Gears Tactics vermischt mit Bravour die Markenzeichen von Gears of War mit dem Gameplay von XCOM. Aber eine Sache fehlt.
Gears Tactics im Test: Brutale Taktikgefechte
Als Microsoft 2017 Gears Tactics angekündigt hat, gelang dem Publisher damit eine große Überraschung. Ein rundenbasiertes Taktikspiel im Universum der beliebten Third-Person-Shooter-Reihe? "Klingt super!", dachten wir uns damals. "Ist Super!", denken wir heute, auch wenn das Entwicklerstudio-Duo Splash Damage und The Coalition in seinem ersten Anlauf, XCOM Konkurrenz zu machen, noch nicht ganz das Niveau des großen Vorbilds erreicht. Aber eine Sache wird schnell klar, wenn man Gears Tactics das erste Mal spielt: Setting und Gameplay passen perfekt zueinander.
Jetzt ist der Papa am Zug
Durch die Expedition in neue Genregefilde spricht Gears Tactics sicherlich einige Spieler an, die mit Gears of War bislang so viel anfangen konnten wie Marcus Fenix mit dem Bemalen von Reiskönern – ihr wisst schon, wegen den großen Händen und so. Habt ihr wirklich noch keinen einzigen Teil der Serie gespielt, müsst ihr euch nicht allzu viele Sorgen darum machen, keinen Zugang zur Geschichte zu finden. Gears Tactics ist ein Prequel, das vor den Geschehnissen des ersten Gears of War spielt und einen Charakter in den Mittelpunkt stellt, der bislang in noch keinem Spiel der Marke aufgetaucht ist. Die Rede ist von Gabriel "Gabe" Diaz. GoW-Fans horchen auf, denn dass ist der Vater von Kate Diaz, die wir aus Teil 4 und 5 kennen.
Gears Tactics führt euch wieder mitten in den Kampf der Menschheit gegen die Locust. Gabe Diaz befindet sich auf einem speziellen Geheimeinsatz. Er soll gemeinsam mit dem Soldaten Sid Redburn einen Wissenschaftler der Locust namens Ukkon ausfindig machen und eliminieren, damit der nicht mehr länger gefährliche Monster für die Horde züchten kann. Die Story gewinnt sicherlich keine Innovationspreise und die Charaktere sind nun auch nicht gerade tiefgründig. Zudem kommt die Handlung nur langsam in Fahrt. Aber als Grundlage für knapp 30 Stunden Taktikspaß macht sie dann doch einen ordentlich Job, was vor allem an der sehr guten Inszenierung liegt.
Gears Tactics ist deutlich Story-lastiger als die XCOM-Spiele und setzt daher auf eine filmische Präsentation. Story-Missionen werden stets mit richtig schicken Zwischensequenzen in Spielgrafik eingeleitet und klingen auch auf die gleiche Art und Weise aus. Die Szenen stehen denen in den "Gears of War"-Spielen in nichts nach. Kamera und Schnitt sind sehr gut gelungen und man möchte in solchen Momenten gar nicht meinen, dass man hier ein Strategiespiel zockt.
Wenig Strategie, dafür Lootboxen
Wer XCOM 2 oder Phoenix Point gespielt hat und diese Titel unter anderem für ihr umfangreiches Metagame liebt, wird bei Gears Tactics zunächst tief schlucken müssen. Hier gibt es keine Basis, die ihr nach und nach ausbaut, keine Forschung, um neue Waffen und andere Dinge freizuschalten und keine große Weltkarte, auf der etliche Missionen zur Auswahl stehen. Gears Tactics konzentriert sich voll und ganz auf seine Kämpfe. Das Drumherum ist sehr überschaubar.
Euer Team verfügt zwar über eine mobile Einsatzbasis, die hat jedoch spielerisch überhaupt keine Bewandtnis. Seid ihr gerade nicht in einer Mission, könnt ihr lediglich neue Soldaten rekrutieren, die Ausrüstung eurer Leute anpassen, optische Modifizierungen an ihnen vornehmen, neue Fähigkeiten freischalten sowie Lootboxen öffnen. Moment, Lootboxen?! Ja, aber keine Sorge. In Gears Tactics gibt es keine Mikrotransaktionen. Die erwähnten Kisten erhaltet ihr als Belohnungen für abgeschlossene Missionen sowie das Erfüllen von Bonuszielen. Manchmal stehen auch Truhen auf den Schlachtfeldern, die ihr mit einem eurer Charaktere öffnen müsst. In jeder Lootbox steckt lediglich ein Item. Das kann ein Waffen-Upgrade oder ein neues Rüstungsteil sein. Die Objekte erhöhen die Werte eurer Soldaten, manche verleihen ihnen auch passive Fähigkeiten.
Obwohl wir es in Gears Tactics also nicht mit der Form Lootboxen zu tun haben, die wir so sehr hassen, sind sie für uns ein Schwachpunkt des Spiels. Der Loot macht unsere Charaktere stärker und ist an sich auch motivierend. Doch es wäre viel besser, wenn bei den Missionen angegeben wäre, dass wir für den Abschluss eine bestimmte Rüstung oder Waffen-Mod erhalten und nicht irgendein zufälliges Objekt einer vorgegebenen Qualitätsstufe. Das würde den "Ok, eine Mission noch"-Effekt viel mehr verstärken. Der ist in Gears Tactics eh schon schwächer ausgeprägt als etwa in XCOM, wo wir uns ständig sagen: "Na gut, das eine Gefecht noch, dann ist Forschungsprojekt A oder Raum B in unserer Basis fertig." Gears Tactics mangelt es ein wenig an Karotten vor unserer Nase und das kann die Geschichte eben nicht auffangen. Dafür ist sie nicht gut genug.
Multi-Shooting
Was euch jedoch durchaus zum Weiterspielen motivieren könnte, ist das Gameplay an sich. Die große Stärke von Gears Tactics ist schlicht, dass es sich fantastisch spielt und alle Systeme auf dem Schlachtfeld wunderbar ineinandergreifen. Die im Vorfeld groß angekündigte "Innovation", dass es kein schachbrettartiges Spielfeld gibt und sich eure Einheiten sowie die Gegner sehr frei über die Karten bewegen können, hat zwar im Endeffekt keine sonderlich großen Auswirkungen, dafür finden wir das Aktionspunktesystem fantastisch. In XCOM gilt: Schießt ein Charakter, ist sein Zug vorbei. In Gears Tactics sieht das anders aus.
Von Haus aus darf jede Figur pro Runde drei Aktionen ausführen. Sie kann sich also etwa zu einer guten Schussposition jenseits jeglicher Deckung begeben, einmal auf einen Gegner feuern und dann wieder hinter einer Mauer, einem Container oder was auch immer Schutz suchen. Oder ihr bewegt einen Soldaten keinen Zentimeter und feuert stattdessen dreimal. Oder ihr attackiert einen Feind mit wenig Lebensenergie aus der Ferne, woraufhin er zu Boden geht (Charaktere sterben in der Regel nie direkt, sondern werden bloß außer Gefecht gesetzt und können dann noch "wiederbelebt" werden) und exekutiert ihn dann im Nahkampf. Lediglich manche Spezialfähigkeiten verbrauchen mehr als einen Aktionspunkt und wenn ihr eure Leute größere Distanzen zurücklegen lassen wollt, kostet auch das zwei oder gar drei Punkte.
"Ich brauche einen Sanitäter!" "Welche Art denn?"
Gears Tactics hat noch mehr Elemente, die den Gefechten taktische Tiefe sowie euch spielerische Freiheiten verleihen und somit den Spielspaß in große Höhen katapultieren. Da wäre etwa Munition als begrenzender Faktor. Jede Waffe muss irgendwann nachgeladen werden, was einen Aktionspunkt kostet. Das solltet ihr niemals außer Acht lassen, sonst kann euch das große Probleme bereiten. Dann ist jeder Soldat mit einer Primär- und Sekundärwaffe sowie einer Granate ausgerüstet, zwischen denen ihr in den Missionen jederzeit wechseln könnt. Ihr könnt außerdem während eures Zugs beliebig zwischen euren Leuten hin und her springen, solange sie alle noch Aktionspunkte haben.
Die Krönung ist aber das Klassen- und vor allem Skill-System. In Gears Tactics gibt es fünf verschiedene Arten von Soldaten: Vorhut (quasi Sturmsoldaten), Sanitäter, Waffenexperten, Scharfschützen und Späher. Jede dieser Klassen hat einen individuellen Talentbaum mit vier Ästen, also vier Spezialisierungen. Jede davon hat eigene aktive und passive Fähigkeiten, die wirklich nützlich sind und sich stark auf die Spielweise mit dem jeweiligen Charakter auswirken. Nehmen wir zum Beispiel Hauptcharakter Gabe. Der ist medizinisch ausgebildet und ihr könnt ihn etwa zum Chirurgen ernennen, der mit der Fähigkeit "Wundpflaster" am Ende eurer nächsten drei Züge einen Mitstreiter verarztet. Oder ihr macht ihn zum Kampfsanitäter, wodurch seine Kettensägenangriffe alle Verbündeten heilen und ihr ihn viel offensiver spielen solltet.
Die Skill-Bäume sind dabei sehr übersichtlich gehalten. Die Entwickler sind dem Prinzip "Weniger ist mehr" gefolgt. Statt unzähliger Talente, die nur geringe prozentuale Boni auf Werte wie Angriffsschaden und Heilfähigkeit bieten, gibt es eine recht geringe Anzahl an Auswahlmöglichkeiten pro Spezialisierung, die aber eben auf dem Schlachtfeld deutliche Wirkung zeigen. Das nennen wir großartiges Spieldesign.
Fordernd, fair, aber nicht ganz so vielfältig, wie erhofft
Sehr gut gelungen ist auch die Balance. Gears Tactics führt euch langsam an die Spielmechanik heran. In der ersten Mission spielt ihr mit gerade mal zwei Leuten (Gabe und Sid), sodass die Optionsvielfalt euch nicht direkt am Anfang überrollt. Auch danach steigt der Schwierigkeitsgrad in angenehmem Tempo an. Gears Tactics ist durchgehend fordernd, wird aber nie zu schwer. Fehler werden hart bestraft, aber mit taktischem Geschick könnt ihr euch eigentlich aus jeder noch so haarigen Situation befreien. Auch die Gegner-KI agiert sehr zufriedenstellend. Die Feinde positionieren sich clever, setzen die "Feuerschutz"-Fähigkeit stets sinnvoll ein und wissen, wie sie euch unter Druck setzen können. Dadurch ist jedes Gefecht von Anfang bis Ende eine hochspannende Angelegenheit.
Die überragend guten Kämpfe trösten in Gears Tactics darüber hinweg, dass die Struktur der Kampagne und die Missionsvielfalt nicht ganz überzeugen können. Dass die Story im Kern streng linear verläuft, ist an sich kein Problem. Ein Mutant Year Zero: Road to Eden hat bereits gezeigt, dass auch das sehr gut in dem Genre funktionieren kann. Problematisch ist bloß, dass es Nebenmissionen gibt, die allerdings nicht vollends optional sind. Im Verlauf der drei Akte, die allesamt an die zehn Story-Aufträge umfassen, kommt ihr immer wieder an Stellen, an denen ihr mehrere Nebenquests abschließen müsst, damit die Geschichte weitergeht. Und leider tragen diese Missionen nichts zur Handlung bei. Splash Damage und The Coalition hätten sie nutzen können, um den Charakteren etwas mehr Tiefe zu verleihen, haben sie aber nicht. Dadurch wirken sie sehr generisch und eher wie Spielzeitstreckung, damit die Kampagne ja die 30-Stunden-Marke erreicht.
Zudem ist die Missionsvielfalt nicht so groß, wie sie sein könnte. Die Schauplätze bieten zwar recht viel Abwechslung, am Ende wiederholen sich aber eben doch die immer gleichen Auftragsarten: Zerstört dies, erobert und haltet das, befreit diese Gefangenen – Gears Tactics wird zwar nicht langweilig, aber da wäre doch noch mehr drin gewesen. Immerhin: Am Ende jedes Aktes gibt es einen spektakulären Bosskampf, jeweils mit mehren Phasen. Diese Begegnungen sind ungemein intensiv und verlangen euch alles ab. So was würden wir in Zukunft gerne öfter in dem Genre sehen.
Von wegen trockene Rundenstrategie!
Deutlich mehr begeistert uns die Technik und Präsentation, auch abseits der aufwendigen Zwischensequenzen. Wer gedacht hat, XCOM lässt einen überhaupt nicht daran denken, ein eigentlich wenig actionreiches Strategiespiel zu zocken, den wird Gears Tactics umhauen. Denn abgesehen davon, dass ihr eure Soldaten nicht aktiv steuert und die Kämpfe rundenbasiert ablaufen, fühlt es sich genau so an, wie sich ein Gears anfühlen soll.
Beispiel gefällig? Gabe Diaz ist mit der ikonischsten aller Waffen der Serie ausgerüstet: dem Lancer. Dementsprechend kann er seine Feinde im Nahkampf zersägen und macht das auch gerne, sofern die Abklingzeit der Fähigkeit abgelaufen ist. Jedes Mal, wenn ihr ihm den Befehl dazu gebt, schaltet die Kamera in eine nahe Ansicht um und ihr seht in ähnlichem Detailreichtum wie in den "Gears of War"-Teilen, wie der Protagonist einen Locust-Soldaten in der Mitte durchtrennt. Strategiespiele sind ja selten reine Erwachsenenunterhaltung, Gears Tactics ist das aber in jedem Fall.
Dank der schicken Grafik (Unreal Engine 4) sehen die Kämpfe richtig gut aus. Aufgrund knackscharfer Texturen, detaillierter Charaktermodelle und schicker Beleuchtung könnte die Optik auch die eines waschechten Third-Person-Shooters sein. Passenderweise ist die Soundkulisse richtig brachial. Jede Waffe hat Sounds, die mit voller Wucht aus den Lautsprechern scheppern und die Musik ist teilweise sehr episch. Vor allem aber, wenn ihr eine Splittergranate in eine Gegnermenge werft, die dann mit einem lauten Knall explodiert und die Widersacher in Stücke gerissen werden, ist die Befriedigung groß. Einziges Manko sind die deutschen Sprecher. Zwar bekommt ihr bekannte Stimmen zu hören, doch qualitativ geht die Vertonung nicht über das Durchschnittsniveau deutscher Synchronarbeit hinaus. Im englischen Original klingt alles besser, leider aber könnt ihr das nicht mit deutschen Texten kombinieren.
Fazit
"Warum ist da nicht schon früher jemand draufgekommen?" Diese Frage stellen wir uns, seitdem wir Gears Tactics das erste Mal angerührt haben. In Gears of War geht es darum, hinter Deckungen zu hocken und auf Gegner zu schießen und in Taktikspielen à la XCOM ist es eigentlich nicht anders, nur eben mit einer anderen Perspektive und passiverem Gameplay. Kurzum: Jenes Genre und die Gears-Marke passen perfekt zusammen. Umso schöner, dass die Entwickler eine sehr durchdachte Spielmechanik kreiert haben. Die Gefechte machen wahnsinnig viel Spaß, weil sie nicht nur ausgezeichnet in Szene gesetzt sind, sondern auch noch viel taktischen Tiefgang und euch gewisse Freiheiten bieten. Wir würden sogar soweit gehen zu sagen, dass Gears Tactics auf dem Schlachtfeld die Konkurrenz überflügelt.
Abseits dessen gelingt das dem Spiel aber nicht – im Gegenteil. Dass die Kampagne deutlich linearer abläuft und kein umfangreiches Metagame bietet, sei mal dahingestellt. Aber die Umsetzung dessen hätte besser sein können. Warum Nebenmissionen einbauen, wenn sie nichts zur Geschichte beitragen und trotzdem zum Großteil Pflichtprogramm sind? Warum uns nicht mit festen Belohnungen dazu verleiten, einen Kampf nach dem anderen auszutragen, anstatt Zufallspreise auszuloben, die uns nicht richtig heiß machen? Gears Tactics ist ein hervorragendes Taktikspiel, dem auf den letzten Metern in Richtung Königsklasse die Luft ausgeht. Wir hoffen daher sehr, dass der Titel erfolgreich genug ist, damit Splash Damage und The Coalition einen zweiten Teil machen dürfen, der uns entweder abseits der Gefechte mehr spielerisches Fleisch bietet oder der Story noch mehr Bedeutung zukommen lässt -etwa indem man die generischen Nebenaufträge über Bord wirft. Dann können sich XCOM und Co richtig warm anziehen.
- Extrem spannende Schlachten
- Große taktische Tiefe und Freiheit
- Spektakuläre Bosskämpfe
- Sehr gut durchdachtes Klassensystem
- Spitzenoptik
- Tolle Inszenierung
- Nebenmissionszwang
- Story kommt schwer in Fahrt
- Lootboxen statt fester Belohnungen
- Deutsche Sprachausgabe nur Mittelmaß