Ghostrunner ist höllisch schwer, aber auch ziemlich gut. Das kann selbst so manche Frustpassage nicht verhindern.
Ghostrunner im Test: Der erste Cyberpunk-Hit des Herbstes
Wenn ein Spiel höllisch schwer ist, es einen zum Schreien und Heulen vor Frust gleichermaßen bringt und man es trotzdem innigst liebt und beim Zocken ständig Worte wie "Geil!" oder "Boah, ist das cool!" aus dem Mund fallen, muss es sich um ein gutes Spiel handeln. Warum sonst sollte man den ganzen Ärger ertragen? Ghostrunner fällt in genau diese Kategorie, auch wenn es sich den Weg in den Wertungsolymp verbaut. Aber was Indie-Entwickler One More Level (mit Unterstützung von 3D Realms) hier geschaffen hat, ist trotzdem einer der bemerkenswertesten Titel des Jahres – und zumindest in stilistischer Hinsicht eine gute Wahl, um die Wartezeit auf Cyberpunk 2077 zu verkürzen.
Keine Zeit für Story, müssen spielen!
Bevor euch CD Projekt RED die Großstadt Night City frei erkunden lässt, schickt euch One More Level in den linear aufgebauten Dharma-Turm. Dieses riesige Bauwerk ist die letzte Bastion der Menschheit. Das Cyberpunk-Szenario von Ghostrunner ist deutlich düsterer, dystopischer als das des neuen Rollenspiels der "The Witcher"-Entwickler. Nach der Apokalypse ist die Welt außerhalb des Turms unbewohnbar geworden. Innerhalb des gigantischen Hochhauses jedoch geht es den Menschen auch nicht sonderlich gut, den meisten zumindest nicht. Mara, die sogenannte Schlüsselmeisterin, regiert als Tyrannin. Es gilt, ihrer Schreckensherrschaft ein Ende zu bereiten. Der Auserwählte, der den Job übernehmen soll, seid ihr: ein Cyborg-Ninja, der sich mit einem Katana bewaffnet vom unteren bis oberen Ende des Turms kämpfen muss.
Die Geschichte von Ghostrunner ist.... Nun ja, wie sagen wir das?... Sie ist uns ziemlich egal. Das hat hauptsächlich damit zu tun, dass wir uns überhaupt nicht darauf konzentrieren konnten. Die Handlung wird fast ausschließlich durch Funkgespräche vorangetrieben. Unser kaum noch menschlicher Held ist nicht von selbst auf die Idee gekommen, gegen die Tyrannin Mara zu rebellieren, sondern wurde aktiviert, um die Schlüsselmeisterin einen Kopf kürzer zu machen. Dementsprechend spricht er ständig mit seinem Auftraggeber. Nur passiert das stets während des Gameplays und es gibt keine deutsche Sprachausgabe. Nun sind wir des Englischen mächtig, aber es ist ja nochmal was anderes, der eigenen Muttersprache zu lauschen, während man knifflige Jump-and-Run-Passagen zu bewältigen versucht, als einer anderen. Und währenddessen Untertitel zu lesen, ist noch schwieriger.
Mehr als ein Hotline Miami im 3D-Cyberpunk-Gewand
Aber sind wir mal ehrlich: Ghostrunner ist kein Spiel, dass ihr euch wegen seiner Story zu Gemüte führt. Das will es auch gar nicht sein. Es ist ein Videospiel im klassischen Sinne. Euch erwarten 17 lineare Levels, jedes davon schwieriger als seine Vorgänger. Die Kernspielmechanik ist simpel: In der Ego-Perspektive rennt, springt und schlittert ihr durch die futuristischen Umgebungen, überwindet tiefe Abgründe, vollführt Wallruns und schlitzt mit eurem asiatischen Schwert die Wachen auf, die euch am Vorankommen zu hindern versuchen. Jeder Treffer ist direkt tödlich. Das gilt für beide Seiten. Kreuzt ein Gegner den Weg eurer Klinge, endet er als Schaschlik. Trifft euch ein Projektil der Schusswaffen eurer Widersacher, ist der Cyborg hinüber und ihr müsst es vom letzten Checkpoint an erneut versuchen. Das weckt Erinnerungen an Hotline Miami.
Hat One More Level hier also die gleiche Art Spiel gebaut, nur in einer 3D-Engine? Nein! Ja, die Passagen, in denen ihr teilweise (nicht immer) alle Feinde besiegen müsst, damit sich die Tür zum nächsten Levelabschnitt öffnet, fallen in die gleiche Schublade wie all das, was ihr in dem Indie-Hit von Dennaton Games erlebt. Aber Ghostrunner bietet noch so viel mehr. Die Entwickler haben es geschafft, ein perfektes Pacing zu kreieren. Die Momente, in denen ihr feindlichem Beschuss ausweicht und mit eurem Katana Schlitzkunst vollführt, wechseln sich gleichmäßig mit reinen Parkourpassagen ab. Oftmals ist das Spieltempo sehr hoch, aber es gibt auch Szenen, in denen ihr mal etwas langsamer unterwegs seid, weil ihr zum Beispiel über sich bewegende Plattformen springt und dabei gegebenenfalls warten müsst, bis eine von ihnen in Reichweite ist.
Womit wir zudem gar nicht gerechnet hätten: Es gibt auch Rätsel. Immer wieder zieht es den Protagonisten in den Cyberspace, wo er sich Upgrades holt. Das ist in der Regel mit kleinen Puzzles verbunden, zum Beispiel klassischen Schalterrätseln. One More Level setzt hier aber auch gerne mal optische Spielereien ein. Jedes Muster wird nur einmal verwendet, es gibt keine Wiederholungen. Dadurch sind die Knobeleien, auch wenn sie für sich betrachtet "nur" solide sind, eine sehr willkommene Abwechslung.
Ständig was Neues
Abwechslung ist ein gutes Stichwort, denn Ghostrunner wird zu keinem Zeitpunkt langweilig. Von den Puzzles einmal abgesehen, konzentriert es sich zwar voll und ganz auf sein Kern-Gameplay, variiert das aber meisterlich. In einem guten Rhythmus präsentiert euch das Spiel neue Gegnertypen und Herausforderungen hinsichtlich der Levelarchitektur. One More Level versteht es, euch am Anfang die Grundlagen beizubringen und dann mit fortschreitendem Spielverlauf Schritt für Schritt durch die Einführung neuer Elemente den Anspruch zu erhöhen.
Dass die Steuerung am PC per Maus und Tastatur tadellos und schnell verinnerlicht ist, ist natürlich äußerst hilfreich. Nach einiger Zeit gelingen euch Standardmanöver wie mehrere aufeinanderfolgende Wallruns oder Attacken auf Feinde, bei denen ihr im Sprung die Sprinttaste gedrückt haltet, um eine Art Bullet Time zu aktivieren und so dem Beschuss auszuweichen, quasi auch blind – und all das fühlt sich verdammt gut an! Es gibt nichts Befriedigenderes, als den letzten Gegner in einem Raum in zwei Hälften zu schneiden, was immer in Zeitlupe geschieht. Davon können wir nicht genug kriegen.
Tetris lässt grüßen
Ein weiterer motivierender Faktor ist die Progression. Unser agiler Maschine-Mensch-Mischmasch erlernt zum einen im Spielverlauf mehrere Fähigkeiten, zum Beispiel eine Art Machststoß, um wie ein Jedi Gegner Abgründe hinunterzustoßen oder Projektile umzulenken, damit sie nicht euch, sondern eure Widersacher treffen. Zudem gibt es noch Boni, die zum Spiel die Abklingzeit der Sprintfähigkeit reduzieren oder euch Gegner durch Wände hindurch sehen lassen.
Hierfür hat sich One More Level einen Kniff überlegt: Jedes dieser Upgrades ist ein Tetris-artiger Stein, den ihr in ein limitiertes Feld einsetzen müsst, um den jeweiligen Vorteil zu aktivieren. Tüftler kommen hier voll auf ihre Kosten, wenn sie versuchen, den vorhandenen Platz so effektiv wie möglich zu nutzen. Hinzu kommt, dass jedoch die Regeneration von Fokus, den ihr zur Ausführung eurer Spezialfähigkeiten benötigt, sinkt, je mehr Verbesserungen ihr nutzt. Und die Buffs sind allesamt wertvoll, sodass euch Ghostrunner hier mehrere schwierige Entscheidungen abverlangt – großartig!
Mal angenehm fordernd, mal frustrierend
Apropos schwierig: Wir haben es eingangs schon angedeutet, dass Ghostrunner kein Zuckerschlecken ist. Die ersten Levels sind noch relativ einfach. Auch hier werdet ihr öfters das Zeitliche segnen, aber jede Passage nach einigen wenigen Anläufen überwinden. Zudem sind die Checkpoints äußerst fair gesetzt, sodass ihr im Fall eures Ablebens nicht zu viel wiederholen müsst. Aber spätestens gen Ende der ersten Spielhälfte erwarten euch richtig fiese Abschnitte, in denen ihr die Steuerung perfekt beherrschen und ein sehr gutes Timing beweisen müsst. Das Gute ist: In vielen Situationen gibt es mehrere Möglichkeiten, wie ihr sie meistern könnt. Gerade dann, wenn es eben darum geht, alle Gegner im Raum zu besiegen, lässt euch Ghostrunner die Freiheit zu entscheiden, in welcher Reihenfolge ihr euch der Wachen entledigt. Schafft ihr es auch nach dem 20. Versuch nicht, die Widersacher auf eine bestimmte Art und Weise zu beseitigen, dann probiert doch einfach mal einen anderen Pfad durch das Level! Es könnte sich lohnen.
Leider gibt es aber auch Stellen im Spiel, an denen euch keine Wahl gelassen wird. Der neunte Level zum Beispiel endet mit einer Art Bosskampf (sofern man in einem Spiel wie Ghostrunner, in dem Kämpfe eigentlich immer nach einem Treffer enden, davon sprechen kann). Hier gibt es in jeder Phase nur einen Weg und wenn ihr den nicht ganz genau auswendig lernt, werdet ihr immer wieder sterben und das Spiel verfluchen. Uns hat diese Passage locker eine halbe Stunde gekostet und wir wären beinahe verzweifelt – zudem hätten uns wir hier doch gerne ein, zwei Checkpoints mehr gewünscht. Es sind Momente wie dieser, die Ghostrunner Punkte kosten. Wo uns das Spiel ansonsten trotz zahlreicher Bildschirmtode in einen wahren Flow verfallen lässt, kratzen wir uns an diesen Schwierigkeitsspitzen die Haut auf – metaphorisch gesprochen, versteht sich.
Ghostrunner braucht kein Raytracing, um hübsch zu sein
Zu besagtem Flow, der über weite Strecken vorhanden ist, trägt die fantastische Synthie-Musik ihren Teil bei. Die treibenden Beats passen perfekt zum Geschehen auf dem Bildschirm. Auch die Soundeffekte können sich hören lassen, speziell dann, wenn ihr einen Gegner aufschlitzt. Das sieht nicht nur brutal aus, es hört sich auch richtig "fleischig" an. Grafisch gibt Ghostrunner, gerade für einen Titel von einem kleinen Entwicklerteam, eine sehr gute Figur ab. Das liegt nicht nur an der ordentlichen Texturqualität, sondern auch an der sehr guten Lichtstimmung und den schicken Spiegelungseffekten, dank denen die Umgebungen richtig klasse aussehen, auch wenn es ihnen leider an optischer Abwechslung mangelt. Das gilt auch dann, wenn ihr ohne Raytracing spielt.
Ja, Ghostrunner unterstützt diese in Videospielen noch nicht lange verwendete Technologie, die auch hier eine gute Figur macht, aber in den meisten Szenen nur ein unwesentlich besseres Bild erzeugt. Der Performance-Verlust ist größer als der Zugewinn an optischer Qualität, zumindest auf unserem Rechner mit einer GeForce RTX 2070 SUPER. Wer eine der neuen RTX-3000er-Karten hat, dürfte da vielleicht anderer Meinung sein, aber Ghostrunner ist zumindest kein Spiel, das als Grund dafür herhalten sollte, viel Geld für die jüngste Nvidia-Hardware auszugeben. Es lohnt sich dennoch, eine RTX-Karte, egal welcher Generation, zu haben, denn Ghostrunner bietet auch DLSS-Support. Wer mit dieser Form der von einer Cloud-KI erzeugten Art der Kantenglättung spielen kann, profitiert von einem scharfen Bild bei extrem niedrigen Leistungskosten. Und eine hohe Bildrate ist bei einem größtenteils sehr temporeichen Spiel, das zudem noch sehr präzise Eingaben erfordert, enorm wichtig.
Ein Paradies für Speedrunner
Zu guter Letzt noch ein paar Worte zum Umfang: Ghostrunner ist kein Inhaltsmonster. Die Kampagne haben Spieler, die vielleicht mit gewissen Herausforderungen besser klarkommen als wir, in circa sechs bis acht Stunden durchgespielt. Doch zum einen gibt es versteckte Lore-Items und alternative Schwertdesigns (die wirklich gut versteckt sind, weil wir so gut wie nichts davon gefunden haben), zum anderen motiviert euch ja vielleicht der eigene Ansporn, immer besser zu werden, dazu, die Levels mehrfach zu absolvieren. Ghostrunner zählt für jedes Kapitel mit, wie lange ihr dafür braucht und wie oft ihr gestorben seid. Beide Zahlen kleben während des Spielens die ganze Zeit in der rechten unteren Bildschirmecke. Wir sind uns sicher, dass es schon sehr bald Videos von Leuten im Netz geben wird, die bestimmte Levels in Rekordzeit und ohne Tode durchspielen. Zudem würde es uns nicht verwundern, wenn Ghostrunner in Zukunft oft bei Speedrun-Veranstaltungen auftauchen wird. Es ist schließlich wie dafür gemacht.
Fazit
Wir haben teilweise wirklich laut geschrien im Test – so sehr, dass wir ganz überrascht davon sind, dass sich die Nachbarn noch nicht beschwert haben. Und trotzdem finden wir Ghostrunner super. Das Spiel hat Style, bietet enorm viel Abwechslung, ist über weite Strecken clever designt und es fühlt sich einfach großartig an, als Cyborg-Ninja durch die Levels zu hechten und dem Gefolge der Schlüsselmeisterin die Gliedmaßen abzuschneiden. Dass die Story dabei vollkommen untergeht? Geschenkt! Wenn diese enorm frustrierenden Schwierigkeitsgradspitzen nicht wären und der Dharma-Turm etwas mehr optische Abwechslung zu bieten hätte, hätten wir uns trotzdem schwer damit getan, Ghostrunner die Höchstwertung zu verweigern. Aber gerade ersteres ist für uns dann doch ein so großes Manko, dass es am Ende "nur" für die dritthöchste Note reicht. Aber hey, damit steht das Spiel immer noch verdammt gut da. Daher solltet ihr euch mindestens mal die kostenlose Demo anschauen. Sagt die euch zu, solltet ihr der Vollversion auf jeden Fall eine Chance geben.
- Tolles Gameplay
- Abwechslungsreiches Leveldesign
- Hervorragendes Pacing
- Exzellente Steuerung
- Fantastischer Soundtrack
- Hübsche Grafik
- Einige sehr scharfe Schwierigkeitsspitzen
- Optisch wenig Vielfalt
- Story gerät voll in den Hintergrund