Dank neuem Karrieremodus ist F1 2020 ein heißer Anwärter auf den Titel "Rennspiel des Jahres".
F1 2020 im Test: Boss zu sein, macht Spaß
F1 2019 ist ein sehr gutes Rennspiel, hat uns aber trotzdem enttäuscht (F1 2019 im Test). Zu gering ist die Weiterentwicklung im Vergleich zum exzellenten Vorgänger ausgefallen, sodass sich ein Upgrade unserer Meinung nach nicht gelohnt hat. Unser Wunsch für den Nachfolger war daher klar: mehr und vor allem größere Neuerungen. Und siehe da: Codemasters hat unsere Gebete erhört. F1 2020 schmeißt zwar den Story-Ansatz des Vorgängers wieder komplett über Bord, was uns irgendwie verwundert, aber dafür gibt es eine neue Art von Karrieremodus, die uns mehr wert ist als jede der paar klischeeüberladenen Zwischensequenzen, die es in F1 2019 gibt.
Mein Fahrer, mein Auto, mein Team
Die Formel-1-Spiele von Codemasters stehen schon seit ein paar Jahren für eine richtige gute Einzelspielererfahrung. Seit F1 2016 bietet die Reihe einen exzellenten Karrieremodus, in dem ihr nicht bloß eine Meisterschaft nach der anderen fahrt, sondern auch nach und nach euren Wagen wie in einem Rollenspiel über einen Technologie-Baum verbessert. Das steckt auch in F1 2020 drin, aber der jüngste Ableger bietet noch so viel mehr. Diesmal gibt es nämlich gleich zwei Karrieremodi.
Die große Neuerung nennt sich "My Team" und erlaubt es euch, euren eigenen Formel-1-Rennstall zu gründen. Ihr geht somit als elftes Team in der Formel 1 an den Start und seid erster Fahrer und Teamchef zugleich – und ja, so etwas gab es in der echten Variante des Rennsports bereits, man nehme als Beispiel Bruce McLaren, den Gründer von McLaren Racing. Das Ganze ist mehr als nur ein Gimmick. Ihr legt nicht nur eure Teamfarben fest und bestimmt sowohl wie euer Logo als auch die Fahrzeuglackierung und Pilotenanzug aussehen sollen, sondern entscheidet euch auch für einen Motorenlieferanten, schließt Verträge mit Sponsoren ab, stellt einen zweiten Fahrer ein und baut nach und nach die Einrichtungen in eurer Hauptzentrale aus.
Rennsport ist teuer
Durch die "My Team"-Features erhält die Karriere in F1 2020 deutlich mehr Tiefgang als in den Vorgängern. Ihr sammelt eben nicht mehr nur Ressourcenpunkte, mit denen ihr Upgrades für euren Wagen freischaltet, sondern nun spielt auch Geld eine Rolle. Ihr habt feste Ausgaben, die es zu decken gilt, was allerdings nicht sonderlich schwer ist. Ohne Weiteres werdet ihr nicht bankrottgehen.
Aber ihr müsst schon dafür arbeiten, so viele Moneten auf dem Konto zu haben, damit ihr euch die Verbesserungen für die unterschiedlichen Abteilungen leisten könnt. Dazu gehören sowohl diejenigen, die für die Entwicklung eures Fahrzeugs verantwortlich sind (die Teams für die Aerodynamik, das Chassis, Triebwerk und die Strapazierfähigkeit), als auch das Marketing und die Einrichtungen, die den Fortschritt eures Teamkollegen fördern, etwa ein Fitnessstudio. Ausbauten kosten nicht wenig. Allein ein Simulator der ersten Stufe, durch den sich der Tempowert des zweiten Fahrers erhöht, kostet schon zwei Millionen US-Dollar.
Gute Planung ist alles
Neben dem Verbessern eurer Einrichtungen kümmert ihr euch auch um den Terminkalender. Zwischen den Rennwochenenden ist etwa Zeit für PR-Kampagnen, die die Anerkennung eures Teams steigern, oder Trainingseinheiten eures zweiten Piloten. Dabei solltet ihr euch genau überlegen, was ihr macht. Für alles habt ihr keine Zeit und die "freien Tage" wollen möglichst effektiv genutzt werden. Es ergibt zwar nicht wirklich Sinn, dass ihr beispielsweise vor Saisonbeginn nicht zeitgleich euren Teamkameraden ins Trainingslager schicken und bei der Forschung den Schwerpunkt auf die Aerodynamik und das Chassis legen könnt, aber Codemasters möchte euch halt strategische Entscheidungen abverlangen. Spielerisch ist das daher sinnvoll.
Einziger Kritikpunkt am "My Team"-Modus: Ihr könnt mit eurem Team nicht in der Formel 2 anfangen. Die ist wieder mit an Bord, nachdem sie in F1 2019 ihr Debüt gefeiert hat, und diesmal besser implementiert als im Vorgänger. Denn es gibt nach wie vor die normale Fahrerkarriere, in der ihr euch voll und ganz auf die Rennen und das Verbessern eures Fahrzeugs konzentrieren könnt. In diesem Modus ist es euch möglich, in der Formel 2 zu starten und dabei eine komplette Saison zu fahren. Das haben wir vergangenes Jahr noch schmerzlich vermisst.
Sanfterer Einstieg möglich
In F1 2020 habt ihr sehr viel mehr Einstellungsmöglichkeiten als in den Vorgängern. Zum einen könnt ihr selbst die Saisonlänge in den beiden Karrieremodi festlegen. Sind euch 22 Rennwochenenden zu viel, verkürzt ihr die Saisons eben auf 10 oder 16 Rennen. Außerdem gibt es die neue "Gelegenheitsrennfahrer"-Option. Dabei handelt es sich um einen alternativen Modus, in dem die Fahrphysik von F1 2020 deutlich vereinfacht ist, um Einsteigern entgegenzukommen. Hier lässt sich etwa ein Lenkassistent aktivieren, Ausflüge ins Kiesbett sind weniger frustrierend und das Optionsmenü für Fahrhilfen fällt übersichtlicher aus. Erfahrene Spieler machen einen großen Bogen um dieses Feature, aber wer noch nie ein F1 Game gezockt beziehungsweise generell wenig Rennspielerfahrung hat, wird in F1 2020 einen deutlich leichteren Einstieg als je zuvor haben.
Ansonsten ist der neue Serienteil die gewohnte Mischung aus Simulation und Arcade. Diverse Fahrhilfen stehen euch zur Verfügung, ihr könnt sie aber auch allesamt deaktivieren und habt dann ein recht herausforderndes, aber eben auch realistisches Fahrerlebnis, ohne dass F1 2020 den hohen Anspruch eines rFactor 2 oder iRacing erreicht.
Alte Schwächen, neue Stärken
Auf dem Asphalt ist aber nicht alles beim Alten geblieben. Im Großen und Ganzen spielt sich F1 2020 sehr wie die Vorgänger, im Guten wie im Schlechten. Die Fahrphysik ist nach wie vor großartig. Selbst nur mit einem Xbox-One-Controller spürt ihr jederzeit sehr gut, wann euer Wagen außer Kontrolle zu geraten droht. Die KI bleibt jedoch ein zweischneidiges Schwert. Sie liefert euch zwar spannende Positionskämpfe und dynamische Rennen, fährt aber immer noch eine Spur zu aggressiv und ideallinienfokussiert.
Dafür gibt es sinnvolle Neuerungen wie das überarbeitete ERS-Management. Das klingt für Leute, die sonst mit der Formel 1 nichts am Hut haben, kompliziert, ist es aber gar nicht. Im Prinzip handelt es sich um einen Boost, den ihr während eines Rennens auf Knopfdruck aktiviert, um mehr Tempo aufzunehmen (im Spiel ist auch von der "Überholen"-Taste die Rede). Das kostet Energie, die sich aber mit der Zeit wieder auflädt. Dieses Feature gibt den Rennen nochmal etwas mehr taktische Würze als das DRS, das ihr ja nur an bestimmten Punkten auf den Strecken nutzen könnt. Ebenfalls begrüßenswert ist der virtuelle Rückspiegel. Dadurch seht ihr stets, ob euch ein Kontrahent am Heck klebt und aus welcher Richtung er euch zu überholen versucht. Entsprechende Pfeile als Indikatoren gibt es aber nach wie vor auch. Ganz wichtig: Ihr müsst den Rückspiegel selbst in den Optionen aktivieren, sofern ihr ihn nutzen wollt, denn er ist nicht von vornherein eingeschaltet.
Lokalraser
Die Karrieremodi sind sicherlich das Herzstück von F1 2020, aber auch das restliche Angebot an Spielvarianten kann sich sehen lassen. Neben einzelnen Meisterschaften mit modernen F1- und F1-Wagen sowie klassischen Autos, etwa aus den Neunzigern, könnt ihr am Zeitfahren versuchen und natürlich im Multiplayer euer Können unter Beweis stellen. Hier gibt es wöchentliche Events, Ranglistenrennen, Online-Ligen und, man lese und staune, die Rückkehr des Splitscreen-Modus.
Ja, endlich ist es in einem F1-Spiel mal wieder möglich, gemeinsam mit einem Mitspieler lokal auf einem Bildschirm um die Wette zu fahren. Sogar eine komplette Meisterschaft könnt ihr zu zweit bestreiten. In Sachen Umfang lässt sich F1 2020 wenig vorwerfen, zumal Formel-1-Fans sich auch noch darüber freuen können, auf den zwei neuen Strecken in Vietnam (Hanoi Street Circuit) und den Niederlanden (Circuit Park Zandvoort) fahren zu dürfen.
Die moderne Monetarisierungskeule
Während der Splitscreen-Modus wie ein Relikt aus vergangener Zeit wirkt, hat F1 2020 auch ein Feature, das moderner nicht sein könnte: den Podium Pass. Wer jetzt an den Battle Pass aus Fortnite oder zig anderen Multiplayer-Spielen denkt, denkt richtig. Das System in F1 2020 ist dem sehr ähnlich. Alles, was ihr im Spiel macht, sei es nun in den Solo- oder Mehrspielermodi, bringt euch Erfahrungspunkte ein. Dadurch steigt ihr im Rang auf und schaltet Belohnungen frei. Nur, wenn ihr euch die VIP-Variante für Pitcoins kauft, die ihr wiederum für echtes Geld erhaltet, könnt ihr alle Items abstauben. Und wenn euch das nicht reicht, gibt es auch noch einen In-Game-Shop mit täglich und wöchentlich wechselnden Angeboten.
Das mag alles erstmal schrecklich klingen, wo doch F1 2020 ein Vollpreistitel ist. Es ist auch ganz bestimmt nicht so, dass wir die Einführung dieser zusätzlichen Monetarisierung begrüßen, aber wir müssen an dieser Stelle zwei Dinge festhalten: Zum einen handelt es sich bei den Podium-Pass-Belohnungen und den kaufbaren Items im Shop nur um Kosmetik wie Lackierungen, Klamotten für euren Fahrer oder Podiumsgesten. Zum anderen lassen sich Podium Pass und Mikrotransaktionen gut ignorieren. Ihr werdet zwar nach jedem Rennen darüber informiert, wie viele Punkte ihr gesammelt habt und ob ihr eine Stufe aufsteigt oder nicht, aber wer sich dafür, so wie wir, nicht interessiert, drückt es einfach schnell weg.
Aus den genannten Gründen sehen wir keinen Grund, F1 2020 für seine Monetarisierung abzuwerten. Es ist ja auch nicht so, als hätte es den ganzen Kram, der hier hinter der Paywall versteckt ist, in den Vorgängern gratis gegeben. Tatsächlich sind die Individualisierungsoptionen in diesem Ausmaß neu in der Reihe. Hätten wir es besser gefunden, wir könnten sie uns alle einfach so erspielen und es gäbe keine Mikrotransaktionen? Ja! Sorgt das vorhandene System für ein schlechteres Spielerlebnis? Nein!
Stillstand bei der Technik
In Sachen Präsentation gibt sich F1 2020 auf gewohnt hohem Niveau, stagniert allerdings auch gewaltig und man merkt, dass die Reihe den Sprung auf die neue Hardware-Generation im nächsten Jahr gut vertragen können wird. Das Rennspiel sieht grafisch sehr gut aus. Die Fahrzeuge sind schön detailliert und wirken sehr plastisch, die Strecken sind hübsch aufbereitet, die Beleuchtung ist schick und das Highlight sind nach wie vor die Rennen im Regen, wenn die Strecke klatschnass ist und der Niederschlag auch eure Sicht beeinträchtigt.
All das galt aber eben auch schon für F1 2019. Eine Weiterentwicklung hat nicht wirklich stattgefunden. Auf der Strecke ist das nicht tragisch, die Charaktere, seien es nun die Fahrer oder die Dame, die euch nach den Rennen stets interviewt (was nach wie vor nicht mehr als eine nette Spielerei ist, bei der sich zudem die Fragen schnell wiederholen), können aber längst nicht mehr mit heutigen Standards mithalten. Hoffen wir mal, das Codemasters diesbezüglich in der kommenden PS5- und Xbox-Series-X-Ära mehr leisten wird. Dann können wir uns künftig viel mehr an den an sich netten Introsequenzen für die Rennen und Siegerehrungen erfreuen.
Wenig zu beanstanden haben wir indes an der Soundkulisse. Klar, der deutsche Kommentar mit Heiko Wasser krankt nach wie vor daran, dass man deutlich hört, dass die Texte nur abgelesen sind, aber ausschalten wollen wir ihn auch irgendwie nicht. Die Motorensounds wiederum sind perfekt, da die Fahrzeuge einfach genauso klingen wie in der Realität. Musik gibt es weiterhin nur in den Menüs und nicht während eurer Runden auf dem Asphalt, was aber gar nicht stört. Wir sprechen hier immerhin von F1 2020 und keinem Need for Speed oder Burnout, bei dem wir lauten Hip Hop oder Rock im Hintergrund hören wollen.
Fazit
Technisch mag sich die F1-Reihe dieses Jahr nicht weiterentwickelt haben, was allerdings beim letzten Teil vor dem Release der nächsten Konsolengeneration keine Überraschung ist. Spielerisch hingegen liefert F1 2020 genug, damit sich der Kauf auch für Besitzer des Vorgängers lohnt, was wir von letzterem nicht behaupten konnten. Der "My Team"-Modus ist eine fantastische Neuerung, die wir nicht mehr missen wollen. Dazu kommen eben noch Kleinigkeiten wie das neue ERS-Management und der Splitscreen-Modus – nur weiter so, Codemasters! Formel-1-Fans kommen an diesem Spiel nicht vorbei und auch dann, wenn ihr einfach nur ein gutes Rennspiel sucht, legen wir euch F1 2020 ans Herz.
- Gewohnt spaßige, spannende Rennen
- Sehr guter "My Team"-Modus
- Komplette F2-Saison in Fahrerkarriere spielbar
- Mehr Optionen für Einsteiger
- Clevere ERS-Mechanik
- Virtueller Rückspiegel sehr nützlich
- Endlich wieder Splitscreen-Rennen möglich
- Stillstand bei Grafik/Präsentation
- KI immer noch einen Tick zu aggressiv
- F2 im "My Team"-Modus nicht spielbar