Jens wollte anfangs nur wenig Geld für Genshin Impact ausgeben. Nach vier Woche sind aus 'nem Fünfer 110 Euro geworden.
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Ein vorbildliches und doch perfides Geschäftsmodell
"Das Gacha-System werde ich immer verabscheuen, egal wie sehr ich mich darüber freue, wenn ich einen 5-Sterne-Helden ziehe (was heute geschehen ist und mich wirklich gefreut hat). Nur, weil ich mich von dem System manipulieren lasse, weil es natürlich Endorphinausschüttungen hervorruft, heißt das noch nicht, dass ich es auch gut finde."
Diese Worte habe ich in meiner ersten Kolumne zu Genshin Impact geschrieben, in der ich erläutere, dass ich das kostenlose Open-World-Spiel furchtbar und großartig zugleich finde. Und nun blicke ich auf mein Bankkonto und stelle fest: Ich habe bislang 110,46 Euro für das Spiel ausgegeben. Wie zur Hölle passt das zusammen?! Warum habe ich das getan, wenn ich doch das Gacha-System verurteile?!
Am Anfang stehen die kleinen Sümmchen
Alles begann mit dem Kauf des Mondsegens. Der kostet gerade mal 5,49 Euro und dafür erhalte ich insgesamt 3000 Urgestein, die Ressource für das Gacha-System. Zum Vergleich: Das Paket mit 3280 Schöpfungskristallen (Premiumwährung), die sich gegen genauso viel Urgestein eintauschen lassen, kostet mal eben 54,99 Euro. Der Mondsegen ist also in Sachen Preis-/Leistungsverhältnis das Beste, was Genshin Impact in seinem Shop zu bieten hat. Der Haken: Ich bekomme 300 Schöpfungskristalle direkt und 2700 Urgestein werden auf 30 Tage verteilt. Ich muss mich also jeden Tag einloggen, um 90 Steinchen abzuholen. Verpasse ich das einmal, bekomme ich für mein Geld auch weniger. Da ich aber eh jeden Tag zumindest meine Daily Quests spiele, ist das für mich kein Problem und der Mondsegen somit eine Investition, die sich für mich wirklich lohnt.
Ich dachte anfangs, es würde bei dem Mondsegen bleiben – dass ich mir den einfach in jedem Monat, indem ich Genshin Impact auch wirklich regelmäßig spiele, kaufe und mir so alle 30 Tage mindestens 20 Losziehungen kaufen kann. Tja, Pustekuchen! Eines Abends – ich hatte eine stundenlange Session hinter mir, in der ich richtig viel Spaß beim Questen und Erkunden der Welt hatte – entschied ich mich, mir das Schöpfungskristallpaket für 54,99 Euro zu kaufen. Beim ersten Kauf eines Pakets erhält jeder Spieler die doppelte Menge, also sprangen 40 Ziehungen am virtuellen Gacha-Automaten heraus.
Da geht sie los: Die Relativíerung
Ich dachte mir: "Mensch, jetzt hast du schon über 30 Stunden Genshin Impact gespielt, es werden sicherlich noch innerhalb des ersten Monats 40 Stunden, warum also nicht den Entwicklern etwas dafür geben?" Zusammen mit dem Preis für den Mondsegen war ich nun bei circa 60 Euro, also den üblichen Kaufkosten für ein Vollpreisspiel. Genshin Impact bereitete mir so viel Freude wie ein solcher Buy-to-Play-Titel, also waren 60 Euro in meinen Augen vollkommen angemessen – und ich wollte natürlich schon den einen oder anderen Charakter haben (nach Diluc sehne ich mich heute noch, Razor habe ich immerhin mittlerweile).
"So, 60 Euro müssen dann aber auch reichen", hab ich mir gesagt. Ha, denkste! Erst habe ich mir noch das Schöpfungskristallpaket für 16,99 Euro gekauft, auch hier wegen dem Erstaufladungsbonus in Höhe von 100 Prozent. Den Preis für eine Zehnerziehung plus noch 360 weitere Steine, die ich zusammen mit dem, was ich mir bis dahin erspielt hatte, in zehn weitere Ziehungen am virtuellen Automaten investieren konnte? Das war für mich ok. Nun, und letztens kamen dann nochmal 32,99 Euro für weitere 3960 Schöpfungskristalle/Urgestein hinzu – einfach, weil ich eben nochmal mehrfach am Automaten ziehen wollte.
Meine schizophrenes Verhältnis zum Spiel
So schnell kann es gehen: Von "Ich gebe nur etwas mehr als einen Fünfer pro Monat für dieses Free-to-Play-Spiel aus" hin zu "Oh, jetzt hab ich nach vier Wochen 110 Euro bezahlt." Das ist normalerweise eine Summe, die ich niemals für ein Videospiel ausgeben würde – Titel, die über Jahre hinweg mehrere gute Add-ons erhalten, mal ausgenommen (WoW lässt grüßen). Heißt das nun, dass ich das Gacha-System von Genshin Impact befürworte? Oder dass ich mich schlecht fühle, so viel Geld in das Rollenspiel investiert zu haben? Meine Antwort auf beide Fragen: nein.
Das Gacha-System finde ich nach wie vor nicht gut. Die Gründe dafür könnt ihr in meiner ersten Kolumne zum Spiel nachlesen. Aber ich mag Genshin Impact an sich sehr. Seit dem Release spiele ich es wirklich jeden Tag und wenn es eben nur 15 Minuten morgens vor der Arbeit sind, in denen ich flott meine täglichen Missionen abarbeite. Immer wieder kommt es aber auch zu längeren Sessions. Ich bin mittlerweile Abenteuerrang 32, stecke aber immer noch im ersten Akt von Kapitel 1 (das auf den großen Prolog folgt, der schon Kapitel 1 hätte heißen können) der Story und habe noch etliche Welt- und Legendenaufträge vor mir. Selbst ohne weitere Updates habe ich noch mehr als genug in Teyvat (so heißt die Welt in Genshin Impact) zu tun.
Die Entwickler sind alles, nur nicht dumm
Der Grund, warum ich nach vier Wochen bereits fast doppelt so viel Geld investiert, als ich zwischendurch gewollt habe (und mehr als 200 Prozent von dem, was ich ganz am Anfang zu zahlen bereit war), ist aber nicht nur der Spielspaß und meine Wertschätzung für das, was Entwickler miHoYo geschaffen hat. Es ist auch das Monetarisierungskonzept des Spiels, das perfide und fair zugleich ist.
Ich kann alles, was Genshin Impact derzeit bietet, vollkommen kostenlos erleben. Zu keinem Zeitpunkt hat mich das Spiel je dazu gedrängt, Geld auszugeben. Das Gacha-System und der Shop werden einmal im Verlauf der Tutorialphase erklärt und das wars. Es gibt keine aufdringlichen Werbe-Banner und -Icons oder Pop-up-Fenster wie in anderen Free-to-Play-Spielen, die mir förmlich ins Gesicht schreien, dass ich doch bitte mal in den virtuellen Kaufladen gehen soll.
Zeitgleich sagt mir das Spiel immer wieder, wie cool manche Helden sind, indem es sie im Verlauf von Story-Quests in Zwischensequenzen in Aktion zeigt oder mich sogar kurzzeitig in deren Haut schlüpfen und sie ausprobieren lässt. Natürlich wird dadurch die Lust in mir geweckt, mein Glück zu versuchen und so vielleicht einen Diluc, eine Mona oder einen Razor zu bekommen. Dazu tragen auch die ständigen Urgesteingeschenke bei, die ich etwa im Zuge von Login-Bonusaktionen oder Events erhalte. Wenn ich Summe X bereits gratis bekommen habe und mir nur noch Summe Y fehlt, um mir zehn Ziehungen zu kaufen, dann bin ich eher bereit dazu, das Geld auszugeben, als wenn ich direkt 33 Euro zahlen müsst, um mir ein solches Paket leisten zu können.
Ich habe es an mir selbst gemerkt: Genshin Impact ist eine Gefahr fürs Portemonnaie, weil es mich einerseits mit perfiden Mitteln dazu bringt, Geld auszugeben, und auf der anderen Seite aber auch als Spiel so gut ist und so viel Spaß macht, dass ich damit kein Problem habe, weil es meinen Spielspaß ja nur noch maximiert. Das gilt zumindest dann, wenn ich neue Helden oder gute Waffen bekomme – oder doppelte Exemplare von Charakteren, die ich gerne spiele, sodass ich deren Sternbild aufleveln kann und neue passive Boni erhalte.
Nein, ich bin nicht süchtig!
Ihr müsst euch jedoch keine Sorgen um mich machen: Ich verfalle hier nicht dem, was einer Glücksspielsucht gleicht. Ich werde aber sicherlich auch weiterhin Geld für Genshin Impact ausgeben. Die 5,49 Euro für den Mondsegen alle 30 Tage sind gesetzt, solange ich eben auch wirklich täglich spiele. Und in den Monaten, in denen ich mehr mache, als nur meine täglichen Aufgaben zu erfüllen, setze ich mir nun ein Budget von 60 Euro (Mondsegen inklusive). Ich weiß aber zum Beispiel, dass ich im November und Dezember bedeutend weniger Genshin Impact zocken werde, weil so viele neue Spiele erscheinen. Da werde ich also vielleicht gar kein Geld bezahlen, dafür aber möglicherweise im Januar etwas mehr investieren. Bis dahin ist auch schon wieder einiges an neuem Inhalt erschienen, immerhin soll im Dezember die Spielwelt um ein neues Areal erweitert werden.
Warum nun diese Kolumne? Nun, zum einen, um euch mitzuteilen, dass man wirklich schnell über 100 Euro in Genshin Impact investieren kann, auch wenn man das anfangs gar nicht machen wollte. Um euch davor zu warnen, dass miHoYo, so fair der Titel auch gestaltet ist, euch mit geschickten Mitteln das Geld aus der Tasche lockt. Zum anderen, dass das nicht schlimm sein muss, solange ihr euch selbst im Zaum haltet und nur so viel ausgebt, wie es eure finanziellen Umstände erlauben. Setzt euch monatliche Grenzen, übertreibt es nicht! Und gebt nur dann Geld aus, wenn ihr auch wirklich wisst, dass ihr das Spiel in der Zeit danach noch viele weitere Stunden lang zocken werdet! Genshin Impact hat es verdient, ein Erfolg zu sein, weil es ein gutes Spiel mit einer fairen Monetarisierung ist. Aber wer keine Selbstbeherrschung hat, sollte die Finger davon lassen.