Diablo 2: Resurrected macht aus einem hässlichen Entlein einen schönen Schwan. Das Remaster geht aber nicht weit genug.
Diablo 2 – Resurrected im Test: Starkes Remaster mit Luft nach oben
Dune 2: Kampf um Arrakis, ein gewisser indizierter Ego-Shooter von id Software, der was mit einem Schloss zu tun hat, und Diablo 2 haben etwas gemeinsam: Sie haben zwar keine Genres begründet, aber maßgeblich geprägt. Jedes Action-Rollenspiel nach 2000 hat sich Blizzards Meisterwerk als Vorbild genommen. Diablo 2 war es, das diese unfassbar süchtig machende Loot-Spirale perfektioniert hat. Ohne diesen Titel und seinen enormen Erfolg hätte es vermutlich niemals ein Path of Exile, Titan Quest oder Torchlight gegeben. Noch dazu hat er es geschafft, die Zeit zu überdauern. Selbst in der jüngeren Vergangenheit haben immer noch diverse Leute Diablo 2 statt dessen Nachfolger gespielt. Und nun sind die Spielerzahlen wieder in die Höhe geschossen, dem Remaster sei Dank. Diablo 2: Resurrected stellt dabei vor allem ein technisches Upgrade dar – und was für eins! Aber auch in Sachen Bedienkomfort hat sich was getan, nur leider nicht genug.
Stärken, die bleiben
Bevor wir auf die Neuerungen von Diablo 2: Resurrected zu sprechen kommen, sollten wir darauf eingehen, was Diablo 2 allgemein heute noch zu einem guten Hack & Slay macht. Dafür gibt es so einige Gründe. An erster Stelle steht der Kern-Gameplay-Loop. Aus der isometrischen Perspektive zieht ihr mit eurem Charakter hinaus in die gefährliche Welt, erschlagt Horden von Monstern und anderen üblen Gestalten, sammelt Erfahrungspunkte, steigt im Level auf, erlernt neue Fähigkeiten und erbeutet „nebenbei“ Tonnen an Waffen, Rüstungsteilen und Schmuckstücken. Nach und nach wird eure Figur immer stärker, eure Möglichkeiten im Kampf erweitern sich und ehe ihr euch verseht, ist es 3 Uhr in der Nacht und ihr sagt euch zum zehnten Mal hintereinander: „Na gut, den einen Level/Dungeon noch.“ Die Grundfaszination von Diablo 2 funktioniert heute immer noch tadellos, weil das Spiel in diesen Aspekten auch keinen Deut schlechter ist als modernere Genrevertreter.
Grund Nummer 2, warum Diablo 2 auch 2021 noch funktioniert und für Stunden an den Bildschirm fesselt: das großartige Klassendesign. Die sieben unterschiedlichen Charaktere Barbar, Paladin, Druide, Zauberin, Totenbeschwörer, Assassine und Amazone bieten eine enorme Vielfalt. Jeder dieser Helden ist einzigartig. Zudem gibt es noch diverse Arten und Weisen für jeden einzelnen, wie ihr ihn spielen könnt, dem ausgefeilten Skill-System sei Dank. Alle Klassen verfügen über drei stark unterschiedliche Talentbäume. Für sich genommen, sind die nicht sonderlich umfangreich, aber dafür trefft ihr bei jedem Levelaufstieg eine interessante Entscheidung, wenn es an die Verteilung des nächsten Talentpunktes geht. Erhöht ihr den Schaden mit einer bestimmten Waffenart oder schaltet ihr nicht doch lieber einen neuen Angriff frei?
Möglichkeiten zur Individualisierung gibt es viele, im Großen wie im Kleinen. Dabei schafft Diablo 2 eine fantastische Balance aus Zugänglichkeit und Komplexität. Wenn euch Diablo 3, in dem ihr nicht mal eure Kernattribute (Stärke, Geschicklichkeit etc.) nach Belieben steigern könnt, zu simpel ist, ihr euch zugleich von Path of Exile mit seinem gefühlt mehrere Quadratkilometer großen Geflecht aus Talenten erschlagen fühlt, dann ist Diablo 2 der perfekte Mittelweg für euch.
Zu guter Letzt glänzt Diablo 2 in Sachen Atmosphäre. Der Nachfolger war vielen Spielern in den vor Release gezeigten Gameplay-Videos zu bunt. Blizzard hat zwar daraufhin die Farbpracht etwas heruntergefahren, trotzdem wirkte er am Ende recht beliebig. Die ersten beiden Teile der Reihe sind extremst düster. Gerade Diablo 2 ist nicht einfach nur Fantasy, es driftet schon in den Horrorbereich ab. Damit stand es damals viel mehr auf eigenen Beinen, als es Diablo 3 jemals tat, und daran hat sich mit dem Remaster nichts geändert. Wenn ihr in Diablo 2: Resurrected zum Beispiel durch das Kloster am Ende des ersten Aktes lauft, nur Kerzen die Umgebung minimal erhellen und überall Blutlachen zu finden sind, fühlt sich das wie der Schauplatz eines Albtraums an.
Was für ein Upgrade!
Dass Diablo 2: Resurrected ein atmosphärisch dichtes Erlebnis ist, ist der neuen Grafik zu verdanken. Mit der Originaloptik, zu der ihr jederzeit auf Knopfdruck und ohne Wartezeit wechseln könnt, sähe das Spiel heutzutage nicht nur hoffnungslos veraltet aus, es würde auch nicht mehr die gleiche Wirkung entfalten wie vor 21 Jahren. Dank HD-Texturen, detaillierten 3D-Modellen von Charakteren und vor allem den dynamischen Lichteffekten, ist das aber in vollem Umfang möglich. Hinzu kommen die komplett neu produzierten Zwischensequenzen, die auf dem Niveau sind, das wir heutzutage von den Blizzards Render-Filmchen gewohnt sind.
Wenn Feuerbälle durch dunkle Höhlengänge fliegen und die grauen Wände erhellen, ist das einfach enorm ästhetisch. Auch die neuen Wasserreflexionen machen einiges her. Zudem sind die Animationen viel flüssiger als im Original, was aber nichts daran ändert, dass sich sämtliche Figuren immer noch sehr steif bewegen. Nichtsdestotrotz ist Diablo 2: Resurrected eines der besten Grafik-Upgrades, die wir im Bereich der Remasters jemals gesehen haben.
Warum sich das Alter nicht ganz verbergen lässt
Spielerisch bleibt sich Diablo 2 zu 99 Prozent treu. Entwickler Vicarious Visions, der seit Januar zu Blizzard gehört und zuvor schon mit den Neuauflagen der „Crash Bandicoot“- und „Tony Hawk's Pro Skater“-Spiele gute Arbeit geleistet hat, hat die Mechaniken nicht angerührt. Das ist alles in allem auch richtig so, denn wenn etwas schon verdammt gut ist, warum sollte man dann daran herumdoktern?
Einzig das Kampfgefühl ist einfach nicht mehr auf dem Stand, den man von heutigen Hack & Slays erwartet. Während man bei Diablo 3 das Gefühl hat, der eigene Charakter greift die Gegner wirklich physisch an, weil sie so glaubwürdig auf die Treffer reagieren, kann Diablo 2: Resurrected keinen Hehl daraus machen, dass in den Kämpfen einfach nur voneinander unabhängige Animationen passend zu den Würfelwürfen im Hintergrund abgespielt werden. Die Illusion, dass etwa die Breitaxt unseres Barbaren wirklich durch das Fleisch eines Goblins schneidet, kommt zu keinem Zeitpunkt auf. Hier kann das Spiel sein wahres Alter schlicht nicht verbergen. Vermutlich hätte Vicarious Visions aber, um auch diesen Aspekt zu verbessern, das Kampfsystem komplett neu entwickeln müssen. Dann wäre Resurrected aber wohl kaum mehr ein Remaster, sondern ein Remake und das war nicht das Ziel des Teams.
Da waren die Konsoleros wohl wichtiger
Wir können damit leben, dass sich die Kämpfe etwas altbacken anfühlen. Immerhin: Ihr seid auch auf dem PC nicht dazu gezwungen, Diablo 2: Resurrected mit Maus und Tastatur zu spielen, sondern könnt genauso gut zum Gamepad greifen. Das ist sogar unsere dicke Empfehlung an euch, denn mit dem Controller spielt sich das Ding deutlich besser. Klar, mit der Maus fällt es leichter, bestimmte Gegner ins Visier zu nehmen und Loot gezielt einzusammeln. Sie ist einfach deutlich präziser als ein Analog-Stick. Mit letzterem jedoch bewegt ihr euren Charakter geschmeidiger durch die Welt, der vollen 360-Grad-Steuerung sei Dank. Die gibt es mit der Maus nicht.
Der gravierendste Unterschied findet sich jedoch im Interface und bei der Fähigkeitennutzung. Mausjüngern stehen nur zwei Skill-Slots zur Verfügung: einer für die linke und einer für die rechte Maustaste. Wollt ihr mal eine andere Fähigkeit verwenden, müsst ihr mit den „F“-Tasten einen Austausch vornehmen und dann die jeweilige Maustaste drücken, um den gewünschten Skill zu aktivieren. Originaltreue ist ja schön und gut, aber das ist schlicht veraltet und unkomfortabel. Wechselt ihr jedoch zum Gamepad, wird auch das Interface ausgetauscht und ihr habt plötzlich eine richtige Skill-Leiste mit sechs Slots – genau genommen sind es sogar zwei Leisten. Wollt ihr eine Fähigkeit aus der zweiten nutzen, drückt ihr den hinteren linken Trigger plus den entsprechenden Aktionsknopf. Solange die Entwickler die Skill-Leiste nicht auch für Mausnutzer zugänglich machen, werden wir weiterhin stets zum Controller greifen, auch wenn sich Inventar und Co damit zwar nicht schlecht, aber eben doch schlechter als mit der Maus bedienen lassen. Es ist unverständlich, warum Vicarious Visions eine komplette Interface-Überarbeitung für die Gamepad-Steuerung entwickelt, die Standardbedienung auf dem PC aber unangetastet gelassen hat.
Mehr Platz hätte weniger Ärger und Arbeit bedeutet
Auch an anderer Stelle liegen eine erfreulich Neuerung und verschenktes Potenzial nah beieinander. So ist es klasse, dass die Beutetruhe deutlich mehr Platz bietet als im Original. Blöd nur, dass das Inventar immer noch so verflucht klein ist. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn wir Tränke und Edelsteine gleicher Art nun wie Schlüssel stapeln könnten. Aber nein, jeder einzelne Heil- und Manatrank, jedes Gegengift, jedes Juwel belegt einen eigenen Slot.
Das führt nicht dazu, dass wir häufig interessante Entscheidungen treffen müssen. „Hmm, nehme ich jetzt mehr Heiltränke mit oder spare ich den Platz für Beute, die ich verkaufen kann?“ - solche Fragen stellen wir uns in Diablo 2: Resurrected nicht. Die Gegner lassen ständig Tränke fallen und wir haben selten einen Mangel an Portalschriftrollen, sodass wir uns nach größeren Item-Ausbeuten öfter in die Stadt und wieder zurück teleportieren, nur um jeden einzelnen wertvollen Gegenstand einsammeln und direkt verkaufen zu können, damit wir Platz für die anderen Objekte haben, die noch auf dem Dungeon-Boden liegen. Das ist kein interessantes Gameplay, sondern einfach nur nervig. Diablo 2: Resurrected hätte nichts von seiner Faszination und seinem Anspruch verloren, wenn die Entwickler hier zumindest ein bisschen mehr mit der Zeit gegangen wären.
Fazit
Diablo 2: Resurrected ist in weiten Teilen ein fantastisches Remaster. Die Stärken des Originals sind auch heute immer noch ein Genuss und übertrumpfen so manch anderes, jüngere Action-RPG. Dank der komplett neuen Grafik kann man sich nun am tollen Spieldesign erfreuen, ohne dabei Augenkrebs zu erleiden. Selten ist der Unterschied zwischen Original und Neuauflage so groß wie hier, Remakes mal außen vor gelassen.
Die Gamepad-Steuerung begrüßen wir ebenfalls sehr. Schon Diablo 3 hat uns mit dem Controller mehr Spaß gemacht als mit Maus und Tastatur. Im Fall von Diablo 2: Resurrected lassen wir jedoch die Standardeingabegeräte des PCs nicht deshalb unangetastet, weil es sich mit dem Gamepad aktiver spielt, sondern weil es schlicht komfortabler ist. Bitte, liebe Entwickler, gebt uns die Skill-Leisten auch für die Maus-/Tastatursteuerung! Und wenn ihr dann eh schon beim Patchen seid, überlegt euch auch nochmal die Sache mit dem Stapeln von Tränken und Co. Dann wäre Diablo 2: Resurrected wirklich ein perfektes Remaster. Aber auch so legen wir es jedem ans Herz, der entweder der Nostalgie frönen oder den Klassiker endlich mal nachholen möchte. Auch wenn sich die Kämpfe nicht mehr ganz zeitgemäß anfühlen, ist Diablo 2 immer noch ein sehr gutes Hack and Slay, mit dem ihr viele schöne Stunden verbringen könnt.
- Sehr schöne Grafiküberarbeitung
- Immer noch fantastischer Gameplay-Loop
- Starkes Klassendesign und Skill-System
- Dichte Atmosphäre
- Gelungene Gamepad-Steuerung
- Kämpfe fühlen sich altbacken an
- Keine Skill-Leiste mit Maus-/Tastatursteuerung
- Kleines Inventar nervt
- Steife Animationen