Doch wie heißt es so schön: hätte, hätte, Fahrradkette. Die Monetarisierung und ein paar Design-Entscheidungen lassen das im Kern solide Diablo Immortal schlecht dastehen.
Diablo Immortal hätte echt gut werden können
In den vergangenen dreieinhalb Jahren habe ich mir niemals gedacht: "Oh je, Diablo Immortal sieht echt schlecht aus." Ja, die Ankündigung auf der BlizzCon 2018 war ein Desaster, aber das hatte wenig mit der Qualität des Spiels zu tun und mit dem Rahmen, in dem Blizzard das Mobile Game enthüllt hatte. Für die, die das nicht mehr so präsent haben: Alle Welt hatte eigentlich mit der Präsentation von Diablo 4 gerechnet, aber stattdessen haben wir eben "nur" einen Free-tro-Play-Ableger für Smartphones bekommen, für dessen Entwicklung sich Blizzard mit dem chinesischen Konzern NetEase zusammengetan hat. Die Produktionsphase dauerte überraschend lange, so dass Diablo Immortal erst am 2. Juni dieses Jahres erschienen ist.
Tatsächlich war die Stimmung vor dem Release positiver als in all den Jahren zuvor. Im April hatte Blizzard bekannt gegeben, dass es entgegen der ursprünglichen Pläne direkt zum Start auch eine PC-Version geben würde, wenn auch erst mal nur in einer Betafassung. Damit war dann doch wieder bei diversen Leuten das Interesse geweckt, dem Titel zumindest die Chance zu geben, sich von ihm positiv überraschen zu lassen. Und auch für mich war in dem Moment klar: "Ok, Jens, du wirst Diablo Immortal auf jeden Fall mal anzocken." Als reines Mobile Game hätte ich das Ding wie jedes andere Handyspiel ignoriert, da ich mein Smartphone schlicht nicht als Gaming-Plattform nutze. Aber ein kostenloses Diablo für den PC, das nicht verkehrt aussieht? Klar, das wird ausprobiert. Tja, aber mehr als ein Ausprobieren wird es halt auch nicht mehr werden.
Mal wieder vernichtet sich ein Spiel mit seiner Monetarisierung selbst
Der Metacritic-Eintrag von Diablo Immortal sagt meiner Meinung nach eigentlich alles aus. Die Durchschnittswertung der Kritiker liegt bei 79, der User-Score hingegen bei einer vernichtenden 0.6. "Also sind alle Journalisten mal wieder vom Hersteller gekauft und das Spiel ist eigentlich totaler Schrott?" Nein und nein. Diablo Immortal macht durchaus Spaß. Ich habe einen Mönch (beste Klasse in Diablo 3!) bis Level 31 gespielt und konnte mich in diesen (verhältnismäßig wenigen) Spielstunden durchaus an dem Kampfsystem erfreuen. Es spielt sich nicht so gut wie Diablo 3, weil die Umgebung in einem deutlich geringeren Ausmaß zerstörbar, die Kamera zu nah am Geschehen ist und die Steuerung mit der Maus regelmäßig hakt. Mal will der eigene Charakter nicht angreifen, mal sich nicht von der Stelle bewegen. Nun ja, ist halt eine Beta. Dafür fühlen sich die Fähigkeiten ähnlich mächtig an wie in Diablo 3 und trotz der kleinen Problemchen entsteht schnell der gewohnte Flow, bei dem man von einem Kampf in den nächsten stolpert und kaum damit aufhören mag, Zombies, Riesenspinnen oder Skelette in ihre Einzelteile zu zerlegen.
Der Metascore von 79 ist dennoch zu hoch (wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, dass er sich aus gerade mal acht Wertungen zusammensetzt) und die Kritik der Spieler sehr wohl berechtigt. Letztere regen sich primär über die Monetarisierung auf. Man muss das ganz klar so sagen: Diablo Immortal ist ein Pay-to-Win-Spiel. Ihr wollt legendäre Edelsteine haben, mit denen ihr euren Charakter enorm stärker macht? Nun, dann braucht ihr entweder enorm viel Geduld oder ein prallgefülltes Bankkonto. Der YouTube-Kanal Bellular News fasst das in einem Video gut zusammen: Wollt ihr euren Charakter bis auf sein Maximum an Stärke hieven, müsst ihr dafür rund 100.000 Euro ausgeben oder circa zehn Jahre lang spielen. Ja, so lange würde es dauern, legendäre Edelsteine zu erhalten und auf ihre Höchststufe aufzuwerten, wenn ihr keinen einzigen Cent in Diablo Immortal investieren würdet, so zumindest die Berechnungen von Bellular News.
Das ist deshalb pay-to-win, weil der Kampf Spieler gegen Spieler in Diablo Immortal eine große Rolle spielt. Das Mobile Game ist nach einem seiner PvP-Systeme benannt, bei dem sich die Clans darum streiten, wer in die Rolle der "Unsterblichen" schlüpft (mehr dazu lest ihr hier). Und anders als in Lost Ark, wo das PvP ausbalanciert ist, spielt eure Ausrüstung in Diablo Immortal eben auch im Kampf gegen andere Spieler eine wichtige Rolle. Davon habe ich mit meiner geringen Spielzeit logischerweise nichts gemerkt, weil ich noch gar nicht die Möglichkeit habe, PvP zu spielen. Trotzdem kann ich diesen Umstand nicht in meiner eigenen Betrachtungsweise ignorieren. Hier hat sich ein Hersteller mal wieder gedacht: „Ja, wir könnten Diablo Immortal Spieler-freundlich monetarisieren und hätten damit Erfolg … oder wir machen das Gegenteil und schröpfen damit die Wale so richtig!“ Gratulation, Blizzard! Gut möglich, dass dir Letzteres gerade gelingt, während dein Ruf mal wieder in Kellerregionen sinkt.
"Lasst die Spieler bloß nicht zu viele Entscheidungen treffen!"
Ok, ich gehe mal davon aus, dass euch das PvP, vielleicht sogar das komplette Endgame von Diablo Immortal egal ist. Dass ihr einfach nur die Story erleben sowie euch hin und wieder während Fahrten mit Bus oder Bahn durch einen Dungeon schnetzeln möchtet. Könnte ich es euch dann wenigstens empfehlen? Puh, schwierig. Als Mobile Game unter Beachtung dessen, dass es euch primär um Geschichte, Atmosphäre und Action geht, ja. Ich habe Immortal tatsächlich einmal kurz auf dem Smartphone gespielt und bin dadurch sicherlich nicht zum Fan von virtuellen Analog-Sticks und Buttons geworden, muss aber gestehen, dass es ganz gut funktioniert.
Den PC-Spielern unter euch würde ich raten, erst mal noch zu warten, bis Blizzard die Steuerungsprobleme gefixt hat, und Diablo Immortal dann maximal für seine Handlung zu spielen (die aber immerhin einige Stunden lang unterhält und das zum Nulltarif). Geht es euch jedoch wie mir, dass ihr euch primär für die Kämpfe und vor allem die Progression interessiert, spielt lieber nochmal Diablo 3 (wie ich aktuell). Zum Thema Schnetzeln habe ich mich ja schon weiter oben geäußert, doch die Kernprobleme (abseits der Monetarisierung) sind der Loot und das Skill-System. Letzteres ist noch simpler als in Diablo 3: Ihr schaltet in linearer Abfolge neue Fähigkeiten sowie höhere Stufen von Skills frei … Ja, das war's. Es gibt nicht mal mehr die Runen, um die Effekte der Attacken, Buffs und Co zu verändern. Diablo Immortal soll offensichtlich als Mobile Game noch mehr die Gelegenheitsspieler ansprechen als Teil 3. Das mündet nur leider in einer absolut langweiligen Charakterprogression ohne jegliche Form von Tiefgang.
Beim Loot-System sieht es nicht anders aus. Ihr bekommt sehr viel Beute, aber nichts davon ist spannend. Zeigt euch das Spiel an, dass ein Gegenstand besser ist als der, den ihr tragt, tauscht ihr sie einfach miteinander aus. Nur bei legendären Items lohnt es sich, genauer auf die Boni zu achten. In Diablo 3 schaue ich mir dagegen selbst bei magischen Objekten im Detail an, welche Werte sie erhöhen und muss mich ständig entscheiden, ob ich nun mehr Schaden austeilen oder doch lieber einen besseren Rüstungswert haben möchte – und dabei ist der dritte Teil schon viel weichgespülter als seine Vorgänger. Immortal übertrifft das nochmal bei Weitem.
Viele, aber keine guten Belohnungen
Statt mich mit spannendem Loot und einer coolen Charakterprogression bei Laune zu halten, klatscht es mir eine Minibelohnung nach der anderen um die Ohren. "Oh, du hast heute deinen ersten Gegner besiegt. Hier, dein tägliches Goodie!" "Du hast Dungeon XY abgeschlossen. Hier, Kampfpunkte für den Battle Pass!" "Du hast deine Kampfwertung auf 175 erhöht. Hier, 50 Hilt-Münzen, die du bei einem bestimmten Händler eintauschen kannst!" Ständig blinkt irgendwas auf, weil ich mir wieder irgendeine kleine Belohnung abholen kann, die aber keinen wirklichen Wert für mich hat. Diablo Immortal ist halt ein typisches Mobile Game – vollgestopft mit Geschmacksverstärkern. Andere Hack and Slays kommen ohne letztere aus und haben trotzdem viel motivierendere Belohnungssysteme.
Wie gesagt, ich habe durchaus in den paar Stunden, die ich nun im Sanktuario von Immortal verbracht habe, Spaß gehabt. Ich musste mich da nicht durchquälen. Aber seitdem ich nun einmal den Direktvergleich mit Diablo 3 gemacht habe, will ich nicht wieder zu dem Mobile Game zurückkehren. Allein schon deshalb nicht, weil ich mich auf Level 31 nun vier Stufen hochgrinden muss, da die Story erst auf Stufe 35 weitergeht. Was zur Hölle?! So was ist schlechtes Game Design und gehört sich einfach nicht.