Mich ärgert's, Children of Morta erst 2020 gespielt zu haben. Dem Game Pass sei Dank, dass ich dieses Kleinod doch noch erleben durfte.
Warum Children of Morta und der Game Pass einfach klasse sind
Am Ende eines jeden Jahres mache ich mir Gedanken darüber, was denn nun für mich persönlich die Toptitel der vorangegangenen zwölf Monate gewesen sind. 2019 waren Spiele wie Resident Evil 2, Borderlands 3, Metro: Exodus und Apex Legends mit dabei. Doch selbst als Videospielredakteur kann man nicht alles pünktlich zocken. Manches verlagert sich schlicht aus Zeitgründen ins nächste Jahr (oder übernächste, oder das Jahr darauf etc.) und dann gibt es auch die Kandidaten, die man anfänglich ignoriert oder von denen man gar nichts mitbekommen hat. Children of Morta fiel bei mir in die Kategorie: "Ja, das sieht nett aus, aber ich weiß nicht, ob das was für mich ist." Deshalb habe ich es 2019 bei meinen Streifzügen durch die digitalen Stores am Wegesrand liegen lassen. Ein fataler Fehler, wie ich jüngst feststellen durfte.
Abos kündigen, das fällt gar nicht so leicht
Children of Morta landete im Januar im Xbox Game Pass. Den hatte ich vergangenes Jahr eigentlich nur abonniert, weil ich mir Gears 5 nicht kaufen, aber trotzdem mal anspielen wollte. "Danach bestell ich den wieder ab", hab' ich mir gesagt. Aber ihr kennt das vielleicht von eurem Netflix- oder Amazon-Prime-Abo: Einmal abgeschlossen, fällt es einem irgendwie nicht so leicht, nach dem selbstgesetzten Limit wieder zu kündigen. Entweder denkt man nie daran oder man macht es absichtlich nicht, weil a) ja immer wieder was neues Interessantes ins Angebot aufgenommen wird und b) es sich im Monat ja eh nicht so sehr auf dem eigenen Bankkonto bemerkbar macht.
Mein Game-Pass-Abo läuft nun schon seit über einem halben Jahr und ich bereue es überhaupt nicht. Sicherlich, ich spiele nicht jeden Tag etwas aus dessen Bibliothek, nicht mal jede Woche. Aber ohne diesen Service hätte ich manchen Titel vermutlich gar nicht ausprobiert, unter anderem Children of Morta. Und verdammt, wäre mir da was entgangen. Ich dachte, das Spiel wäre ein gewöhnliches Rogue-like, das etwas mehr Wert auf Storytelling legt als die ganzen The Binding of Isaacs, Dead Cells' und Nuclear Thrones. Doch da habe ich mich getäuscht.
Mehr Rogue-lite als Rogue-like
Childen of Morta hat zwar die typischen Rogue-like-Elemente wie zufallsgenerierte Dungeons und fehlende Respawns, aber der Hauptanreiz des Spiels ist ein ganz anderer als bei der Konkurrenz. In einem Dead Cells will ich einfach in jedem Durchgang möglichst weit kommen, um mehr Vorteile freizuschalten, auf dass die weiteren Runs noch erfolgsversprechender werden und ich irgendwann vorm finalen Boss stehe. In Children of Morta ist der spielerische Fortschritt natürlich auch ein wichtiger Motivationsfaktor, aber viel mehr im Fokus steht die Geschichte.
Da trifft es sich gut, dass der Titel nicht so knallhart wie seine Genrekollegen ist. Ihr verliert kaum etwas beim Tod und der "Permadeath" gilt immer nur für den einen Dungeon, in dem ihr gerade unterwegs seid. Habt ihr ein Level einmal komplett abgeschlossen, müsst ihr es nie wieder spielen (könnt es aber jederzeit wiederholen, um etwa Charaktere aufzuleveln).
Eine Familiengeschichte
Children of Morta dreht sich um die Familie der Bergsons. Die sind die Wächter des Berges Mortar und sehen sich mit einer finsteren Macht konfrontiert, die die Fantasy-Welt bedroht. Es ist die Aufgabe der Familie, diesem Unheil Einhalt zu gebieten. Das klingt nach Videospielstandard, doch Entwickler Dead Mage legt den Fokus nicht auf den Kampf gegen das Böse, sondern auf die Protagonisten – genauer gesagt auf all das, was innerhalb der Familie passiert. So sind etwa nicht alle Mitglieder erwachsen und kampfbereit. Von den insgesamt sechs spielbaren Charakteren stehen euch anfangs nur zwei zur Verfügung: das Familienoberhaupt John und Tochter Linda. Sohn Kevin zum Beispiel ist noch zu jung und Mutter Mary möchte nicht, dass er sich in Gefahr begibt. Er will aber unbedingt auch etwas unternehmen.
Nun schaltet ihr Kevin nicht als spielbaren Charakter frei, indem ihr eine bestimmte Quest erfüllt. Nach einer gewissen Anzahl an Durchläufen steht er euch einfach so zur Verfügung, bis dahin präsentiert euch Children of Morta aber mehrere nette Zwischensequenzen, die erzählen, wie es dazu kommt – und zwar immer dann, wenn ihr gerade mal wieder in einem der Dungeons verreckt seid.
Ein herzliches Spiel
Der große Clou des Spiels ist es, dem Bildschirmtod jeglichen Frustfaktor dadurch zu nehmen, dass ihr euch immer wieder aufs Neue freut, in das Haus der Bergsons zurückzukehren. Hier habt ihr nicht nur die Möglichkeit, Upgrades freizuschalten, es gibt auch ständig neue Story-Sequenzen, die euch die Charaktere näherbringen. Children of Morta verzichtet dabei auf Dialoge. Es gibt einen Erzähler, der seinen Job ganz exzellent macht, die Figuren sprechen aber nie. Das müssen sie auch gar nicht, denn allein der Off-Text und die liebevollen Animationen der Protagonisten reichen vollkommen zur Charakterbildung aus. Und als Spieler möchte man eben stets wissen, wie es mit den Bergsons weitergeht.
Doch nicht nur abseits der Dungeons gibt es Storytelling. Während euer Runs kommt es immer wieder zu Story-Events. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, aber ein Beispiel sei an dieser Stelle erwähnt: Ihr kommt in einen Raum, in dem ihr ein Wolfsjunges seht, das von finsteren Kreaturen bedroht wird. Neben dem Kleinen liegt seine Mutter tot auf dem Boden. Da könnt ihr natürlich nicht einfach tatenlos dran vorbeigehen. Wem das junge Tier nicht leidtut, der kann gar kein Herz haben. Ihr eilt zur Rettung, vernichtet die Feinde und wenn ihr das nächste Mal im Haus der Bergsons seid, bekommt ihr dort eine Sequenz präsentiert, in der sich die Oma Margaret das gerettete Tier näher anschaut. Der Welpe ist schwerverletzt und ihr müsst bestimmte Zutaten in den Dungeons finden, damit Margaret daraus ein Heilmittel herstellen kann.
Habt ihr das erledigt, will die Familie dem kleinen Wolf, den sie Ryker nennt, eine Hütte bauen. Dafür sollt ihr die nötigen Baumaterialien beschaffen. Das ist an sich eine simple Fetchquest, aber a) findet ihr die Items bei euren Durchläufen quasi am Wegesrand und b) wollt ihr natürlich, dass es dem Jungen einfach gut geht und dass es seine Hütte bekommt. Children of Morta gelingt es mit Bravour, euch mit ganz simplen Mitteln in seine Welt zu ziehen und eine Bindung zu den Charakteren aufzubauen. Kein anderes Rogue-like kann da derzeit mithalten.
Verspätete Liebe
Schon nach wenigen Stunden mit dem Spiel stand für mich fest: Children of Morta ist eines der besten Spiele 2019 – und mein größtes Versäumnis im vergangenen Jahr. Nun mögt ihr euch fragen: "Was ist daran so schlimm? Dann hast du es halt jetzt erst gespielt. Na und?" Wenn man als Videospielredakteur arbeitet und am Ende eines Jahres seine eigene Top 10 der besten Spiele zusammenstellt, möchte man eigentlich sichergehen, dass man ja nichts verpasst hat.
Nun ist das nicht immer möglich, aber Children of Morta hätte ich ganz bestimmt schon 2019 spielen können. Ich habe es nicht getan, weil ich mich zu wenig darüber informiert habe. Ein flüchtiger Blick auf ein paar Spielszenen ließ mich denken: "Sieht halt wie ein Standard-Rogue-like im Pixel-Look aus, brauch ich nicht unbedingt." Im Januar habe ich dann mehr oder weniger zufällig etwas mehr gesehen und schon stieg mein Interesse. Dann stellte ich eben fest, dass Children of Morta im Xbox Game Pass gelandet ist – auch auf dem PC – und hatte sofort den Drang, es herunterzuladen.
Ein paar Stunden später schossen mir zwei Dinge durch den Kopf: "Wieso, Jens, hast du das Ding nicht schon 2019 gespielt?!" und "Danke, Microsoft, für den Game Pass!" Ich weiß nicht, ob ich mir Children of Morta im Januar gekauft hätte, als in mir der Gedanke aufkam, es vielleicht doch mal nachzuholen. Dank des Abo-Services war das nicht notwendig. Ohne weiteres Geld auszugeben, konnte ich mir selbst einen Eindruck von dieser Indie-Perle verschaffen (die, wie mir nun auffällt, sträflich übergangen wurde im Artikel der besten Indie-Spiele 2019).
Große Bühne für die kleinen Spiele
Das hat mir mal wieder gezeigt, wozu solche Dienste gut sind. Sie ermöglichen es nicht nur, dass man große Blockbuster spielen kann, ohne dass man sie sich kaufen muss. Nein, sie können auch dafür sorgen, dass Titel von kleinen Entwicklern mehr Aufmerksamkeit erhalten. 11 Bit Studios (die Macher von Frostpunk und This War of Mine, die als Publisher von Children of Morta auftreten) und hoffentlich auch Dead Mage werden Geld dafür bekommen haben, dass ihr Spiel im Game Pass verfügbar ist.
Vielleicht gibt es den einen oder anderen, der das Rogue-like über diesen Service mal ausprobiert, für gut befindet, aber nicht durchzockt. Wenn Children of Morta dann irgendwann wieder den Game Pass verlässt, was durchaus passieren kann, bringt das jene Leute eventuell dazu, es zu kaufen. Ich werde garantiert zugreifen, wenn jener Fall irgendwann eintritt. Denn dieses Schätzchen möchte ich unbedingt dauerhaft in meiner Bibliothek haben.
Den Xbox Game Pass werde ich sicherlich weiterhin abonniert haben, denn Microsoft ist fleißig dabei, ständig neue interessante Spiele ins Angebot aufzunehmen. Ich bin gespannt, welche anderen Indie-Perlen ich nur deshalb für mich entdecken werde, weil sie im Game Pass landen. Sicherlich ist auch ein Origin Access Premier von Electronic Arts ein gutes Angebot und auch Ubisofts Uplay+ kann man sicherlich einiges abgewinnen, sofern man auf Assassin's Creed, Far Cry und Co steht. Aber für mich hat sich der Xbox Game Pass mittlerweile als König der Videospiel-Abo-Services herauskristallisiert. Wenn ich darüber weiterhin Zugriff auf so tolle Spiele wie Children of Morta erhalte, die ich mir vermutlich nicht einfach so gekauft hätte, dann wird es auch dabei bleiben.