Jens meint, dass Survival-Spiele wie Rust nur dann ihr Potenzial entfalten, wenn man sie so spielt wie die Streamer.
Rust: Die Streamer-Server zeigen, wie man es spielen sollte
Wenn wir 2020 etwas gelernt haben, dann das Videospiele selbst dann noch durchstarten können, wenn sie bereits Jahre zuvor erschienen sind. Among Us ist das beste Beispiel dafür. 2021 ist noch sehr jung, aber schon in seinen ersten Tagen hat es erneut ein Titel geschafft, lange nach seinem Release einen Höhenflug anzutreten: Rust ist schon 2018 offiziell für den PC erschienen, war davor aber schon mehr als vier Jahre lang als Early-Access-Version spielbar und zählt somit zu den Urgesteinen des Survival-Genres. Und nun genießt es einen Hype, den es so vorher nicht erlebt hat.
Ich schreibe diesen Artikel an einem Mittwochnachmittag und Rust hat gerade über 111.000 Zuschauer. Zum Vergleich: Call of Duty: Warzone hat knapp 11.000 weniger. Einzig bei League of Legends, Counter-Strike: Global Offensive und Fortnite gucken mehr Leute zu (und in der "Just Chatting"-Kategorie, aber die zählt nicht). Der Grund für diesen neuen Hype nennt sich Streamer-Server. Zunächst taten sich große Stars der englischsprachigen Szene zusammen, unter anderem Shroud, Myth und Pokimane, kurz darauf machten es ihnen die Streamer aus dem deutschsprachigen Raum nach. Mir soll es in dieser Kolumne aber gar nicht so sehr um den Erfolg des Spiels oder jener Projekte gehen, sondern darum, wie die Streamer Rust eigentlich spielen – und dass das die einzige Art und Weise ist, wie so ein Survival-Spiel gespielt werden sollte.
Casual-Rollenspiel
Hierzulande ist aktuell der Gemeinschaftsserver von Bonjwa, RoketBeans TV und Dhalucard das prominenteste Rust-Projekt. Es ist nicht das erste und einzige, denn es gab schon zuvor einen großen Streamer-Server, der jedoch im Zuge einer Sexismus-Debatte abgeschaltet wurde. In beiden Fällen habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder mal auf Twitch eingeschaltet und zugeschaut, wie sich Streamer und Streamerinnen wie die Jungs von PietSmiet, Dhalucard, Shurjoka, die RocketBeans, Moondye7 und viele weitere in der Postapokalypse schlagen. Der Grund dafür ist aber weniger Rust an sich, sondern die Art, wie die Leute es spielen: Es gelten Roleplay-Regeln.
Nun wird kein richtig hartes Rollenspiel betrieben. Die Streamer verkörpern (zumindest größtenteils) keine ausgedachten Charaktere, sondern sind sie selbst. Aber gewisse Dinge sind nicht erlaubt, allen voran das sogenannte KOS und Metagaming. Ersteres steht für "Kill on Sight". Damit ist das Töten von anderen Spielern, ohne vorher anderweitig mit ihnen zu interagieren, gemeint. Es ist zwar nicht komplett verboten, sondern bloß auf bestimmten Zonen begrenzt, die hochwertigen Loot bieten, aber außerhalb jener wenigen Gebiete ist es auf dem Streamer-Server nicht gern gesehen.
Metagaming steht dafür, Informationen zu nutzen, die der eigene In-Game-Charakter gar nicht haben kann. Ein Beispiel: Ein Zuschauer verrät Spieler A, dass Spieler B am anderen Ende der Karte mit dessen Team einen Angriff auf seine Gruppe plant. A leitet Defensivmaßnahmen ein und informiert im Zuge dessen seine Kollegen. Genau so was ist auf den Streamer-Servern verboten. Die Teilnehmer dürfen auch nicht externe Kommunikations-Tools wie Discord oder TeamSpeak nutzen, sondern sich nur über den internen Sprach-Chat unterhalten, der rein lokal ist. Zwei Spieler, die also sehr weit voneinander entfernt sind, hören sich nicht gegenseitig.
Rust von einer ganz anderen Seite
Gerade das Roleplay führt dazu, dass sich das Spiel auf so einem Streamer-Server fundamental davon unterscheidet, was auf öffentlichen Servern abgeht. Eigentlich ist Rust eines der unbarmherzigsten Survival-Spiele. Der Fokus liegt komplett auf dem PvP, da es außer wenigen NPCs, wilden Tieren und hin und wieder mal einem KI-gesteuerten Panzer oder Helikopter keine große Bedrohung gibt. Es ist Alltag, dass ihr gerade erst wortwörtlich nackt in der Spielwelt aufgewacht seid, ein bisschen Holz gesammelt und euch daraus einen simplen Speer gebastelt habt und dann von einem anderen Spieler mit einer AK erschossen werdet. Der Reflex, bei jeder Begegnung mit einer fremden Person "I'm friendly!" zu rufen ("Ich bin freundlich!"), bringt euch in den meisten Fällen absolut gar nichts. Zudem braucht ihr euch nicht wundern, wenn ihr euch nach einem Tag, an dem ihr mal keine Zeit zum Spielen hattet, einloggt und feststellt, dass eure zuvor errichtete Basis zerstört und euer Charakter, der nach dem Ausloggen schlafend in der Spielwelt verbleibt, getötet wurde.
Auf Streamer-Servern herrscht ein ganz anderes Klima. Hier werden erst Fragen gestellt und dann – unter Umständen – Schüsse abgegeben. Basen anzugreifen, deren Besitzer nicht online sind, ist nicht erlaubt. Überhaupt steht das PvP gar nicht so sehr im Vordergrund wie auf gewöhnlichen Rust-Servern. Manche Teams wählen gar von vornherein sehr friedliche Pfade. Die einen machen einen Lebensmittelladen auf und verkaufen Kartoffeln, Beeren und Co an ihre Mitmenschen, die anderen versuchen, mit einer Autowerkstatt an Metallschrott zu kommen, der in Rust als Währung dient. Natürlich gibt es auch kriegerische Auseinandersetzungen, etwa wenn jemand andere bestiehlt und das auffällt. Aber es wird eben niemand erschossen, einfach weil er bloß nicht zum eigenen Team dazugehört und ja möglicherweise Loot bei sich trägt, den man selbst gebrauchen könnte.
Es gibt mehr Spieler wie mich
Ich habe in diverse Streams reingeschaut und direkt beim ersten Mal, als ich sah, wie die Leute Rust spielen, gedacht: "Ja, auf so was hätte ich auch große Lust." Nun bin ich leider kein großer, bekannter Streamer und somit nicht qualifiziert, um an so einem Projekt mitwirken zu dürfen. Aber ich bin zum Glück auf einen privaten Server aufmerksam geworden, auf dem zwar KOS und Metagaming nicht verboten sind, aber doch ein deutlich angenehmeres Klima herrscht als auf den öffentlichen Alternativen. Die meisten Leute, die ich bislang im Spiel getroffen habe, waren sehr nett, haben mir und meinen Mitspielern etwa Essen oder nützliche Items wie Trinkbeutel angeboten. Und so konnten wir bislang ganz entspannt unsere Basis aufbauen. Ja, es wurde auch schon auf uns aus heiterem Himmel geschossen und das war ärgerlich. Ja, ich würde viel lieber auf einem Roleplay-Server spielen, aber ich nehme, was ich kriegen kann.
Dabei sollten die Regeln, die auf den Streamer-Servern gelten, viel häufiger in Rust oder auch anderen Survival-Spielen dieser Art (ARK: Survival Evolved, Conan Exiles) angewendet werden. Denn sie bereichern das Erlebnis ungemein. Klar, nicht jeder hat Lust darauf, Rollenspiel auf hohem Niveau zu betreiben. Auch mir fällt es schwer, mir einen Charakter samt Hintergrundgeschichte auszudenken und dann beim Spielen niemals aus dieser Rolle auszubrechen. Aber zumindest der Verzicht auf KOS und Raids auf feindliche Basen, deren Bewohner offline sind, sollte niemandem schwerfallen.
Survival-Spiele können so viel mehr sein
Rust und Co werden durch Roleplay zu besseren Spielen. Dadurch entstehen coole, spannende, teils arg witzige Geschichten, an die man sich noch lange erinnert. PvP-Gefechte mit irgendwelchen fremden Leuten, mit denen ich zuvor kein einziges Wort gewechselt habe, vergesse ich wiederum sehr schnell. Ich kann mich ja auch nicht mehr daran erinnern, was in meiner letzten Runde Call of Duty passiert ist. Ich verstehe auch die Spieler gar nicht, die Rust zocken, als wäre es einfach nur ein Multiplayer-Shooter mit einer persistenten Welt und Basenbau. Klar, letzterer ist ein spannendes Element, weil viel davon abhängt, ob man das Eigenheim clever konstruiert hat. Jenes Gameplay bietet ein Call of Duty nicht und auch kein PlayerUnknown's Battlegrounds oder Apex Legends. In Fortnite wird zwar auch fleißig gebaut, aber auf dessen Battle-Royale-Insel ist keine Kreation von langer Dauer.
Auf der anderen Seite haben all die genannten Spiele ein besseres Shooter-Gameplay als Rust. Wäre letzteres ein reines Battle-Royale-Spiel, wäre es die bedeutend schlechtere Wahl gegenüber der Konkurrenz, die man als Spieler treffen könnte. Trotzdem zocken es sehr viele Leute, als ginge es nur darum, andere zu dominieren. Ich verstehe schon, dass das ein gutes Gefühl ist, aber wie gesagt: Meiner Ansicht nach gibt es dafür einfach bessere Spiele. Rust und andere Survival-Titel geben mir so viele Möglichkeiten, Rollenspiel zu betreiben. Da wäre es doch schade, sie nicht zu nutzen. Zum Beispiel kann ich Leute einsperren, sprich gefangennehmen. Ich kann mich als Händler verdingen und wenn ich nicht jeden Handel händisch abwickeln möchte, stelle ich einfach Verkaufsautomaten auf, bestücke sie mit Waren lege deren Preise fest.
Ich wünschte mir, es gäbe mehr solcher Server, wie man sie derzeit auf Twitch beobachten kann, für normale Spieler, denen nicht jeden Tag Hunderte oder gar Tausende Leute beim Zocken zusehen – und das eben nicht nur für Rust, sondern auch gerne für die Alternativen, die teilweise noch mehr Roleplay-Möglichkeiten bieten. Klar, wer solche Spiele rein kompetitiv zocken möchte, soll das machen. Ich kann und will das niemandem verbieten und genug Server dafür sind ja da. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, das diejenigen besser andere Spiele zocken sollten, die mehr darauf zugeschnitten sind.