Die dritte Verschiebung von Cyberpunk 2077 kommt Jens zwar recht gelegen, ist für CD Projekt RED jedoch ein Desaster.
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Alle guten Dinge sind drei? Nicht immer!
Es gibt Dinge, mit denen kann einfach niemand rechnen. Dass Cyberpunk 2077 nicht am 19. November 2020, sondern erst 21 Tage später, also am 10. Dezember erscheinen würde, damit hat niemand gerechnet – nicht, nachdem CD Projekt RED am 5. Oktober per Twitter die frohe Botschaft verkündet hatte, dass das Rollenspiel den Goldstatus erreicht habe und somit die Veröffentlichung am besagten 19. November gesichert sei. Immerhin sei der Titel inhaltlich fertig gewesen, sodass ein Master angefertigt werden und die Produktion der Ladenfassungen beginnen konnte.
Herrje, die Mitarbeiter des Studios selbst haben nicht mit einer weiteren Verschiebung gerechnet. Erst gestern haben wir geschrieben, dass Senior Level Designer Miles Tost sich am Sonntag auf dem offiziellen Discord-Server zu den Sorgen der Fans bezüglich geschnittenen Inhalten geäußert hat. Dabei sagte er: "Es ist nun weniger als ein Monat noch [bis zum Release], bald werden all eure Fragen beantwortet", und zeigte sich somit selbst überzeugt davon, dass Cyberpunk 2077 Mitte kommenden Monats erscheinen würde. Ja sogar die Social-Media-Abteilung von CD Projekt RED hat offensichtlich nichts von der erneuten Verschiebung gewusst. Am Montag fragte ein Fan auf Twitter, ob der Release am 19. November auch wirklich absolut sicher sei, weil er sich den Tag freinehmen wollte – und CD Projekt bestätigte das.
Die eine Verschiebung zu viel?
Es ist nun das dritte Mal, dass Cyberpunk 2077 verschoben wurde. Ursprünglich sollte es schon im April erscheinen, dann erfolgte die Verschiebung auf September. Im Sommer teilte CD Projekt RED mit, mehr Zeit für das Polishing zu benötigen, weshalb der Termin auf den 19. November verlegt werden musste. Sicherlich haben auch diese Verzögerungen Leute enttäuscht, aber für die meisten Fans schienen sie nachvollziehbar zu sein – gerade in diesem Jahr 2020, wo eine Pandemie die Entwickler wie viele andere Menschen dazu zwingt, dezentralisiert im Home Office zu arbeiten.
Die jüngste Verschiebung auf den 10. Dezember jedoch nehmen sehr viele CD Projekt reichlich übel und das ist absolut verständlich. Gerade diejenigen, die sich Urlaub genommen haben, um dieses vermeintliche Umfangsmonster namens Cyberpunk 2077 zum Release ausführlich spielen zu können, stehen nun blöd da. Nicht jeder arbeitet in einem Unternehmen, wo sich Urlaubstage wieder "umbuchen" lassen. Noch dazu hat CD Projekt zuletzt alles dafür getan, dass wir uns sicher sein konnten, der 19. November wäre der Tag, an dem wir unser Leben in Night City beginnen können.
Mehr Zeit für andere Spielebrocken
In meinen Augen ist das hier eine ganz besondere Situation – sowohl allgemein betrachtet als auch aus meiner persönlichen Warte. Wenn man mich fragt, wie sehr mich die Verschiebung stört, antworte ich: "Och, es ist schon Schade, weil ich mich sehr auf Cyberpunk 2077 freue, aber eigentlich kommt mir das sehr gelegen." (Dass ich solche Worte mal verfassen würde, hätte ich nie gedacht.) Das hat nichts damit zu tun, dass ich am 10. Dezember Geburtstag habe und CD Projekt nun die Chance hat, mir ein ganz besonderes Geschenk zu machen, indem es ein verdammt gutes Spiel abliefert. Es geht mir viel mehr darum, dass der November auch ohne Cyberpunk 2077 mit spannenden (und nicht minder großen) Spielen prallgefüllt ist.
Assassin's Creed Valhalla, Yakuza: Like a Dragon, Call of Duty: Black Ops – Cold War, Godfall, DiRT 5, Football Manager 2021 – selbst wenn ich ausklammere, dass ja auch noch neue Konsolen erscheinen und die PS5 mit dem Remake von Demon's Souls sowie Marvel's Spider-Man: Miles Morales zwei für mich sehr interessante Exklusivtitel zum Launch parat hält, habe ich im nächsten Monat genug zu zocken. Und ich will mir all das nicht nur aus privatem, sondern auch beruflichem Interesse anschauen. Würde Cyberpunk 2077, wie es zuletzt geplant war, am 19. November erscheinen, wären die kommenden Wochen nochmal weitaus stressiger. Dank der Verschiebung kann ich also etwas durchatmen.
Zudem hat sie einen psychologischen Effekt: Ich kann mich nun noch viel mehr auf alles freuen, was vor Cyberpunk erscheint und damit meine ich in erster Linie die Titel, die laut dem vorherigen Release-Kalender nach dem Rollenspiel erschienen wären. Ich habe zum Beispiel richtig Lust auf Immortals Fenyx Rising. Nun kann ich das Anfang Dezember spielen, bevor es mich nach Night City zieht. Ich werde also nicht in die Situation kommen, dass ich Cyberpunk zwangsweise pausieren muss, wenn ich mir den "Breath of the Wild"-Verschnitt von Ubisoft in der griechischen Götterwelt anschauen möchte. Das finde ich super!
Mehr Zeit, mehr Crunch
Doch genug von mir, denn was für mich gut ist, ist ja auch nur für mich relevant. Viel wichtiger ist doch, was die Verschiebung für CD Projekt RED bedeutet. Und an dieser Stelle gehen mir die Beschwichtigungen und Relativierungen aus. Diese Verschiebung ist für den Entwickler eine Katastrophe, anders kann ich das nicht ausdrücken. Zum einen, weil ich davon ausgehe, dass die Mitarbeiter nun noch mehr crunchen dürfen.
Wer glaubt, die 21 Tage zusätzliche Entwicklungszeit lässt die Leute in Warschau etwas durchatmen, ist sehr naiv. Oh nein, die werden weiterhin hart rackern müssen, eventuell sogar noch härter als bislang. Es würde mich nicht verwundern, wenn nun aus den Sechs-Tage-Wochen, die der Großteil der Belegschaft angeblich schon seit 2019 durchmachen muss, Sieben-Tage-Wochen werden.
Schlecht gemanagt
Doch auch für CD Projekt RED als Unternehmen allgemein ist die Verschiebung kein gutes Zeichen. Sie zeigt nämlich, dass das Projektmanagement gnadenlos versagt hat. Im Sommer hätte man von vornherein richtig einschätzen müssen, dass mehr Zeit als bis zum 19. November nötig sein würde, um Cyberpunk 2077 fehlerfrei auf den Markt zu bringen. Gut, 2020 fahren wir alle nur auf Sicht, wie es so schön heißt. Aber spätestens Anfang Oktober, als man gerade die Meldung über den erreichten Goldstatus vorbereite, hätte man feststellen müssen, dass der Release am 19. November nicht garantiert sein sollte.
Ich weiß natürlich nicht genau, was konkret dazu geführt hat, dass die Polen nun keinen anderen Ausweg mehr gesehen haben, als ihr neues Baby nochmal um drei Wochen zu verschieben. Vielleicht konnte die Deadline für die Korrektur eines schwerwiegenden Programmierfehlers nicht eingehalten werden. Wir werden es wohl nie erfahren oder zumindest nicht vor dem Release. So oder so ist diese dritte Verzögerung aber ein PR- und Marketing-Desaster, das noch schwerwiegende Folgen haben kann.
"Sehr gut" wird nicht mehr reichen
Das Vertrauen der Spieler in CD Projekt RED hat schon einen herben Dämpfer erlitten. Aber was wird wohl erst passieren, wenn Cyberpunk 2077 am 10. Dezember erscheint und es a) nicht das Meisterwerk ist, das alle erwarten, und/oder b) nicht frei von Bugs ist ("frei" im Sinne von: Es gibt maximal nur noch kleine Glitches oder ähnliche Dinge, die selten auftreten und wenn sie es tun, eher belustigen als ärgern)? Selbst wenn es ein sehr gutes Spiel sein wird, das im Durchschnitt mittlere 80er-Wertungen erhält, wird der Shitstorm groß sein. Grund dafür ist logischerweise die riesige Erwartungshaltung, die CD Projekt RED selbst geschürt hat: mit der hohen Qualität von The Witcher 3, mit den ganzen Versprechungen und eben auch mit den drei Verschiebungen, die – das ist zumindest die offizielle Begründung – zugunsten eines auf Hochglanz polierten Spiels getätigt wurden.
CD Projekt RED hat endgültig bewiesen, dass es eine Firma ist, in der alles chaotischer abläuft, als man das von so einem großen, finanzstarken Studio erwarten würde. Vielleicht hat sie eines der besten Entwicklerteams der Welt, das wird sich hoffentlich in sechs Wochen zeigen. Aber die Führungsebene hat sich speziell in diesem Jahr nach all den Berichten über Crunch (der eigentlich gar nicht hätte stattfinden sollen) und dieser jüngsten Verschiebung nicht mit Ruhm bekleckert.
Ach ja, dass der Begriff Goldstatus heute überhaupt keine Relevanz mehr hat, ist nun auch endgültig bewiesen. Da sind wir uns doch alle einig, oder?