Ubisoft steigert sich beim Open-World-Design, schwächelt aber einmal mehr in Sachen Story und Gameplay.
Assassin's Creed Valhalla im Test: Tolle Welt – und sonst?
Ubisoft-Spiele lassen sich ganz klar kategorisieren: Das sind, zumindest wenn wir über die großen Blockbuster sprechen, Titel mit riesigen Spielwelten und unzähligen Nebenaktivitäten, die aber oft sehr gleichförmig sind. Der Begriff Ubisoft-Formel dürfte mittlerweile jedem geläufig sein, der sich etwas mehr mit dem Thema auseinandergesetzt hat, als nur alle Jubeljahre mal ein Assassin's Creed zu spielen. In den vergangenen drei bis vier Jahren hat der französische Videospielhersteller versucht, von dieser starken Formelhaftigkeit Abstand zu nehmen und seine offenen Welten mit mehr einzigartigen Inhalten zu füllen. Weg ist die Formel deshalb noch lange nicht, aber seit Watch Dogs 2 und vor allem Assassin's Creed Origins wird sie deutlich besser umgesetzt als zuvor. Und Assassin's Creed Valhalla stellt nun den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Warum es trotzdem auf dem Weg zu einer Top-Wertung strauchelt, verraten wir euch in unserem Test.
Wieder mehr Assassin's Creed
Nachdem Assassin's Creed Origins ein Prequel gewesen ist, das die Entstehungsgeschichte der Assassinenbruderschaft erzählt hat, hat sich Assassin's Creed Odyssey als Pre-Prequel erwiesen. Es reist nochmal mehrere 100 Jahre weiter in die Vergangenheit ins antike Griechenland, wo noch gar nicht von irgendeiner Bruderschaft die Rede ist. Viele Fans störten sich daran und an den Gameplay-Änderungen, die etwa das Schleichen weniger effektiv gemacht haben. So richtig viel Assassin's Creed steckt in Odyssey nicht mehr, von nicht unwichtiger Lore mal abgesehen. Valhalla bietet wieder mehr von dem, was die Serie seit jeher ausmacht. Es spielt im neunten Jahrhundert, somit gibt es die Assassinen (hier heißen sie noch die Verborgenen) schon längst. Auch der Konflikt zwischen der mordenden Bruderschaft und den Templern, die hier aber noch Orden der Ältesten heißen, ist wieder präsenter. Und was das Schleich-Gameplay betrifft... Nun, dazu kommen wir noch.
Mann, Frau, vollkommen egal
Befassen wir uns erst mal mit Eivor. Das ist der Hauptcharakter in Assassin's Creed Valhalla und ein Wikinger – oder eine Wikingerin. Genau wie in Odyssey stellt euch das Spiel vor die Wahl, ob ihr einen männlichen oder weiblichen Helden spielen wollt. Anders als im Vorgänger handelt es sich aber in beiden Fällen um denselben Charakter, ihr entscheidet euch also nur für das Geschlecht. Es gibt keinen Bruder beziehungsweise keine Schwester wie in Odyssey, die eine andere wichtige Rolle in der Geschichte einnimmt. Ihr könnt sogar den Animus entscheiden lassen, welche Eivor-Variante durch die Spielwelt reiten, klettern und morden soll. Dann wechselt die Figur ihr Geschlecht stets an bestimmten Punkten innerhalb der Geschichte. Erklärt wird das alles übrigens dadurch, dass der DNA-Strang fehlerhaft und deshalb nicht klar ist, ob Eivor nun männlich oder weiblich war.
Stichwort Animus und DNA-Strang: Ja, Leyla Hassan und ihre Geschichte in der Gegenwart ist in Assassin's Creed Valhalla auch wieder mit an Bord, hält sich aber wie in den Vorgängern stark im Hintergrund. Ihr verbringt kaum Zeit außerhalb der Historiensimulation und das ist auch gut so, denn mal ehrlich: Wenn es nach uns geht, würde Ubisoft einfach nur noch Spiele mit historischen Settings sowie dem Konflikt Assassinen gegen Templer machen und den ganzen Sci-Fi-Schmarn auslassen.
Kaltstart
Zurück zu Eivor: Der (wir haben die männliche Variante gespielt, deshalb bleiben wir der Einfachheit halber ab hier beim Maskulinum) hat wie viele seiner Vorgänger in der Serie ein schweres Schicksal: Als Kind muss er zusehen, wie seine Eltern von einem feindlichen Clan-Oberhaupt ermordet werden. Er wird daraufhin von seinem König adoptiert – und er sinnt auf Rache. Im Erwachsenenalter setzt Eivor alles daran, den Mörder seiner Eltern seiner, nach Wikinger-Maßstäben, gerechten Strafe zuzuführen. Wer nun denkt, dass Assassin's Creed Valhalla aber wieder nur eine typische Rachegeschichte erzählt, der täuscht sich. Tatsächlich ist die nur im Prolog ein größeres Thema, der übrigens in Norwegen spielt. Hier könnt ihr bereits locker zehn Stunden verbringen, denn schon diese Karte ist ziemlich groß und bietet einiges, was ihr abseits der Hauptmissionen erkunden und machen könnt.
Am Ende des Prologs geht es nach England, wo ein neues Zuhause aufgebaut werden soll. Das ist aber nicht Eivors Idee, sondern die von Sigurd, seinem Adoptivbruder. Und weil unser Protagonist dem treu ergeben ist, kommt er natürlich mit. Damit England oder Englaland, wie es in der deutschen Version heißt (so nannten die Wikinger es), eine sichere neue Heimat werden kann, braucht ihr Verbündete.
Wikinger suchen Freunde
Die Angelsachsen sind nicht glücklich damit, dass ihr euch plötzlich in deren Ländereien breitmacht und Städte wie Dörfer überfallt – kann man auch irgendwie nachvollziehen. Zum Glück ist euch nicht jeder feindlich gesinnt. Also reist ihr in die verschiedenen kleinen Königreiche, aus denen England damals bestand, um Bündnisse zu schließen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in der Geschichte von Assassin's Creed Valhalla und bestimmt die Struktur der Kampagne. Auf einer Karte in eurem Langhaus bestimmt ihr, in welche Region ihr als nächstes reitet oder segelt (die vielen Flüsse lassen sich per Langboot befahren und sind quasi die Highways des mittelalterlichen Englands). Ihr könnt immer nur an einem Bündnis zeitgleich arbeiten, sodass ihr nicht mehrere Questreihen parallel spielen könnt.
Jede der 13 Regionen plus die drei größeren Städte London (Lunden), Winchester (Wincaester) und York (Eoforwic) sind Schauplätze eigener, in sich geschlossener Handlungsbögen. In jedem Gebiet lernt ihr neue Charaktere kennen, sowohl Verbündete als auch Gegenspieler, helft den einen, bekämpft die anderen und sichert euch so Unterstützung. Dadurch hat Assassin's Creed Valhalla eine Art Serienflair: Die Questreihen der einzelnen Regionen fühlen sich wie die Episoden einer Serie an, die zwar schon einen allgemeinen roten Faden hat, aber trotzdem in jeder Folge eine neue Geschichte erzählt.
Ist das ein Problem? Nicht unbedingt. Die einzelnen Storys sind keine große Erzählkunst, aber durchaus unterhaltsam. Und manche Figuren tauchen auch im weiteren Spielverlauf auf, weil sie zum Beispiel in eure Siedlung ziehen. Trotzdem werden diejenigen, die mit diesem episodischen Charakter nichts anfangen können, große Probleme mit Assassin's Creed Valhalla haben. Denn bis hier mal der eigentliche Hauptplot wirklich zum Tragen kommt, dauert es eine ganze Weile. Die meiste Zeit über bleibt das Gefühl, als würde man stets nur Nebenquests spielen – aber welche, über die wir uns in manch anderem Open-World-Spiel sehr freuen würden.
Valhalla hat, was Watch Dogs Legion fehlt
Was die Figurenzeichnung betrifft, gibt Assassin's Creed Valhalla ein ordentliches Bild ab – nicht mehr, nicht weniger. Manche Charaktere sind recht blass, andere haben eine Persönlichkeit und manche finden wir sogar ziemlich sympathisch. Nun ja, oder es ist halt so jemand wie Ivar ("Vikings"-Fans sicherlich ein Begriff), einer der Söhne von Ragnar Lodbrok. Der ist quasi Valhallas Variante von Trevor aus GTA 5, nur nicht ganz so überzogen. Dennoch spaziert er gerne mal mit den Köpfen erschlagener Soldaten in einen Raum hinein, in dem Eivor gerade versucht, aus der Gattin eines Königs, den wir suchen, Informationen über den Aufenthaltsort ihres Mannes herauszubekommen. Ivar ist richtig widerlich, zeigt später bei ein paar Humpen Met aber auch noch eine andere Seite von sich. Er ist nicht einer der besten Videospielcharaktere aller Zeiten, aber im Gedächtnis wird er uns auf jeden Fall bleiben.
Assassin's Creed Valhalla bleibt zwar größtenteils oberflächlich, aber die Figuren erfüllen ihren Zweck, auch weil sie im Englischen sehr gut vertont sind. Die deutsche Sprachausgabe ist in Ordnung, aber wie so oft können wir euch nur raten: Wenn ihr des Englischen mächtig seid oder kein Problem mit Untertiteln habt, dann spielt nicht mit deutscher Tonspur!
Wir haben nur ein wirkliches Problem: Eivor will uns irgendwie keinerlei Emotion entlocken. Der Kerl ist ein ähnlich blasser Hauptcharakter wie etwa Arno aus Assassin's Creed Unity. Wo wir in Origins mit Bayek richtig mitgefiebert und seinen emotionalen Schmerz mitfühlen konnten, ist uns Eivor recht egal. Das soll nicht heißen, dass er charakterlos sei, da zum Beispiel seine Treue gegenüber Sigurd eine wichtige Rolle spielt. Aber eine Bindung zu ihm wollte beim Spielen nicht so recht entstehen.
Great Britain....äh, England!
Für uns spielt letztendlich nicht Eivor die Hauptrolle in Assassin's Creed Valhalla, sondern die Spielwelt. Verzaubert uns schon das Prolog-Gebiet in Norwegen mit fantastischen Panoramen, drehen die Entwickler auf der britischen Insel so richtig auf. Dichte Wälder, nebelige Sümpfe, weite Wiesen, bunte Blumenfelder, die vielen kleinen Dörfer und lauter alte Ruinen aus der Zeit, in der die Römer noch vor Ort waren, machen es zu einer hellen Freude, durch diese Landschaften zu reiten. Ständig bekommt man als Spieler neue optische Eindrücke. Ägypten und Griechenland in den beiden Vorgängern sind schon fantastisch gewesen, die Welt von Valhalla wirkt aber noch mal etwas liebevoller gebaut. Wer genau hinsieht, erkennt zwar immer noch viel Asset-Recycling, was bei einer so gigantischen Karte nicht ausbleibt, aber es gibt viel weniger generische Orte als zuvor.
Und damit wären wir bei der unserer Meinung nach größten Stärke von Assassin's Creed Valhalla: Es ist weitaus weniger generisch als all das, was Ubisoft in der Vergangenheit gemacht hat. Die Open World ist nicht vollgekleistert mit den sich immer gleich anfühlenden Gegner-Camps, die ihr "abschließen" müsst, indem ihr so und so viele Hauptmänner umbringt und Schätze bergt. Dieses System des "Orte-Abschließens" gibt es gar nicht mehr. Und auch die Fragezeichen sind von der Weltkarte und dem Kompass verschwunden. Allerdings hat Ubisoft die nicht ersatzlos gestrichen.
"Points of Interest" im wahrsten Sinne des Wortes
Es gibt nun farbige Punkte. Goldene weisen auf Loot hin, entweder in Form von Ausrüstung, Crafting-Materialien oder Ressourcen für eure Siedlung. So was kann in einem gegnerischen Lager sein, denn natürlich gibt es diese Camps auch in Valhalla. Aber es ist eben kein vom Spiel offiziell ausgegebenes Ziel mehr, diese Orte "abzuschließen". Ihr holt euch den Loot oder ihr holt ihn euch nicht, ganz einfach. Noch dazu sind die Lokalitäten viel abwechslungsreicher designt als in den Vorgängern. Oftmals gibt es simple Umgebungsrätsel. Die laufen zwar oft nach den drei, vier gleichen Mustern ab, trotzdem begrüßen wir sie. Aus irgendeinem Grund sind wir dadurch involvierter. Die Suche nach Loot fühlt sich einfach weniger als ein Abklappern von Schatzkisten an wie in den Vorgängern. Im besten Fall erzählen die Orte sogar mit Hilfe von Zetteln und Environmental Storytelling kleine Geschichten – genau so was erwarten wir von einer guten Open World.
Weiße Punkte zeigen an, dass an den jeweiligen Orten Sammelgegenstände zu finden sind. Das können bloß fliegende Zettel sein, denen ihr hinterherjagt (hat man diese Mechanik aus alten Teilen also auch mal wieder eingebaut), die Tätowierungen und Frisuren für Eivor freischalten. Aber es kann sich etwa auch um Schatzkarten handeln. Dennoch sind all diese Collectibles, die im Spiel als Artefakte bezeichnet werden, die unspannendsten Dinge, die ihr in der Open World finden könnt.
Nebenquests, aber anders
Am interessantesten sind die blauen Punkte, die sogenannten "Rätsel". Hierhinter verbergen sich vor allem Weltereignisse. Das sind im Wesentlichen die Nebenquests von Assassin's Creed Valhalla, nur landen sie nicht in eurem Quest-Journal und sind allesamt innerhalb weniger Minuten zu erledigen. In den meisten Fällen handelt es sich um kleine Geschichten, die in erster Linie witzig sein sollen. Dabei driftet Assassin's Creed Valhalla gerne mal in Fäkalhumor ab, etwa wenn ihr einer Frau, die in einer Kloake lebt, Schlangeneier bringen sollt, damit sie sie essen und einen extrem stark stinkenden Furz ablassen kann. Nun...
Nicht jedes Weltereignis ist gut gelungen, manche enden sogar recht unbefriedigend. Andere haben aber durchaus Charme und können sogar richtig überraschen. Wir wären zum Beispiel nicht auf die Idee gekommen, was es mit dem einen Mönch auf sich hat, der sich nicht mal aus der Ruhe bringen lässt, wenn wir seine Kuh töten, aber das solltet ihr besser selbst herausfinden. Alles in allem finden wir diese neue Art von Nebenmissionen nicht schlecht, vermissen aber trotzdem die längeren Quests aus Assassin's Creed Odyssey. Solche Aufträge erhaltet ihr bloß noch alle paar Stunden mal von den NPCs in eurer Siedlung und darunter findet sich auch so manches Highlight wie etwa ein fantastischer Drogentrip (Nicht nachmachen, Kinder!). Gerne hätten wir mehr davon gehabt. Unsere Hoffnung für das nächste Spiel der Reihe: eine ausgewogene Mischung aus Weltereignissen und längeren Nebenquests.
Mehr Spaß beim Erkunden
Nichtsdestotrotz tragen die kleinen Aufgaben, von denen es wirklich etliche gibt, mit dazu bei, dass uns die Erkundung Englands, Norwegens und der anderen Gebiete, die es noch gibt (die wir hier nicht spoilern) mehr Spaß macht als in fast allen anderen Ubisoft-Spielen. Wir haben einfach das Gefühl, in der Welt mehr einzigartige Dinge zu entdecken, selbst wenn es sich am Ende nur um Orte handelt, die als Loot-Quellen dienen. Zudem ist nicht jeder interessante Punkt auf der Karte von vornherein markiert – zumindest auf dem höchsten der drei Erkundungsschwierigkeitsgrade (ja, dafür gibt es in Valhalla eigene Schwierigkeitsstufen). Es ist zwar leider nicht so, dass dann gar nichts mehr markiert wird, bevor ihr es nicht entdeckt habt, aber immerhin müsst ihr den Orten schon relativ nahe sein, damit die blauen, weißen oder goldenen Punkte auf dem Kompass aufleuchten.
Generell nimmt euch Ubisoft nicht mehr so stark an die Hand, auch in den Missionen. Während bei den Weltereignissen gar nichts markiert wird und ihr bloß anhand der Dialoge herausfinden müsst, was zu tun ist, lässt euch das Spiel auch während der Hauptquests gerne mal von der Leine. In einer der ersten beiden Regionen, in denen ihr Bündnisse schließen wollt, müsst ihr etwa herausfinden, wer die dortige Jarlskona (weibliche Form von Jarl, also eine nordische Gräfin) verraten hat. Ihr erhaltet ein, zwei Spuren und das wars. Dann werdet ihr zum Detektiv, befragt Anwohner, vernehmt die Verdächtigen und sucht völlig ohne Quest-Markierungen in der Umgebung nach Hinweisen darauf, wer dem Feind geholfen hat – großartig!
Falls ihr mal auf dem Schlauch steht, könnt ihr "Odins Sicht" nutzen, mit der ihr unter anderem wichtige Objekte in der Nähe identifiziert. Wer aber genau aufpasst und hinsieht, braucht diese Funktion gar nicht so häufig. Einen Vogelbegleiter habt ihr zwar auch wieder (diesmal einen Raben), aber der ist weitaus weniger essenziell als in den Vorgängern und kann getrost ignoriert werden, was uns sehr gefällt. Ein gutes Spielelement waren die lästigen Suchen mit dem Federvieh nach Questzielen noch nie.
Kampfsystem mit mehr Tiefe, aber flüssiger dürft's schon sein
Auch wenn es in Assassin's Creed Valhalla viele Aufgaben gibt, die nicht mit Kämpfen verbunden sind: Wir spielen hier immer noch einen Wikinger, natürlich wird da auch viel mit Axt, Schwert oder Hammer herumgewirbelt. In Vorschaumaterial sahen die Gefechte nie wirklich flüssig aus – kein Vergleich zu den fantastischen Schwertduellen eines Ghost of Tsushima. An das Samurai-Abenteuer von Sony kommt Valhalla in diesem Aspekt bei Weitem nicht heran (hier geht's zu unserem Test zu Ghost of Tsushima). Als wir es nun aber gespielt haben, haben uns die Kämpfe doch mehr Spaß gemacht, als wir es erwartet hatten. Die Animationen könnten deutlich besser sein, ebenso das Trefferfeedback, obwohl es zum ersten Mal in einem Assassin's Creed richtige Splatter-Effekte gibt.
Mechanisch betrachtet hat jedoch ein Sprung nach vorne stattgefunden. Zum einen gibt es viel mehr Gegnertypen als in den Vorgängern, die individuelle Kampfverhalten an den Tag legen und natürlich unterschiedlich bewaffnet sind. Da bekommt ihr es auch gerne mal mit Kontrahenten zu tun, die auf Tricks setzen und euch etwa Dreck in die Augen schmeißen, um euch zu blenden. Zum anderen gibt es zum ersten Mal eine Ausdauerleiste in einem Assassin's Creed. Ihr könnt zwar theoretisch unbegrenzt mit leichten Attacken angreifen, sofern ihr trefft, aber schwere Hiebe sowie das Ausweichen und Blocken zehren an eurer Ausdauer. Eine weitere Ressource, die ihr managen müsst, ist Adrenalin. Ohne das könnt ihr keine Fähigkeiten einsetzen und es lädt sich nur auf, wenn ihr Treffer landet, erfolgreich ausweicht, pariert oder Gegner tötet.
Obendrauf kommen die verschiedenen Waffengattungen, die Schilde, die wir in Odyssey schmerzlich vermisst haben, und die Option, zwei Einhandwaffen zu nutzen – oder auch zwei Schilde. Jeder Waffentyp bringt einen eigenen Kampfstil mit sich. Mit einem Zweihandschwert beispielsweise habt ihr zwar den Nachteil, das ihr nicht blocken könnt, aber ihr könnt stattdessen mit der Klinge nach vorne ausgerichtet auf Gegner zustürmen und sie aufspießen, was sehr cool ist.
Der schleichende Wikinger
Fernkampf mit Pfeil und Bogen gibt es natürlich auch noch. Einziger Unterschied zu den Vorgängern: Pfeile könnt ihr nicht mehr selbst herstellen, sondern müsst sie in der Umgebung finden oder bei Händlern kaufen. Dafür könnt ihr abgeschossene Exemplare wieder einsammeln. Deutlich mehr getan hat sich hinsichtlich der Stealth-Mechaniken. Zum einen sind anders als in Odyssey Attentate auf normale Gegner wieder jederzeit tödlich. Im Fall von Elitefeinden und Bossen gilt das nicht von Haus aus. Ihr könnt aber recht früh im Spiel eine Fähigkeit freischalten, mit der ihr bei einem Attentat auf einen besonderen Widersacher die Chance habt, ihn sofort zu töten. Dazu müsst ihr ein kurzes Quicktime-Event erfolgreich bestehen, indem ihr zum richtigen Zeitpunkt die Taste für einen Stealth-Angriff erneut drückt, was ziemlich einfach und uns nie misslungen ist.
Des Weiteren ist der "Social Stealth" in Assassin's Creed Valhalla zurück. In sogenannten Misstrauensgebieten, wo Wikinger wie Eivor nicht gerne gesehen sind, wirft er sich automatisch eine Kapuze über, um nicht so schnell erkannt zu werden. Zudem könnt ihr euch dort wie früher unter Mönche mischen, auf Bänke setzen oder auch einen Betrunkenen anheuern, um Wachen abzulenken. Genutzt haben wir all das kaum, trotzdem ist es nett, dass die Elemente wieder da sind. Allgemein gilt: Ihr könnt Assassin's Creed Valhalla wieder sehr gut mit einem Fokus auf das Schleichen spielen, aufgrund der beschränkten Gegner-KI und der letztendlich eben doch wieder sehr simplen Stealth-Mechanik macht es aber mehr Spaß, sich auf offene Kämpfe zu konzentrieren. Letztendlich ist aber sicherlich ein Mix aus beidem am besten, weil das natürlich zur spielerischen Abwechslung beiträgt.
Wer bauen will, muss rauben
Von den Raids hatten sich die Entwickler ähnliches erhofft. Siedlungen, Festungen und Klöster, die in der Nähe von Flüssen liegen, könnt ihr mit eurer Langbootbesatzung überfallen. Das klingt in der Theorie cool und es hat auch was für sich, ins Horn zu blasen und mit den eigenen Männern (und Frauen) loszustürmen. Aber dann hört es auch auf mit der coolen Atmosphäre. Im Prinzip könnt ihr euch das anschließende Gefecht wie die Schlachten in Assassin's Creed Odyssey vorstellen: Kleine Gruppen kämpfen gegeneinander und ihr wurschtelt euch so durch. Eine authentische Darstellung eines großen Kampfes sieht anders aus, das gilt im Übrigen auch für die Belagerungsschlachten in der Hauptkampagne.
Spaßig sind die Plünderungen also nur bedingt. Trotzdem macht man sie hin und wieder, denn man möchte ja Ressourcen haben, um die eigene Siedlung ausbauen zu können. Die ist der Grund für fast alles, was ihr in der Open World macht. Als verknüpfendes Element funktioniert sie ganz gut und auch atmosphärisch ist sie eine willkommene Bereicherung. Ihr lernt im Verlauf des Spiels die Leute im Dorf immer besser kennen und jedes Mal, wenn ihr nach euren Abenteuern in den Königreichen dorthin zurückkehrt, fühlt sich das wie Nachhausekommen an. Aber spielerisch wäre hier noch viel Luft nach oben gewesen. Es stört uns nicht wirklich, dass wir nicht frei entscheiden können, wo welche Gebäude entstehen und das Ganze keine Aufbaustrategieelemente hat. Aber nur wenige der Einrichtungen haben wirklich einen interessanten spielerischen Nutzen. Dazu gehört unter anderem die Schmiede, in der ihr eure Ausrüstung verbessern lasst, und die Hütte der Seherin Valka, die... Na, das verraten wir an dieser Stelle besser nicht. Andere Gebäude haben fast nur kosmetischen Nutzen.
Besonders enttäuscht sind wir vom Kriegerlager. Darüber könnt ihr einen Jomswikinger anheuern, also eine Art Leutnant, dessen Ausrüstung ihr selbst festlegt. Der kämpft dann in eurer Crew mit, zudem kann er in den Welten anderer Spieler auftauchen, auf dass sie ihn rekrutieren und er so für euch ein paar zusätzliche Belohnungen sammelt. Das erinnert an die Gefährten aus Dragon's Dogma. Das Feature ist aber komplett unterentwickelt. Welche Waffen und Rüstungsteile ihr eurem Jomswikinger gebt, hat eigentlich nur eine optische Bedeutung und er macht auch keinerlei Progression durch. In dieser Form hätten sich die Entwickler das Feature auch sparen können.
Überarbeitetes Skill- und Loot-System
Apropos Progression: An dieser Stelle können wir nochmal einiges an Lob aussprechen. Zum einen für das Levelsystem: Ihr steigt nicht mehr im Rang auf, sondern erhaltet einfach jedes Mal, wenn eure XP-Anzeige voll ist, zwei Skill-Punkte. Die investiert ihr in einen riesigen, stark verzweigten und am Anfang zu 90 Prozent verdeckten Talentbaum. Der bietet zum einen viele passive Boni, mit denen ihr eure grundlegenden Attribute erhöht, zum anderen aktive Fähigkeiten, die kein Adrenalin verbrauchen, dafür kontextabhängig sind. Zum Beispiel gibt es einen Skill, der dafür sorgt, dass ihr nach einer erfolgreichen Parade eine Rauchbombe zünden könnt. Das Schöne hieran: Ihr könnt jederzeit alle Talente oder auch nur einzelne zurücksetzen, ohne dass es euch etwas kostet, und die Punkte neu verteilen.
Die aktiven Fähigkeiten, die ihr jederzeit einsetzen könnt, sofern ihr Adrenalin habt, schaltet ihr über Bücher frei, die ihr in der Spielwelt findet – ein weiterer Erkundungsanreiz. Gleiches gilt für die ganzen Waffen und Rüstungsteile. Ihr werdet nicht mehr mit Hunderten Objekten überschüttet, die zufällige Werte haben. Jedes Schwert, jeder Hammer, jede Hose ist einzigartig. Ihr findet seltener was, freut euch darüber aber umso mehr. Die Items sind dadurch viel wertvoller für euch und es ergibt Sinn, sie aufzuwerten. Theoretisch könnt ihr das ganze Spiel mit den Items durchzocken, die ihr am Anfang erhaltet. Aber ihr könnt auch munter wechseln und je nach Spielsituation etwa euer Rüstungsset tauschen. Wir finden das neue System richtig klasse, weil wir so bei jeder Schatzkiste mit dem Ausrüstungssymbol gespannt darauf sind zu erfahren, was drinsteckt.
Schöne Grafik mit kleinen Makeln
Bevor wir nach so viel Text endlich zum Fazit kommen, noch ein paar Worte zur Technik: Die macht im Vergleich zu Origins und Odyssey keinen großen Sprung. Schön ist das mittelalterliche England in der von uns getesteten PC-Version aber auf jeden Fall. Die Umgebungen strotzen nur so vor Details, die Weitsicht ist phänomenal (trotz teils auffälliger Pop-up-Effekte in der näheren Umgebung), und die globale Beleuchtung sorgt immer wieder für wunderbar atmosphärische Szenerien. Die Modelle der wichtigen Charaktere sehen ebenfalls gut aus, auch wenn die Gesichtsanimationen kein "The Last of Us: Part 2"-Niveau erreichen (hier geht's zu unserem Test von The Last of Us: Part 2). Immerhin sind sie aber deutlich besser als die von unwichtigen NPCs, etwa denen, die in den Weltereignissen zum Einsatz kommen. Da merkt man einfach, dass die schiere Größe des Spiels so gewaltig ist, das nicht mal Ubisoft das Budget hätte, um jede einzelne Figur zeitgemäß zu animieren.
Dafür ist, wie schon erwähnt, die Vertonung im Englischen durchgehend auf hohem Niveau und auch sonst kann sich Assassin's Creed Valhalla echt hören lassen. Der Soundtrack, der sehr nordisch angehaucht ist, ist ein wahrer Genuss für die Ohren und auch die Effekte, etwa das Zerplatzen eines Schädels, auf den Eivor mit voller Wucht im Zuge eines Finishers tritt, sind richtig gut gelungen. Und wenn wir in ruhigen Momenten durch den Wald reiten und die Vögel zwitschern hören, kommt eine wahre Idylle auf – was aber gerne mal von einem Glitch, einem KI-Bug oder sonstigen Problemen zunichte gemacht werden kann. Ja, Assassin's Creed Valhalla erscheint in keinem ganz fertigen Zustand. Es gibt viele kleine Fehler, die einzeln meist kein Problem sind, in der Summe aber stören – außer ihr wollt eine schwere Truhe während eines Raids öffnen, was eine zweite Person erfordert, und dann kommt euch niemand helfen. Das ist einfach eines der größten Ärgernisse, das uns jemals in Videospielen widerfahren ist.
Fazit
Oh je, oh je! So viel Text und wir hätten noch mehr schreiben können, etwa zu den Minispielen oder darüber, wie toll es doch ist, dass man Hunde und Katzen streicheln kann. Und unsere Lobeshymne darüber, dass der olle Vogel kein wichtiges Gameplay-Element mehr ist, ist auch viel zu kurz geworden. Aber nun gut, konzentrieren wir uns aufs Wesentliche: Assassin's Creed Valhalla ist ein gutes Open-World-Spiel geworden. Es hat sogar die beste Spielwelt in der Seriengeschichte und Firmenhistorie von Ubisoft. Dafür gehört Eivor zu den schwächeren Protagonisten der Reihe, das Siedlungsfeature lässt spielerisch zu wünschen übrig und so nett wir einige der Weltereignisse auch finden, mehr vollwertige Nebenquests wären schon toll gewesen.
Valhalla hat viele Ecken und Kanten und manche davon werden es gewissen Spielern schwermachen, es zu mögen. Gerade der episodische Aufbau der Geschichte wird manche Leute regelrecht vor den Kopf stoßen, die eine durchgehende Handlung erwarten. Uns haben die kleinen Storys durchaus unterhalten. Ein anderer Aufbau der Kampagne, in der viele davon optional gewesen wären, hätte uns aber noch wesentlich mehr zugesagt. Letztendlich sind wir mit Assassin's Creed Valhalla zufrieden, müssen aber wegen der vielen Mängel eben doch einige Punkte abziehen. Daher raten wir euch: Achtet nicht bloß auf die Wertung! Wenn die Stärken, die wir hier genannt haben, euch wichtig sind und die Schwächen eurer Ansicht nach nicht so schwer wiegen, dann könnt ihr eine sehr gute Zeit mit dem Wikingerabenteuer haben. Andernfalls solltet ihr zumindest einen Sale abwarten.
- Grandiose Spielwelt
- Kampfsystem mit mehr Tiefe
- Sinnvoll überarbeitetes Loot-System
- Einige nette Handlungsbögen
- Orte in der Welt schön individuell
- Atmosphärischer Soundtrack
- Klasse Vertonung im Englischen
- Spiel lässt euch viel Freilauf
- Siedlung spielerisch enttäuschend
- Schwach umgesetzte Raids
- Story zu episodisch
- Blasser Protagonist
- Kämpfe etwas hakelig
- Viele Bugs und Glitches
- Zu wenige große Nebenquests