdem riesig.
Für Half-Life: Alyx und somit quasi extra für diesen Test haben wir uns eine VR-Brille besorgt. Für eine teure Valve Index hat es nicht gereicht, aber immerhin war eine Oculus Quest drin. Mit der lässt sich das Spiel problemlos dank Oculus Link zocken, es gibt eben nur ein paar Limitierungen bei der Bildqualität und der Immersion. Da hat das Valve-eigene Headset dank besserem Display und komplettem Finger-Tracking die Nase vorn. Um für euch herauszufinden, ob Half-Life: Alyx es wert ist, sich teure Zusatzhardware zu kaufen, reicht die Oculus Quest aber in jedem Fall aus. Zudem kommt es nicht nur auf die Technik an, wobei die bei so einem aufwendigen VR-Spiel natürlich besonders interessant ist.
Ein großes Erbe
Bevor wir uns aber damit befassen, wie es ist, Half-Life: Alyx zu erleben, erst mal ein paar Worte zur Geschichte. Die ist schließlich auch nicht ganz irrelevant, galt doch Half-Life 1 1998 als der erste Ego-Shooter, der wirklich wert darauf gelegt hat, eine spannende Story zu erzählen. Mit dessen Add-ons, der Fortsetzung Half-Life 2 und deren Erweiterungen Episode One und Two hat Valve das Universum noch weiter vertieft und uns noch mehr von der Welt sehen lassen, in der Aliens, die sogenannten Combine, die Menschheit unterdrücken. Blöd nur, dass Valve uns nie ein Ende präsentiert hat. Episode Two endet mit einem fiesen Cliffhanger, Episode Three ist nie erschienen und Half-Life 3 längst der größte Running Gag der Videospielbranche (Duke Nukem Forever ist ja dann doch irgendwann mal erschienen).
Wer gehofft hat, Valve würde die Handlung nun mit Half-Life: Alyx endlich fortsetzen... Nun ja, der wird anfangs enttäuscht sein, wenn er das Spiel einfach mal so auf Steam gekauft hat, ohne sich vorab über den Inhalt zu informieren. Es gibt zwar ganz zu Beginn eine Texteinblendung, die angesichts dessen, dass das Spiel ein Prequel ist und vor Half-Life 2 spielt, bei Fans erst mal für Verwirrung und auch ein wenig Hoffnung sorgt, aber um euch Episode Two nicht zu spoilern, gehen wir nicht näher darauf ein. Danach startet das Abenteuer auf einem Balkon mitten in City 17 – auf den kommen wir weiter unten nochmal zu sprechen.
Jetzt ist Alyx der Star und die kann wenigstens auch sprechen
Ihr seid Alyx Vance, Tochter des Wissenschaftlers Eli Vance. Fans kennen beide Charaktere bestens. Eli ist schon seit Half-Life 1 mit an Bord, war damals Angestellter in Black Mesa und somit ein Kollege von Serienheld Gordon Freeman. Sein Nachkomme wurde in Half-Life 2 als Sidekick von Gordon eingeführt. Zusammen sind sie die Schlüsselfiguren im Widerstand der Menschen gegen die außerirdischen Besetzer. Sie müssen sich also ganz besonders in Acht nehmen und direkt zu Spielbeginn kommt es auch schon, wie es leider kommen muss. Eli wird verhaftet, Alyx kann entkommen und will ihren Vater aus den Händen der Combine befreien.
Dazu erhält sie die Hilfe von Russell, einem weiteren Widerstandsmitglied, der mit ihr das ganze Spiel über Funkkontakt hält. Half-Life: Alyx erhält dadurch einen Hauch von Firewatch, was nicht verwunderlich ist. Schließlich gehört Campo Santo, das Entwicklerteam hinter dem Adventure-Hit von 2016, seit 2018 zu Valve und seine Belegschaft hat kräftig an dem VR-Spiel mitgewirkt. Ähnlich wie in Firewatch wirken die Dialoge zwischen Alyx und Russell sehr menschlich. Die englischen Sprecher – eine deutsche Vertonung gibt es nicht, Untertitel lassen sich aber aktivieren – machen ihren Job fantastisch und die Texte sind richtig gut geschrieben.
"Bin ich in einem Marvel-Film gelandet?"
Allerdings werden sich hier die Geschmäcker spalten, denn der Ton ist eigentlich nicht dem angemessen, was im Spiel passiert. Die Wortwechsel haben uns oft zum Schmunzeln gebracht. An sich ist das gut, aber in einer so düsteren Welt, die von einem totalitären Alien-Regime beherrscht wird, und in der wir als junge Alyx um das Leben unseres Vaters fürchten müssen, passt es nicht so ganz, wenn wir ständig Späßchen mit Russell machen. Das erinnert sehr an die Marvel-Filme, die auch oftmals die Ernsthaftigkeit einer emotionalen Szene dadurch untergraben, dass irgendwer einen flotten Spruch von sich gibt. Kein Zweifel, viele Leute mögen das, sonst wären die Streifen nicht so erfolgreich. Aber wer bei Avengers und Co schon ein Problem damit hat, wird sich auch mit Half-Life: Alyx schwertun.
Die eigentliche Handlung braucht eine ganze Weile, um in die Gänge zu kommen. Lange Zeit heißt es einfach nur: Alyx hat ein Ziel, das gilt es zu erreichen, also läuft sie von A nach C über B, ohne große Überraschungen auf dem Weg. Erst in der zweiten Spielhälfte geht es so richtig los und gerade Half-Life-Fans der ersten Stunden werden so manche "Aha"-Erlebnisse haben und vor Freude in die Luft springen – passt nur auf, dass ihr dabei nichts in eurer Wohnung umhaut! Das alles macht den Plot zwar nicht zu einer der besten Geschichten der Videospielhistorie, die Handlung bleibt alles in allem recht simpel, aber sie unterhält dennoch insgesamt sehr gut. Zudem vermeidet sie den "Ist eh ein Prequel und daher weiß ich, worauf das hinausläuft"-Effekt sehr gekonnt.
"Hier bleib ich erst mal"
Kommen wir zurück zum Anfang: zu diesem besagten Balkon. Dort schlüpft ihr erstmals in die Haut von Alyx, während ihr über die Häuserdächer von City 17 hinwegblickt. Plötzlich nähert sich von links... Oh mein Gott, ja, das ist ein Strider! Ihr wisst schon, so ein großes Vieh mit langen, stelzenartigen Beinen, gegen das ihr damals in Half-Life 2 gekämpft habt – wenn ihr Half-Life 2 denn gespielt habt, was ihr haben solltet, weil es immer noch fantastisch ist. Für uns als Fans war dieser Start von Half-Life: Alyx ein Gänsehautmoment. Doch nicht nur das: Der Balkon wurde schnell zur Spielwiese. Denn es liegen allerlei Gegenstände wie Flaschen, eine Gießkanne und ein Radio herum. Unten auf der Straßen stehen ein paar Leute und auf dem Balkongeländer hockt eine Taube – die wir sogleich versuchen, mit einem der Objekte abzuwerfen (also die Taube und die Leute unten am Erdboden!).
Gefühlt verbringen wir zehn Minuten an dem Startort unseres Abenteuers, weil wir direkt fasziniert davon sind, wie interaktiv diese Welt ist. Und das zieht sich durch das gesamte Spiel. Nahezu jedes Objekt lässt sich aufheben und werfen. Die Physik-Engine leistet dabei ganze Arbeit. Glasflaschen zerspringen glaubhaft, wenn wir sie zu Boden schmeißen, Objekte prallen physikalisch korrekt von Wänden ab. Einzig das mit dem Gewicht ist so ein Sache. Zwar müsst ihr schon zwei Hände benutzen, um etwa eine schwere Kiste anzuheben, doch schwer wirkt sie dann eben doch nicht. Es ist aber auch nicht leicht, so etwas in einer virtuellen Welt, in der ihr euch ja quasi wirklich mit eurem Körper bewegt, umzusetzen.
Aber hey, dafür könnt ihr mit Stiften die Fenster bemalen, Klavier spielen (was jedoch ohne Valve-Index-Controller nur mäßig funktioniert) oder eine Insektenlarve füttern, die Alyx als Haustier hält. Die Liebe zum Detail macht sich nicht nur in der Gestaltung der Levels bemerkbar, die Half-Life-typisch sehr glaubhaft und nicht bloß wie Kulissen wirken, sondern eben auch im Grad der Interaktivität.
All das trägt dazu bei, dass Half-Life: Alyx ein unglaublich immersives Spiel ist. Klar, VR-Spiele sind allgemein sehr vereinnahmend und geben uns das Gefühl, mitten drin im Geschehen zu sein. Da sind die Jungs und Mädels von Valve längst nicht die Ersten, denen das gelungen ist. Aber sie heben es auf ein neues Niveau. Die Welt von Half-Life: Alyx ist zwar strikt linear – ein paar kleine Abzweigungen mal ausgenommen – und Valve arbeitet viel mit Skriptsequenzen, trotzdem wirkt das alles nicht künstlich, sondern absolut natürlich.
Grafik, die selbst ohne VR begeistern würde
Diese Welt lebt. Die Illusion, uns durch eine riesige Stadt zu bewegen, in der die Menschen unterdrückt werden, während im Untergrund Zombies darauf warten, einen Bissen frisches Hirn abzubekommen, ist Valve besser gelungen als je zuvor, dem technischen Fortschritt, insbesondere der VR-Technologie, sei Dank. Die Grafik spielt dabei keine unwichtige Rolle. Die Zeiten, in denen VR-Spiele aussahen wie Titel aus der letzten Konsolengeneration, scheinen vorbei zu sein. Asgard's Wrath sieht ja schon gut aus, aber Valve legt nochmal eine Schippe drauf. Gerade die Lichteffekte sind "State of the Art", wie es so schön heißt. Die Helligkeit oder Dunkelheit in Räumen wirkt stets enorm realistisch und dafür braucht es nicht mal Raytracing. Und die Animationen erst: Selten haben wir so gutes Motion- und Performance-Capture in einem Videospiel gesehen. Gerade die menschlichen Figuren, denen ihr begegnet, wirken enorm glaubhaft. Gesichtsregungen und Körperbewegungen sind so realistisch, ohne dabei jedoch "Uncanny Valley"-Territorium zu betreten.
Das alles hat aber auch einen hohen Preis: Die Hardware-Anforderungen sind ganz schön gesalzen. Auf unserem Testrechner mit einem Intel i7 7700K, 16 Gigabyte Arbeitsspeicher und einer GeForce RTX 2070 SUPER, können wir maximal auf hohen Grundeinstellungen mit Texturen auf mittlerem Niveau spielen. Und selbst dann kommt es manchmal zu Rucklern, etwa wenn wir mal wieder an den Rand unseres Spielbereichs kommen und die Oculus Quest deshalb das Gitternetz einblendet, das das von uns zum Spielen festgelegte Areal im realen Raum markiert. Und als wir einmal den Gastank eines Combine trafen, den er sich auf seinen Rücken geschnallt hatte, sorgte die anschließende Explosion für einen totalen Einsturz der Bildrate in den einstelligen Bereich. Aber diese kleinen Ärgernisse waren es uns wert, die Grafikqualität nicht weiter zu senken, denn schon auf den gewählten Einstellungen sieht Half-Life: Alyx wirklich zum Anbeißen aus, trotz manch verwaschener Textur.
Die Soundkulisse trägt ebenfalls sehr zur dichten Atmosphäre bei. Wenn wir in den U-Bahnanlagen nur das Stöhnen der Zombies hören, läuft es uns eiskalt den Rücken hinunter. Dazu kommen die fantastischen Waffensounds und die Half-Life-typischen Geräusche wie etwa das Piepen, wenn wir uns an einer Heilstation komplett regeneriert haben, oder der anhaltende Ton, den die Ausrüstung eines Combine-Soldaten von sich gibt, nachdem wir ihn erschossen haben. Als Fan wird man da richtig nostalgisch. Gleiches gilt für die Musik, die schön dezent und ganz im Stil der Vorgänger gehalten ist.
Fortbewegung nach Wunsch
Oh Mann, schon so viele Worte und wir haben noch kein einziges darüber verloren, wie sich Half-Life: Alyx eigentlich spielt. Dabei macht der Titel auch in Sachen Gameplay sehr viel sehr richtig. Da wäre zum einen die Fortbewegung, ein für VR-Spiele nicht irrelevantes Thema. Hier gibt euch Valve genug Optionen, um die für euch am besten geeignete Steuerung zu finden. Ihr könnt euch mit dem linken Analog-Stick durch die Levels teleportieren (entweder mit Schwarzblende oder einer fließenden Bewegung), alternativ bewegt ihr euch wie in jedem normalen Spiel ganz frei. Zockt ihr im Stehen, könnt ihr auch innerhalb des von euch festgelegten Spielbereichs selbst im Raum hin und her laufen, ohne die Sticks zu nutzen, was vor allem in Kampfsituationen sehr nützlich sein kann. Das erfordert aber auch ausreichend Platz in eurer Wohnung.
Wir haben die Methode der freien Bewegung per Stick gewählt und kamen damit wunderbar zurecht. Motion Sickness haben wir nicht verspürt, wobei es sich schon komisch anfühlt, irgendwo hinunterzuspringen. Aber auch daran gewöhnt sich der Körper mit der Zeit. Solltet ihr jedoch in anderen VR-Spielen schon Probleme mit Motion Sickness haben, empfehlen wir euch ganz klar einen der beiden Teleportationsmodi, auch wenn das ganz leicht an der Immersion kratzt.
Suchen, finden, freuen
Nun ist Half-Life: Alyx kein Walking Simulator, sondern ein waschechter Ego-Shooter, allerdings wie die Vorgänger beziehungsweise Nachfolger (inhaltlich chronologisch betrachtet) mit einer gehörigen Portion Erkundung und Rätseln. Ja, die Levels sind sehr linear, aber die Grenzen wirken nie künstlich – wenn eine Tür keine Klinke hat und auch nicht offen steht, dann bekommt ihr sie eben auch nicht auf. Es lohnt sich aber, in jede Ecke zu schauen und Regale, Schubladen, Schränke und Co zu durchwühlen, denn überall hat Valve Munition, Granaten, Heilspritzen und Polymorph versteckt, das ihr zum Aufwerten eurer Waffen benötigt.
Was in anderen Spielen bloß aus Knöpfchendrücken besteht, ist in Half-Life: Alyx Teil des Gameplays. Wenn ihr hier Küchenschränke durchsucht, dann macht ihr das eben, indem ihr ganz natürlich die Schranktüren öffnet und die relevanten Items mit eurer virtuellen Hand greift. Ihr lasst sie dann entweder hinter eurem Rücken in eurem Rucksack verschwinden (gilt für Munition und Polymorph) oder packt sie ins aktive Inventar an eurem rechten Arm. Das gilt dann nur für Verbrauchsgegenstände, also Granaten und Spritzen, und ihr könnt auch nur ein Objekt tragen, während der Rucksack unendlich viel Munition fasst.
Noch spaßiger wird die Erkundung dadurch, dass ihr Russells größte Errungenschaft tragt: die Gravity Gloves. Wie mit der Gravity Gun in Half-Life 2 zieht ihr damit Gegenstände zu euch. Dazu visiert ihr sie an, drückt den Trigger und lasst dann die Hand (also den Controller) kurz nach oben schnellen, damit das gewünschte Objekt zu euch fliegt. Ihr müsst euch also gar nicht bücken oder erst zu einem Item hinlaufen, um es in die Hand zu nehmen, was ungemein praktisch ist. Ganz so cool wie die Gravity Gun sind die Handschuhe aber nicht, denn leider könnt ihr die Objekte in der Spielwelt nur selten als Waffe einsetzen. Einzige Ausnahme bilden Gastanks, die etwa perfekt dazu geeignet sind, Barnacles auszuschalten (ihr wisst schon, diese an Decken hängenden Viecher mit den langen dünnen Zungen).
Viel Abwechslung, aber da ginge noch mehr
Ebenfalls nicht auf dem Niveau von Half-Life 2 sind das Leveldesign und die Rätsel. Letztere sind meistens Minispiele, um etwa Wandschränke der Combine zu öffnen, in denen Munition und Co stecken, oder die Upgrade-Stationen freizuschalten. Diese Spielchen machen am Anfang auch Spaß, häufen sich im Verlauf der Kampagne aber zu sehr, sodass sie irgendwann eher nervig werden. Es gibt zwar auch richtige Rätsel innerhalb der Umgebung und die sind auch cool, aber das Niveau der Physik-Knobeleien aus Half-Life 2 erreicht das Prequel zu keinem Zeitpunkt.
Für die Levels in Half-Life: Alyx gilt Ähnliches. Keine Frage, die sind sehr gut gestaltet, bieten ein gutes Pacing – Action, Horror und Ruhephasen wechseln sich wunderbar ab – und auch mehr als genug Abwechslung. Aber die ganz große Vielfalt, die Valve in Half-Life 2 aufgefahren hat, wird nicht erreicht. Dafür kämpft ihr euch zum Beispiel in den ersten Spielstunden zu lange durch den Untergrund und gegen Zombies sowie Headcrabs, bis es dann auch mal über dem Erdboden gegen Combine zur Sache geht. Zudem haben wir Fahrzeugpassagen vermisst. Wie viel Spaß hat es doch vor 16 Jahren gemacht, mit dem Hovercraft oder Buggy herum zu brettern? So was hätten wir uns auch in Half-Life: Alyx gewünscht. Gut, dafür gibt es in der zweiten Spielhälfte ein sehr cooles Katz-und-Maus-Spiel, aber wir wollen nicht zu viel verraten.
Nachladen war noch nie so eine Herausforderung
Kommen wir noch zum vermeintlich wichtigsten Gameplay-Element: dem Schießen. Wir sprechen hier ja schließlich von einem Shooter, also wird auch reichlich geballert und das fühlt sich in VR fantastisch an. Nicht nur, dass ihr per Bewegungssteuerung zielt, was authentischer ist, als es mit dem rechten Analog-Stock zu tun. Nein, ihr müsst auch händisch nachladen – im wahrsten Sinne des Wortes. Im Fall der Pistole werft ihr auf Knopfdruck das leere Magazin aus, greift dann hinter euren Rücken, drückt den Trigger, zieht so eine neue Ladung Munition aus eurem Rucksack, steckt die in die Waffe und lasst dann die erste Kugel in den Lauf wandern. Das fühlt sich nicht nur großartig an, sondern erhöht die Spannung in den Kämpfen ungemein. Wie oft wir schon rückwärts vor einem Zombie weggelaufen sind und dann vor Panik nicht richtig nach einem neuen Magazin gegriffen oder es fallen gelassen haben...
Dass es nur drei Waffen gibt (Pistole, Schrotflinte, Impulsgewehr), stört uns gar nicht. Jede lässt sich auf unterschiedliche Weise upgraden, sofern ihr immer artig nach Polymorph Ausschau haltet. Und diese Upgrades sind echt Gold wert! Das Reflexvisier und der Laser etwa machen es so viel einfacher, mit der Pistole zu zielen. Und wenn ihr dann mal die Magazinerweiterung für das schnell feuernde Combine-Gewehr habt, fühlt ihr euch erst recht wie der Star eines Actionfilms – allerdings einer, dem sich nicht gerade die klügsten Gegner in den Weg stellen. Bei den Zombies fällt das nicht auf, weil sie halt nun mal Zombies sind, aber die Combine...
Sagen wir es so: Valve hat die humanoiden Aliens mit Absicht dumm gehalten, damit die eh schon körperlich auf Dauer durchaus anstrengenden Ballereien nicht noch kräftezehrender werden. Manchmal bleiben die Gegner einfach auf der Stelle stehen und in Deckung gehen sie so gut wie nie. Sie verhalten sich nicht so, wie wir das von KI-Feinden in einem Actionspiel im Jahr 2020 erwarten würden. Aber Half-Life: Alyx ist ein VR-Titel und da wir eben mehr mit dem eigenen Körper machen müssen als in gewöhnlichen Spielen, bei denen alles über Controller-Eingaben funktioniert, geht das schon in Ordnung. Wie gesagt: Valve hat die Combine ganz sicher nicht unbewusst in ihrer Intelligenz so sehr eingeschränkt. Ein bisschen mehr hätten sie jedoch schon die Basics, wie eben das Suchen von Deckungen, beherzigen können.
Fazit
Uff! Half-Life: Alyx ist das mit Abstand krasseste Videospielerlebnis, das wir seit langem hatten. Die lange Wartezeit auf einen neuen Teil der Reihe hat sich gelohnt. Valve ist es mal wieder gelungen, neue Maßstäbe zu setzen, diesmal eben in Sachen Immersion. So interaktiv und glaubwürdig war bislang noch keine VR-Welt. Dazu kommt die großartige Optik, die tolle Story, das fantastische Gunplay und auch der ordentliche Umfang. Um Half-Life: Alyx durchzuspielen, brauchen Leute, die wie wir gerne jeden Winkel der Levels erkunden und alle Schubladen und Schranktüren öffnen, locker länger als 15 Stunden, was für ein VR-Spiel sehr ordentlich ist – erst recht auf diesem Qualitätslevel.
Aber bei all dem Lob muss auch Kritik erlaubt sein. Ja, wir lieben Half-Life: Alyx. Es hat uns mächtig beeindruckt und ist ein Meilenstein für die VR-Sparte. Aber als Spiel an sich ist es kein Meisterwerk auf dem Niveau von Half-Life 2 und nicht das, was wir von einem richtigen dritten Teil der Reihe erwarten. Das ist Meckern auf verdammt hohem Niveau, denn das Spiel ist abwechslungsreich, es ist clever designt und von Anfang bis Ende ein Hochgenuss. Aber für die Höchstwertung fehlt es ihm doch etwas an Ideenreichtum, an der Vielfalt, die den zweiten Teil der Reihe bis heute auszeichnet. Für Besitzer einer kompatiblen VR-Brille (und eines starken Rechners) führt aber kein Weg an Half-Life: Alyx vorbei. Und wenn ihr auf ein Spiel gewartet habt, das wirklich DER Grund sein könnte, dass ihr euch endlich mal entsprechende Hardware kauft, dann ist dieser Titel genau das.
- Unfassbar immersives Erlebnis
- Tadellos umgesetzte Spielmechaniken
- Ordentliche Spielzeit
- Zweite Story-Hälfte ein Fest für Fans
- Fantastische Präsentation
- Sehr gute Sprecher
- Erkundung wird belohnt
- Abwechslungsreiches Leveldesign,...
- ...aber nicht auf "Half-Life 2"-Niveau
- Minispiele nerven auf Dauer ein wenig
- Lustige Dialoge passen nicht zum Setting
- Gegner-KI etwas zu arg limitiert