Cyberpunk 2077 ist ein finanzieller Hit, aber CD Projekt hat sich mit dem verpatzten Launch selbst ins Bein geschossen.
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CD Projekt hat mehr verloren als gewonnen
Ich gebe zu: Die Überschrift ist etwas gewagt, aber hey: Wenn sie dazu geführt hat, dass ihr auf den Artikel geklickt habt und nun diese Zeilen lest, ist sie nicht unklug gewählt. Zudem steckt auch ein wahrer Kern drin, denn schaut man sich derzeit im Netz um, ist CD Projekt nicht gerade "Everybody's Darling", wie es das einst mal war.
Cyberpunk 2077 wurde von vielen Leuten sehnlichst erwartet. All die Trailer, all die Versprechungen der Polen, all das deutete darauf hin, dass dieses Rollenspiel eines der Highlights im ansonsten nicht gerade beliebten Jahr 2020 werden würde, vielleicht sogar das "Game of the Year" für eine Vielzahl der Videospielliebhaber. Daran haben auch die drei Verschiebungen nichts geändert, auch wenn es nach der letzten im Oktober durchaus einiges an Kritik gab. Aber die bezog sich ja weniger auf das Spiel selbst und mehr auf die schlechte Kommunikation von CD Projekt – zu dem Thema habe ich ebenfalls eine Kolumne geschrieben, die ihr hier findet:
Auf Traumwertungen folgte das böse Erwachen
Mit dem Release ist die Hype-Blase jedoch im Nu geplatzt. Dabei fing alles ziemlich gut an: Am Montag, den 7. Dezember fiel das Review-Embargo für Cyberpunk 2077 und recht schnell erreichte es auf Metacritic eine hohe Durchschnittswertung von 91 (mittlerweile gesunken auf 87 gesunken). Es gab zwar auch da schon ein paar kritischere Stimmen, die dem Rollenspiel nicht ganz so euphorisch gegenüberstanden, aber auf der anderen Seite regnete es Wertungen im 90-Prozent-Bereich oder eben zwischen einer 9/10 und 10/10 – und das obwohl da schon in nahezu jedem Test von Bugs die Rede gewesen ist.
Da wäre bloß ein großer Haken: Die Reviews bezogen sich einzig und allein auf die PC-Version. Die Konsolenfassungen hatte CD Projekt vor Release gar nicht zum Testen freigegeben. Man versendete überhaupt erst keine entsprechenden Testmuster. Der Grund dafür ist mittlerweile offensichtlich: Auf der PlayStation 4 und Xbox One ist Cyberpunk 2077 in einem katastrophalen Zustand. Starke Einbrüche der Bildrate, spät nachladende Texturen und eine generell sehr niedrige Auflösung zehren am Spielspaß. Und die ganzen Bugs kommen noch obendrauf. Es ist derzeit davon abzuraten, Cyberpunk 2077 zu kaufen, wenn ihr nur eine normale PS4 oder Xbox One habt. Besitzer einer stärkeren Konsole (PS5, PS4 Pro, Xbox Series X/S, Xbox One X) können den Titel hingegen halbwegs vernünftig spielen, von den Glitches und Co einmal abgesehen, die eben alle Versionen plagen.
Das folgende Video von Digital Foundry verschafft euch einen guten Eindruck davon, wie Cyberpunk 2077 auf der PS4 und Xbox One aussieht:
CD Projekt wollte offensichtlich nicht, dass irgendwelche Kritiker Cyberpunk 2077 auf der PS4 oder Xbox One spielen und vor Release preisgeben, wie schlecht das Spiel auf jenen Systemen läuft. Schließlich hätte das sicherlich die Verkaufszahlen stark beeinträchtigt. Solche Praktiken gehören schlichtweg verurteilt, auch wenn es das gute Recht eines Herstellers ist, seine Produkte erst dann für den Test freizugeben, wenn sie auch wirklich erscheinen.
Alter Ruhm...
Jahrelang galten die Polen als "die Guten" in der Videospielindustrie. Und das hatten sie nicht erst dem grandiosen The Witcher 3: Wild Hunt und allem, was damit zu tun hat, zu verdanken. Schon bei den beiden Vorgängern zeigte sich das Unternehmen als äußerst kundenfreundlich. Sowohl The Witcher 1 als auch 2 erschienen nicht gerade in idealem technischen Zustand. Aber in beiden Fällen besserte CD Projekt nach. Man veröffentlichte Enhanced Editions, die nicht nur Bugs fixten, sondern auch neue Inhalte lieferten – und das für Besitzer der Spiele vollkommen kostenlos. Im Fall des ersten Teils nahm man sogar die deutsche Sprachausgabe komplett neu auf, weil diese in der Urfassung viele Mängel aufwies.
The Witcher 3: Wild Hunt war 2015 der große internationale Durchbruch von CD Projekt und ebnete dem Studio den Weg in die AAA-Riege. Es hatte zwar auch seine technischen Probleme zum Release (wenn auch längst nicht so viele wie derzeit Cyberpunk 2077), aber die wurden recht flott mit Patches bereinigt. Zudem veröffentlichte CD Projekt mehrere kostenlose DLCs und mit "Hearts of Stone" sowie "Blood and Wine" sind richtig gute Erweiterungen erschienen, die mehr Add-ons alter Tage entsprechen als modernen DLCs, die zu wenig Inhalte für zu viel Geld bieten. In diesen beiden Fällen ist es eher andersherum gewesen. Gerade "Blood and Wine" ist so umfangreich, dass andere Hersteller es wohl als eigenständiges Vollpreisspiel veröffentlicht hätten.
...verblasst
CD Projekt hatte einen so guten Ruf wie kaum ein anderer Entwickler beziehungsweise Publisher. Die Fans haben es geliebt und das vollkommen zurecht. Es war also gar kein Wunder, dass dem Studio während der Entwicklungsphase von Cyberpunk 2077 viel Euphorie entgegen schwappte, zumal all das vorab gezeigte Material fantastisch ausgesehen hat. Mit dem Release eines glasklar unfertigen Produkts, obwohl es schon dreimal verschoben wurde, und der strengen Review-Politik hinsichtlich der Konsolenfassungen hat CD Projekt schon sehr stark an seinem positiven Standing gekratzt.
Aber das ist ja längst nicht alles gewesen. Schon im Vorfeld gab es negative Schlagzeilen rund um das Thema Crunch. Stellte man sich 2019 noch als eine Firma hin, die genau das unbedingt vermeiden wollte, auch wenn man nicht komplett ausschließen konnte, dass es dazu kommt, wissen wir heute: Schon damals gab es Crunch bei CD Projekt RED und in diesem Jahr ging das Ganze erst so richtig los.
Außerdem kam jüngst heraus, welche Art von Bonus-System CD Projekt nutzt, um seine Mitarbeiter zu motivieren. Jeden Monat haben die fleißigsten Leute Münzen erhalten, die sie nun am Ende der Entwicklung von Cyberpunk 2077 in Bonuszahlungen umtauschen konnten. Ursprünglich sollte das nur dann möglich sein, wenn das Spiel einen gewissen Metascore erreicht hätte. Davon hat das Unternehmen mittlerweile Abstand genommen, sodass die Angestellten definitiv ihre Boni bekommen. Trotzdem: So ein System ist ungemein fragwürdig, weil es Crunch schlichtweg fördert.
Eine lachhafte Entschuldigung
Die Krone hat CD Projekt der ganzen Geschichte mit seinem Entschuldigungsschreiben vom 14. Dezember aufgesetzt. Darin heißt es: "Zunächst einmal wollen wir damit beginnen, uns bei euch dafür zu entschuldigen, dass wir das Spiel vor der Veröffentlichung nicht auf den Basis-Last-Gen-Konsolen gezeigt und, in Konsequenz daraus, es euch nicht erlaubt haben, eine informiertere Entscheidung über euren Kauf zu treffen. Wir hätten mehr darauf achten müssen, [Cyberpunk 2077] auf der PlayStation 4 und Xbox One besser spielbar zu machen."
Dieser zweite Satz ist – und das meine ich nicht böse – eine Frechheit. Ihr hättet mehr darauf achten sollen, dass das Spiel auf den alten Konsolen nicht mit teilweise weniger als 20 FPS und krassen optischen Abstrichen läuft? Ihr seid die Entwickler! Dieses Endergebnis ist kein Versehen! Die miese Performance auf PS4 und Xbox One ist nichts, wo man sagen könnte: "Ja, das ist denen so durchgerutscht." Ihr hättet Cyberpunk 2077 in diesem Zustand niemals veröffentlichen dürfen und habt es dennoch getan! Und dann habt ihr es euch erlaubt, das bis zur Veröffentlichung komplett geheimzuhalten, indem ihr niemandem eine Konsolenversion geschickt habt, um kritische Review vor Release zu eliminieren. Das ist, bei allem Respekt, unterste Schublade und das komplette Gegenteil von kundenfreundlich.
— Cyberpunk 2077 (@CyberpunkGame) December 14, 2020
Geld ist nicht alles
Ok, ich beruhige mich wieder, atme tief durch und werde wieder sachlich. CD Projekt hat finanziell schon sehr viel gewonnen mit Cyberpunk 2077. Der Aktienkurs hat zwar eine Talfahrt unternommen, aber die Verkaufszahlen des Spiels sind schon am Release-Tag so gut gewesen, dass da bereits sämtliche Produktions- und Marketing-Kosten abgedeckt wurden. Den Profit kann CD Projekt keiner mehr nehmen. Aber im Gegenzug haben sie eben etwas, man möchte fast sagen, Unbezahlbares verloren: die volle Unterstützung der Community, den eigenen guten Ruf.
Ich würde nicht behaupten wollen, dass CD Projekt nun zu den "Bösen" der Branche gehört – schlicht weil ich der Meinung bin, dass es diese "Bösen" nicht gibt. Jedes größere Unternehmen hat sich schon mal was zuschulden kommen lassen. Bei gewinnorientierten Konzernen ist das nun mal so, da gibt es keine Heiligen. CD Projekt hat nun letztendlich bewiesen, dass sie genauso eine Firma sind, die an aller erste Stelle eine Sache von euch haben will: euer Geld. Daran ist an sich auch nichts verkehrt, denn ohne Gewinn kann das Unternehmen nicht langfristig existieren und uns somit auch keine schönen Spiele bescheren. Aber man kann seine Moneten eben auf gute und schlechte Art verdienen. CD Projekt hat sich im Fall von Cyberpunk 2077 zumindest nicht in Gänze für erstere entschieden.
Rehabilitation ist nicht gleich Negation
Ich bin mir sicher, die Polen werden alles Mögliche unternehmen, um sich zu rehabilitieren. Gerade scheint es, als würden sie in wirklich jedes Fettnäpfchen treten wollen. Aber es werden die großen Patches kommen, die Cyberpunk 2077 auf allen Plattformen reparieren. Dass CD Projekt gewillt ist, Fehler zu korrigieren und darin auch sehr gut ist, haben sie mit all ihren vorherigen Spielen bewiesen. Es werden kostenlose DLCs erscheinen und sicherlich werden die großen Erweiterungen in die Fußstapfen von "Hearts of Stone" sowie "Blood and Wine" treten. Und CD Projekt wird auch in Zukunft weitere gute Spiele entwickeln. Cyberpunk 2077 ist ja, alle technischen Probleme mal ausgeklammert, ein wirklich tolles Erlebnis, wenn auch kein Meisterwerk.
Doch eine Sache steht fest: Egal, wie sehr man versuchen wird, das aktuelle Debakel wiedergutzumachen, das Image, dass CD Projekt die vergangenen Jahre über hatte, wird es nicht mehr zurückgewinnen können. Denn diesen missglückten Release von Cyberpunk 2077 werden wir Spieler nicht so schnell vergessen.